Geflüchtet aus Serbien, zuhause in Berlin: Die Zenkulović arbeiten am Glück
Die taz hat lange Zeit eine serbische Flüchtlingsfamilie begleitet. Ein Besuch in Hohenschönhausen bei Familie Zenkulović aus aktuellem Anlass.
Im Sommer 2015 sind Hunderttausende Menschen auf der Suche nach Schutz nach Deutschland und in andere Länder Europas geflohen. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich vor die Kameras und versprach: „Wir schaffen das.“ Was ist seither passiert? Was haben „wir“ geschafft? Wie geht es den Menschen heute? Ein taz-Dossier über Flucht und Ankunft. Alle Texte finden Sie in unserem Schwerpunkt Flucht: taz.de/flucht
Predrag, 16 Jahre alt, groß gewachsen, kräftig vom Training im Fitnessstudio, macht die Tür auf. Dahinter 70 verwinkelte, aber aufgeräumte Quadratmeter: „Hi, kommen Sie rein!“
Alles hier, diese drei Zimmer, in diesem Wohnblock, in diesem Viertel, in dieser Stadt, ist ein wahnsinniger Erfolg für die Familie Zenkulović.
Im Winter 2015/16 ist Jesma Zenkulović, mit ihrem Sohn Predrag und der älteren Tochter Victorija, damals 14 Jahre alt, aus einem Dorf in Serbien nach Berlin geflüchtet. Es war der dritte Versuch der Familie, in Berlin Asyl zu bekommen, als Roma werden sie in ihrem Heimatland schwer diskriminiert.
Vom Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden
Damals, in den Jahren 2015 und 2016, schaut alle Welt auf die Katastrophe in Syrien, die Tragödien im Mittelmeer, die verzweifelten Trecks über die Balkanroute. Die Roma-Flüchtlinge vom Westbalkan verschwinden vom Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die taz hatte deshalb die Familie Zenkulović ab 2016 zwei Jahre lang journalistisch begleitet.
Die Chancen der Familie im Winter 2015/16, als wir uns zum ersten Mal treffen: laut Asylstatistik quasi gleich null. Vier Jahre später ist die Familie immer noch da in Berlin. Ihre Chancen auf einen unbefristeten Aufenthaltstitel: „Sehr gut“, sagt die Anwältin Berenice Böhlo, die die Familie seit Jahren mal mehr, mal weniger eng begleitet.
Jesma Zenkulović, 37 Jahre alt, serviert in der Plattenbauwohnung in Hohenschönhausen starken türkischen Kaffee – und dankt Gott. Das tut sie oft an diesem Nachmittag, an ihrem Küchentisch, und dabei legt sie eine Hand auf ihr Herz und sagt, „Endlich Ruhe im Kopf, endlich.“
Jesma Zenkulović muss aber neben Gott wohl vor allem sich selbst danken. Sie hat es geschafft, eine Vollzeitstelle als Putzkraft in einer Reinigungsfirma zu bekommen. Es reicht für die Miete der Dreizimmerwohnung. Aus dem Flüchtlingswohnheim in Lichtenberg, wo sie zuvor gewohnt haben, konnten sie 2017 ausziehen. „Schluss mit Jobcenter“, sagt Zenkulović.
Chance auf dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung
Für den Aufenthaltstitel ist das wichtig. Mindestens 60 Monate, also fünf Jahre lang, müssen Asylsuchende ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst in Deutschland bestritten haben. Dann besteht die Chance auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung.
Im Sommer 2016 hatte die Härtefallkommission der Innenverwaltung der Familie Zenkulović zunächst drei Jahre gewährt, wegen der guten Prognose – der Job der Mutter, die Wohnung, der Sohn ging zur Schule –, danach wurde die Genehmigung im Sommer 2019 um drei Jahre verlängert.
Im Sommer 2022 werden dann also sechs Jahre in Berlin für die Familie vergangen sein – und im Moment spricht alles dafür, dass sie dann zum letzten Mal bei der Ausländerbehörde vorstellig werden müssen.
Auch der Schulabschluss des Sohnes wird dann unter dem Punkt „günstige Prognose“ verbucht werden. Predrag hat in diesem Frühjahr nach der 10. Klasse seinen erweiterten Hauptschulabschluss geschafft. Er will eine Ausbildung machen: „Kfz-Mechaniker kann ich mir vorstellen. Oder Pfleger.“ Am liebsten will er eigentlich eine eigene Firma aufmachen, „Gebäudereinigung“, sagt er, aber er ist ja noch nicht volljährig. „Meine Mutter müsste alles für mich unterschreiben“, hat er bereits herausgefunden.
Die Mutter ist stolz auf den Sohn
Seine Mutter ist stolz auf ihn, das sieht man. „Mit Predrag ist immer alles gut“, sagt sie. Für ihre Tochter Victorija liefen die letzten Jahre weniger glatt. Sie, die inzwischen 19 Jahre ist, ist an diesem Nachmittag nicht in der Wohnung der Mutter mit dabei, sie richtet schöne Grüße aus. Aber ihre dreijährige Tochter, Zara, ist da.
Zara sagt „Mama“ zu ihrer Oma. Jesma Zenkulović hat beim Familiengericht das Sorgerecht für das Mädchen beantragt. Victorija wolle das so, versichern Mutter und Bruder. Im Moment liegt die Vormundschaft beim Jugendamt. Der Vater sei unbekannt, sagt Predrag.
Victorija wohne alleine, sagt der Bruder, aber viel Kontakt habe er nicht. Mal eine WhatsApp-Nachricht oder so. Seine Schwester sei vor drei Monaten nochmal Mutter geworden, wieder eine Tochter, Anna. Leider sei der Vater wieder verschwunden. Die 10. Klasse habe sie abgebrochen, einen Schulabschluss hat sie nicht. Victorijas Wohnung in Pankow bezahle das Jobcenter.
Für Victorija wird es 2022, wenn ihre Aufenthaltsgenehmigung abläuft, eng. „Sie muss sehr schnell auf die Füße kommen und etwas vorweisen“, sagt auch Rechtsanwältin Böhlo.
Ausgerechnet Victorija
Den ersten Aufenthaltstitel 2016 bekam die Familie wohl vor allem wegen Victorija. Die Härtefallkommission macht die Begründung ihrer Entscheidungen grundsätzlich nicht öffentlich. Aber ein Mitglied der Kommission sagte der taz damals, dass vor allem die Tatsache, dass Victorija in ihrem Heimatdorf wohl schwer vergewaltigt wurde – der Anlass für die dritte Flucht der Familie 2015 –, den Ausschlag gegeben habe, der Familie Aufenthalt zu gewähren.
Es ist eine traurige Pointe, dass ausgerechnet Victorija, wegen der die Familie überhaupt anfangs den Aufenthaltstitel bekommen hat, in zwei Jahren vielleicht mit ihrer jüngsten Tochter als Einzige zurück nach Serbien muss.
Im Juni haben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lediglich noch 24 Personen aus Serbien in Berlin einen Asylantrag gestellt, 27 einen Folgeantrag. Auch bei der Härtefallkommission machen Ersuche an den Innensenator um Aufenthalt nur noch einen sehr geringen Anteil aus, im laufenden Jahr 7 von 74 Ersuchen. Zwei davon wurden laut Innenverwaltung stattgegeben.
Seitdem Serbien 2016 mit dem Asylpaket II der schwarz-roten Koalition zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde, hat sich die Asyl-Option für die meisten Westbalkanländer quasi erledigt. Nahezu 100 Prozent der Anträge werden laut Asylstatistik abgelehnt.
Flucht aus purer Not und Armut
„Natürlich hat sich an der Problemlage aber nichts geändert“, sagt Rechtsanwältin Barbara Dubick, die in ihrer Kanzlei in Wedding vor allem Menschen vom Westbalkan berät. Noch immer kämen vor allem Roma aus purer Not und Armut hier an. Die Tatsache, dass jetzt auch ungelernte Arbeitskräfte, zum Beispiel auf dem Bau, bei Vorlage eines Arbeitsvertrags sofort ein Visum für sechs Monate bekämen, sei in der Praxis oft auch schwierig umsetzbar. Die Botschaft in Belgrad arbeite extrem langsam, erst recht in Coronazeiten.
Jesma Zenkulović’ Exmann will das jetzt versuchen. Er habe einen unterschriebenen Arbeitsvertrag bei einer Baufirma, sagt seine Exfrau. „Demontage und Abriss.“ Jetzt muss nur noch die Botschaft in Belgrad mitspielen. „Aber Wartezeit: 19 Monate“, sagt Jesma Zenkulović. Verfällt dann nicht der Arbeitsvertrag? „Er bekommt jederzeit einen, hat mein Chef gesagt“, sagt sie. Der „Chef“ habe nämlich neben der Reinigungsfirma auch noch die Baufirma.
Die Zenkulović könnten, so scheint es, wieder mal Glück haben.
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