Gefahrengebiete in Hamburg: Debatte gedeckelt
Die SPD verhindert, dass sich der Innenausschuss mit einem Polizeibericht über Gefahrengebiete befasst. Der eine durchwachsene Einschätzung liefert.
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HAMBURG taz | Schwamm drüber und Deckel drauf: Das scheint die Devise der Sozialdemokraten beim Thema „Gefahrengebiete“ zu sein. Die SPD-Mehrheit im Innenausschuss hat es am Dienstagabend abgelehnt, dass sich das Gremium der Bürgerschaft mit einem Abschlussbericht der Polizeispitze befasst. Darin gelangt eine Arbeitsgruppe um Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch zu der Einschätzung, der neuntägige Ausnahmezustand in Teilen von St. Pauli und Altona sei – auch – ein Schlag ins Wasser gewesen.
Nachdem es – in zeitlicher Nähe zur Großdemonstration für die Rote Flora sowie den Aktionen für die Lampedusa-Flüchtlinge – zu Attacken auf das Revier Lerchenstraße und die Davidwache gekommen war, erklärte die Polizeiführung im Januar Teile der westlichen Stadt zum „Gefahrengebiet“. Damit erlaubte sie sich verdachtsunabhängige Personen-und Taschenkontrollen, Platzverweise und Ingewahrsamnahmen. Betroffen waren davon rund 80.000 Menschen.
Im Bericht heißt es zwar, die Gefahrengebiete seien „angemessen“ gewesen – bei der Umsetzung allerdings hätten sich Schwächen gezeigt. So seien die Absprachen polizeiintern ungenügend gewesen, Einsatzkräfte nicht ausreichend über Ziele und Maßnahmen unterrichtet worden. Außerdem sei die Information der Öffentlichkeit teils unzureichend gewesen.
Am 2. Januar hatten Polizei-Gesamteinsatzleiter Peter Born und seine Führungsoffiziere die Maßnahme quasi im Alleingang anberaumt – unter gezielter Umgehung von Polizeipräsident Kopitzsch. Lediglich Vize-Polizeichef Reinhard Fallak war ins Bild gesetzt worden. Weil viele eingesetzte Polizisten über den Sinn und Zweck der Maßnahme nicht informiert gewesen seien, bemängelt nun auch der Bericht, sei es zu Vorfällen wie der überregional zur Kenntnis genommenen Beschlagnahmung einer Klobürste gekommen.
„Viele Fragen offen“
Am Dienstag hatte der Innenausschuss der Bürgerschaft vor, sich mit dem Bericht zu befassen. „Angesichts eines internen Papiers der Hamburger Polizei, das nur als Dokument des Versagens bezeichnet werden kann, bleiben eine Vielzahl von offenen Fragen an Innensenator Neumann“, sagte der CDU-Innenpolitiker Kai Voet van Vormizeele. Er kritisierte, dass Innensenator Michael Neumann (SPD) den Bericht vorab auch auf seiner persönlichen Homepage veröffentlicht hatte.
„Die Gefahrengebiete waren eine völlig unangemessene Maßnahme von Senat und Polizei. Ganz Deutschland hat wegen der massiven Einschränkung der Bürgerrechte Anfang des Jahres mit Unbehagen und Unverständnis auf Hamburg geblickt“, kritisiert auch Antje Möller (Grüne). Die Proteste dagegen seien laut und kreativ gewesen – und hätten den Senat zum Einlenken gezwungen. „Etliche Fragen bleiben jedoch offen“, so Möller. Da sei es ein durchsichtiges Manöver, wenn die SPD die Debatte unter dem Deckel halten wolle.
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