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Gefahren von CybermobbingBeleidigungen werden viral

Ein intimes Foto kursiert über WhatsApp auf dem Schulhof. Die Verbreitung ist kaum zu stoppen. Die Häme ist digital, die Wunden aber sind real.

Die Anerkennung, Identität oder Zugehörigkeit treibt die virtuelle Selbstdarstellung vieler Teenager an. Foto: imago/Science Photo Library

Seit „dem Vorfall“ vor zwei Wochen hat die 16-jährige Natalie*kaum ihr Zimmer verlassen. Sie liegt benommen im Bett, geplagt von Albträumen, Ängsten und Selbstmordgedanken. Dabei hatte alles harmlos begonnen: Natalie hatte mit Daniel* gechattet, geflirtet. Irgendwann bat er sie, vor der Webcam ihr T-Shirt hochzuziehen. Nur einmal, kurz. Sie zögerte, er sagte: „Och komm, das würde mir so gefallen.“

Gefallen wollte sie ihm, zog das T-Shirt hoch, lächelte verkrampft. Klick. Am nächsten Tag kursiert das Foto in der Schule. Mitschüler beugen sich über Smartphones, kichern. Eine Freundin sagt Natalie, dass sie es ist, über die da gelacht wird. Sie glaubt es erst nicht, der Moment war doch intim.

Das Foto verbreitet sich über WhatsApp in der ganzen Schule. Ob Daniel das selbst so gewollt hat, ist nicht bekannt. Auch über Facebook wird Natalie beschimpft: „Schlampe“, „Fotze“, „Bitch“, „geschieht ihr recht“, „wie dumm kann man sein, lol“.

Natalie ist ein besonders schlimmer Fall von Cybermobbing. Unter diesem Begriff wird gemeinhin die Demütigung über das Internet verstanden. Oft anonym und meist durch das Verbreiten von kompromittierenden Fotos oder Videos über soziale Netzwerke oder private Chatdienste. Cybermobbing kann einen Lawineneffekt haben – einmal losgetreten, ist die Verbreitung der Inhalte nicht zu kontrollieren.

Haben die Eltern versagt?

Die Fälle, die sich unter dem Begriff Cybermobbing ansammeln, reichen von heftigen Streiten über WhatsApp bis zu virtuellen Hexenjagden in sozialen Netzwerken, wie bei Natalie. „17 Prozent der Jugendlichen, die das Internet nutzen, berichten, dass über ihre Person schon einmal Falsches oder Beleidigendes im Internet verbreitet wurde“, heißt es in einer aktuellen Studie vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest.

Zu Hause erzählt Natalie erst einmal nichts, sie schämt sich. Die Familie: zwei Kinder, Akademiker-Eltern, Eigentumswohnung in Hamburg-Eimsbüttel. Als Natalie den dritten Tag wegen Magenkrämpfen nicht in die Schule will, bohren ihre Eltern nach. Natalie gesteht, die Eltern sind geschockt, fühlen sich hilflos. Warum hat die Tochter das getan? Haben sie als Eltern versagt? Und vor allem: Wie können sie Natalie schützen? Im Gegensatz zu Schulhofmobbing kann man vor dem Cyber-Terror nicht fliehen.

Virale Dynamiken entbehren jeder Vorhersehbarkeit

Nur mit einem vorläufigen Handyverbot können die Eltern Natalie davon abhalten, im 5-Minuten-Takt ihr Handy auf neue Gemeinheiten zu scannen. Natalie zeigt Symptome einer „akuten Belastungsreaktion“, die im Klinik-Jargon auch häufig den Zustand von Menschen nach einer Vergewaltigung, einem Unfall oder dem Tod eines geliebten Menschen beschreibt. In ihrer Not wendet sich die Familie an eine Kinder- und Jugendpsychiatrie, dort werden Natalie und die Eltern einige Wochen psychologisch betreut.

Ob sie ihrer Tochter keine Medienkompetenz beigebracht hätten, hören die Eltern von anderen Eltern. Aber was soll das eigentlich sein, Medienkompetenz?

Unvorstellbare Verbreitung

Laut Wikipedia ist es die Fähigkeit, Medien und ihre Inhalte den eigenen Zielen und Bedürfnissen entsprechend zu nutzen. Doch was sind die Ziele und Bedürfnisse von Heranwachsenden? Sie befinden sich in einer Phase der Suche – nach Anerkennung, Identität, Zugehörigkeit. Diese Suche treibt die virtuelle Selbstdarstellung. Und oft auch das Weiterverbreiten verletzender Inhalte.

Das Internet mit Like-Buttons, sozialen Plattformen und WhatsApp-Gruppen ist eine Bühne, auf der junge Menschen sich einem natürlichen Bedürfnis gemäß ausprobieren können. Wie weit die Bilder und Inhalte verbreitet werden, wie einfach das geht, kann der Teenagergeist nur schwer antizipieren. Und für den Widerhall in extremen Fällen wie Natalies ist die Teenagerseele kaum ausgestattet.

Können Eltern das verhindern? Sie können Teenager dazu ermutigen, das Internet für bestimmte Aktivitäten weniger zu nutzen als für andere. Sie können sie dazu anhalten, die echte Welt über der virtuellen nicht zu vernachlässigen. Sie können ihnen einbläuen, dass Privatsphäre im Internet eine Illusion ist und Inhalte sich möglicherweise nie wieder löschen lassen.

Aber das Vermitteln von Medienkompetenz hat seine Grenzen. Sie verlaufen dort, wo es um sozialen Austausch geht und das Internet seine gefährliche Eigendynamik entfaltet. Natalie hat sich in einem Moment der Unbedachtheit ganz entblößt, andere Jugendliche werden schon mit weniger brisanten Fotos oder ohne ersichtlichen Anlass zur Zielscheibe.

Nicht vorhersehbar

Virtuell gehen Beleidigungen schneller von der Hand, sind aber zugleich allgegenwärtiger. Zudem lädt diese anonyme und barrierefreie Spielwiese zu einem ungezügelteren Umgangston ein. So sehr, wie sich ein Facebook-Kommentar-Thread zur Flüchtlingspolitik zu einem viralen Shitstorm entwickeln kann, so kann das auch ein kommentiertes Foto von Teenagerbrüsten über WhatsApp.

Virale Dynamiken entbehren häufig jeder Vorhersehbarkeit. Sich als Teenager im Internet daher stets auf eine Weise zu verhalten, die ein Cybermobbing ausschließt, ist unmöglich.

Natürlich ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Was offline ein Strafbestand ist (Verleumdung, Nachstellung, Beleidigung), ist es auch online. Zudem wurde im Januar 2015 der Gesetzesparagraf, der die „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches“ strafrechtlich regelt, verschärft. So ist seitdem zum Beispiel auch das „Zurschaustellen hilfloser Personen“, wie Betrunkener, strafbar.

Aber eine Straftat im Internet bleibt schwer zu ahnden, Nutzungsbedingungen und „Netiquetten“ schwer sicherzustellen. Deshalb braucht es ein neues Verständnis für den virtuellen Umgang miteinander.

Medienkompetenz vorleben

Das Vermitteln von Medienkompetenz ist nie abgeschlossen. Es führt kein Weg drum herum, dass Erwachsene immer wieder mit Jugendlichen über den dem Netz immanenten Zwiespalt sprechen: Um andere virtuell zu verurteilen und zu verletzen, bedarf es nur eines Mausklicks. Doch die Wunden und die Scham der Beschimpften sind real.

Dabei ist dieses Gespräch mehr als eine Erziehungsaufgabe von Eltern und Lehrern. Es ist ein gemeinsamer Lernprozess und ein gesamtgesellschaftlicher Lehrauftrag. Das beinhaltet, dass Medienkompetenz nicht nur vorgebetet, sondern auch vorgelebt wird. Auf jugendaffinen Webseiten und Kommunikationsplattformen muss ein verbales Umfeld geschaffen werden, das Orientierung gibt darüber, was in Ordnung ist und was nicht.

Die Jugendzeitschrift Bravo brachte vor einigen Wochen ein anschauliches Anti-Beispiel. Bei Dr. Sommer war eine „Brüste-Galerie“ einzusehen – etwa zehn Bilder von Teenie-Brüsten unterschiedlicher Größe und Form. Für orientierungssuchende Mädchen kann das ein hilfreicher Beitrag in gewohnter Bravo-Manier sein. Allerdings war jedes der Brustfotos versehen mit einem Bewertungsbutton: „Fail“, „Bitch“, „OMG“.

Bewertung per Mausklick

Die Betrachter konnten abstimmen, wie ihnen die gezeigten Brüste gefallen. Abgesehen davon, welchen Effekt das Lesen von „286x Fail und 67x Bitch“ auf ein 16-jähriges, ohnehin von Schönheitsnormen geplagtes Mädchen hat, stellt sich die Frage: Was sollen solche Buttons 16-jährigen Buttondrückern vermitteln?

Dass es sich dabei um angebrachte Kategorien für die Beurteilung von Menschen oder Körperteilen handelt? Dass es okay ist, Menschen auf diese Art per Mausklick zu bewerten, aus der Anonymität seines Kinderzimmers mit Chipskrümeln auf dem Schoß?

Eine solche Bewertungsleiste suggeriert Jugendlichen einen fragwürdigen Verhaltenskodex. Er fördert „trolliges“ Verhalten und leistet dem Trugbild der Unverbindlichkeit einen gewaltigen Vorschub. Immerhin, im Falle der Brustbilder haben die Internetnutzer ihr volles Potenzial entfaltet: Nach einem Shitstorm hat die Bravo-Redaktion die Bewertungsleiste entfernt.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

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26 Kommentare

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  • Teenager neigen dazu, die Verhaltensweisen Erwachsener in etwas vereinfachter und häufig auch zugespitzter Form zu kopieren. Früher erzählte man sich auf dem Schulhof "Geschichten" übereinander, heute zeigt man Filme oder Photos, die übers Internet verbreitet werden. Aber immer wird damit demonstriert, wo sich das kulturelle Level befindet, auf dem man lebt. Unabhängig vom sozialen Status.

    Dort wo "Natalie" und vermutlich auch "Daniel" zur Schule gehen, scheint die Welt sich nach recht dysfunktionalen Mustern auszurichten. Bzw. die Erwachsenen den Heranwachsenen ziemlich fragwürdige Werte vorzuleben. Denn ansonsten wäre es "Daniel" gewesen, der den Shitstorm abbekommen hätte. Mit Titulierungen wie "asozialer Motherfucker". Oder so. Auf jeden Fall hoffe ich, dass es noch ein paar vernünftige Leute gibt, die einander vor Typen wie "Daniel" warnen. Es könnte sich auch einer der Väter (Lehrer) oder noch Schlimmeres hinter dem Pseudonym verbergen. Wäre nicht das erste Mal. "Cybergrooming" als Solches erkennen. Immer damit rechnen, dass der Feind sich ganz in der Nähe aufhält. Auch ein Teil der Medienkompetenz.

  • An Schulen sollte mehr Aufklärung über dieses Thema stattfinden. Sensibilisierung ist wichtig.

  • Ich habe inzwischen fast die Hoffnung aufgegeben, dass Cybermobbing oder ähnlichen kriminellen Taten im Internet etwas Wirksames entgegen gesetzt werden kann. Alle Versuche, die wir an unserer Schule auf verschiedensten Ebenen in den letzten Jahren gestartet haben, sind mehr oder minder gescheitert. Immerhin war die wichtigste Ursache für diese Misserfolge meistens einfach zu auszumachen:

     

    Für den Großteil der Schüler/-innen ist die Nutzung der Netze schon lange kein Mittel zum Zweck mehr, sondern stellt statt dessen eine "Ersatzreligionsausübung" dar. Und für viele ist diese „Religion“ eine wahrlich fundamentalistische. Wie oft schleuderte ein/e Schülerin in einer Diskussion über Risiken der Mediennutzung so etwas wie "Ich hasse alle, die das Internet nicht lieben" in die Menge und fand durchaus großes Verständnis? Von diesem Moment an war die Debatte genauso fruchtbar, wie es der Streit um die Existenz eines Gottes gewesen wäre.

     

    Die Verantwortung für diese erstaunliche (?) Einstellung ist natürlich nicht bei den jungen Menschen anzusiedeln. Versagt hat hier offensichtlich ein großer Teil der Gesellschaft, die, von der EDV-Industrie angefangen bis hin zum völlig realitätsblinden Nerd, tagtäglich die allein seligmachende Nutzung der IT-Produkte anpries. Insofern müsste die Vermittlung von Medienkompetenz frühzeitig u. a. auch diese extreme Überhöhung thematisieren und infrage stellen.

    • @Urmel:

      Mobbing und auch Cybermobbing haben per se erstmal nichts mit den modernen elektronischen Medien und sozialen Plattformen des Internet zu tun. Taschenrechner-Idioten gab es auch schon vor dem Handy- und Internetzeitalter, aber für die Mobber eröffnen sich gigantische Möglichkeiten im zudem quasi rechtsfreien Raum.

       

      Statt endloser Diskussionen pro und contra Smartphones ist es zielführender, gruppendynamische Vorgänge inkl. Mobbing auch eingehend im Unterricht zu thematisieren und natürlich weiterhin Projekte wie "Die Welle" zum Pflichtprogramm zu machen, sei es als Theater-AG oder zumindest als Film mit anschließender gut moderierter Diskussion.

    • @Urmel:

      Man kann und darf Jugendlichen nicht die Verantwortung generell absprechen.

       

      Sie wissen nicht mehr weiter ! Schlimm, aber warum ist die Gesellschaft Schuld ?

      Warum hat es an Ihrer Schule nicht geklappt ? Wurden die falschen Mittel benutzt, wurden sie falsch angewendet, oder zu kurz....

      Welche Erwartung hatten Sie und Ihre Schule - zu hohe ???

       

      Und was bitte schön hat Mobbing mit den IT-Produkten zu tun ? Es gibt und gab in den Schulen nicht nur Cybermobbing.....

      • @Torsten Pauleit:

        Tja, was soll ich dazu sagen? Auf alle ihre durchaus berechtigten Vorschläge, Einwände und Fragen einzugehen, reicht leider der hier zur Verfügung stehende Platz nicht aus. Es ist eben ein extrem vielschichtiges Problem.

         

        Zu Ihrem letzten Satz dennoch eine kurze Anmerkung: Versuchen Sie z. B. heutzutage einmal, Kindern oder Jugendlichen klarzumachen, dass es sinnvoll ist, sich ein Minimum an Zahlengefühl oder Größenordnungen anzueignen. Sie müssen in jedem Fall mit massivem Widerstand rechnen, wenn Sie verlangen, so hochkomplizierte Aufgaben wie 18 plus 5 ohne jegliche EDV-Unterstützung auszurechnen. "Dafür gibt es doch einen Taschenrechner oder mein Smartphone" ist die übliche Reaktion. .Immerhin hilft in solchen Fällen häufig der Hinweis, dass im Rahmen von Checks vor der Vergabe eines Ausbildungsplatzes immer häufiger auch ganz profanes Kopfrechnen abgeprüft wird.

         

        Auch dieses Thema kann ich nur ansatzweise schildern. Über negative Auswirkungen eines weitgehend planlosen, wenn nicht gar kontraproduktiven Einsatzes von EDV in der Schule existieren aber weltweit jede Menge Untersuchungen.

         

        By the way: Einer meiner Berufe ist Programmierer und ich nutze EDV seit 1969 quasi täglich. Ich habe mich jedoch zunehmend mit der Problematik herumschlagen müssen, dass immer mehr junge Menschen der IT-Industrie geglaubt haben, das ganze Leben bestünde darin, sich einen Computer (Laptop, Tablet, Smartphone) anzuschaffen und schon sei die Benutzung des eigenen Gehirns völlig überflüssig geworden (vielleicht etwas überspitzt ausgedrückt, vielleicht aber auch nicht).

    • @Urmel:

      Eltern nicht zu vergessen. Ein Kind kann Respekt und den ungeheuer schwierigen Widerstand gegen eine falsch handelnde Gruppe nur lernen, wenn es von klein auf darin bestärkt wird. Und dazu braucht es Eltern, die auch ohne, dass gerade Alarm ist, mit ihrem Kind über solche Dinge reden, es in kleinen Alltagssituationen ermutigen, seine Meinung zu sagen UND anderen zuzuhören usw.

      Dazu braucht man Zeit, Geduld und ein paar tiefer gehende moralische Gedanken im eigenen Leben. Institutionen kommen erwiesenermaßen zu spät und/oder können die Kinder nicht in dem Maße und der Weise erreichen (Vertrauen, Zeit, Geborgenheit) wie Eltern das können.

      • @Karl Kraus:

        Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Ohne die Unterstüzung der Eltern wird das Ganze geradezu unlösbar. Wir haben daher schon seit langem bei allen Initiativen die Eltern mit einbezogen - ebenfalls mehr oder minder erfolgreich. Eines ist jedoch offensichtlich: Selbst wenn die Eltern gemeinsam mit den Lehrern an einem Strang ziehen: Ab einem gewissen Alter des Kindes kommt man gegen die "Koalition" Kind-Smartphone argumentativ nicht mehr an. Es siegt ganz einfach die Sucht (deren Existenz in unserer Gesellschaft weitgehend nicht zur Kenntnis genommen wird).

        • @Urmel:

          Und an der Stelle muss ich immer kotzen, wenn Leute damit Geld machen, dass sie Kinder und Jugendliche erst anfüttern und dann davon profitieren, dass sie sich nicht mehr davon lösen können. Das ist wie Drogenhandel, nur dass wir das ganz toll finden und es Fortschritt nennen.

          • @Karl Kraus:

            So ist es!

  • Natalies verlorene Ehre

     

    In einem Akt „virtueller Selbstdarstellung“ „entblöste sich“ Natalie vor Daniel. Daraufhin „wurde sie zur Zielscheibe“ denn natürlich hatte ihre Handlung einen „Widerhall“ den sie mit ihrem „Teenagergeist“ nicht antizipieren konnte: Durch die „gefährliche Eigendynamik des Internets“ entstand ein Bild. Obwohl Daniel das eigentlich „selbst nicht so wollte“ führte der „Lawineneffekt“ des Cybermobbings dazu, dass das Foto „sich bald in der ganzen Schule verbreitete“. Natalies Eltern waren geschockt: „Warum hatte ihre Tochter das getan? Hatten sie als Eltern versagt?“ Sie erteilten Natalie ein vorläufiges Handyverbot. Sie sollten Natalie beibringen, dass „Privatsphäre im Internet eine Illusion ist und Inhalte sich möglicherweise nie wieder löschen lassen“.

     

    Entschuldigung, angesichts der Wortwahl dieses Artikels muss ich aufpassen nicht in einen Shittornado gesaugt zu werden. Warum nicht so:

     

    „Natalie und Daniel teilten per Webcam einen intimen Moment. Das war weder moralisch falsch, noch medieninkompetent, da einvernehmlich und millionenfach vorgelebt von Menschen die deshalb nicht damit rechnen müssen, Opfer von Cybermobbing zu werden. Schließlich ist auch online die Privatsphäre gesetzlich geschützt.

    Doch leider wurde ihr Vertrauen von Daniel missbraucht, der ein Aufnahmeprogramm mitlaufen ließ (das Bild entstand ja nicht einfach so). Da es ihm neben Medienkompetenz auch an grundlegendem Anstand und Rechtsbewusstsein mangelte schickte er das Bild zudem an seine Freunde. Diese gaben das Bild weiter bis die ganze Schule es gesehen hatte, anstatt es zu LÖSCHEN und Daniel die Meinung zu sagen.

    Leider suchten Natalies Eltern die Schuld an diesem miesen Spiel bei Natalie und verboten ihr das Handy statt sie zu unterstützen.“ Dann bitte noch die Info ob sich ein Schulpsychologe der Schulgemeinschaft bzw. die Staatsanwaltschaft Daniels und der übelsten Mobber angenommen hat.

  • Als ob man vor Schulhofmobbing fliehen könnte…

  • Cybermobbing ist bei weitem nicht auf Schulhöfe beschränkt, sondern zieht sich auch quer durch Fachforen und -portale, auf die viele Menschen aus beruflichen Gründen angewiesen sind. Der Hinweis "Knöpfchen aus!" hilft noch nicht einmal gegen Schulhof-Cybermobbing, denn wer bei den Social-Media-Plattformen nicht mitmischt, wird auch automatisch zum Außenseiter, ergo gemobbt.

     

    Was ist aber, wenn der Admin eines IT-Forums selber mobbt, oder wenn in einem Firmennetzwerk Mobbing betrieben wird, aber niemand sich verantwortlich fühlt, das zu unterbinden?

     

    Hier helfen keine bloßen Appelle, sondern nur exakte gesetzliche Regelungen! Wer jemand anderem ein paar aufs Maul haut, bekommt es mit dem Gesetz zu tun, wer andere aber per Intenet seelisch verletzt, tut dies heutzutage bei uns noch weitgehend ungestraft.

  • Wie bitte? "Im Gegensatz zu Schulhofmobbing kann man [...] dem Cyber-Terror nicht [ent-]fliehen"? Ja haben die Geräte denn nicht fast alle diesen (meistens roten) Knopf, mit denen man sie abschalten kann? Doch, haben sie, das weiß ich ziemlich sicher. Viel wichtiger ist also die Frage, was das für Eltern sind, die so mit ihrem Kind umgehen.

     

    Lernt man so etwas am Hamburg-Eimsbütteler Stammtisch, an deutschen Unis oder doch vom Makler seines Vertrauens?

     

    Für mich sieht es aus, als befänden sich nicht nur bundesdeutsche Teenager "in einer Phase der Suche nach Anerkennung, Identität, Zugehörigkeit", die ihre "virtuelle Selbstdarstellung" antreibt. Auch angeblich Erwachsene, allen voran die "Berufsmedien" sind auf der Suche – und geraten dabei immer wieder auf Abwege. Wie anders ist es zu erklären, dass Natalies* Eltern die durchaus verletzende Behauptung fremder Leute, ihre Tochter hätte "keine Medienkompetenz", in Richtung Tochter "weiterverbreiten", statt sich mit Daniel* und seinen Kumpels auseinanderzusetzen?

     

    Diese Leute sollten sich was schämen, finde ich. Es ging hier eindeutig nicht um die "Medienkompetenz". Es ging um zwischenmenschliches Vertrauen. Um enttäuschtes Vertrauen, um genau zu sein. So was kommt vor. Nicht nur im Netz. Da aber auch. Wer nicht zwischen Moral und Technik unterscheiden kann, der sollte einfach mal die Klappe halten, statt "ganz entblößt" ins Netz zu schreiben, wenn jemand mal sein T-Shirt hebt. Das nennt man nämlich, habe ich gelernt, auf Neudeutsch Victim-Blaming. Und überhaupt: Sind wir hier in den USA, wo Mädchen hochgeschlossen bleiben müssen bis nach der Trauung in der Evangelikalen Kirche?

     

    Es wäre besser, denke ich, erst einmal das Hirn auf "Ein" zu stellen, bevor man solche Texte schreibt und/oder Kinder kritisiert. Nur gibt es dafür leider keinen (roten) Knopf.

    • @mowgli:

      ..und dann ? Ich schalte den Knopf aus und dann ist Cyberterror einfach weg ?

      Und wenn man den Knopf wieder einschaltet ??? Kapier' ich nicht.....

  • Früher hatten Menschen Angst davor, dass ihnen mit einem fotografischen Abbild die Seele geraubt würde.

     

    Es gibt schon auch nen Grund für das Recht am eigenen Bild.

     

    Die Gründe für das, was hier geschildert wurde, liegen allerdings tiefer -wenn jemand haten will, wird er einen "Beweis" für die Abartigkeit des Gehateten finden.

  • Victim blaming? Ich finde in diesem Beitrag höchst problematisch, wie implizit die Schuld auf Natalies fehlende "Medienkompetenz" geschoben wird. Cyper-Mobbing ist Gewalt, das Verbreiten von Intimbildern, um eine Person zu demütigen, ist Gewalt. Da ist die Person, die das erleiden muss, nicht dran Schuld, sondern diejenigen, die das tun. Und ich finde es auch fraglich, woher die Annahme kommt, dass ihr Freund das nicht gewollt habe. Er muss ja zumindest ein Screenshot von seiner Webcam gemacht haben, ohne ihre Einwilligung, und das zumindest einmal weitergeschickt haben, sonst wäre das ja nicht passiert. Er hat hier die Verantwortung zu tragen, genauso wie alle, die am Mobbing teilgenommen haben.

    • @leserin:

      Dieser Beitrag impliziert nicht die fehlende Medienkompetenz, sondern ist ein Teil davon.

       

      Wie kommen Sie auf die Idee, das ihr Freund es mit Absicht getan hat.

      Ein anderer kann durchaus das Screenshot fotografiert haben.

       

      Und wieso hat Natalie ihre Brust gezeigt obwohl sie anfangs gezögert hatte ? War sie naiv und leichtsinnig oder fühlte sie ich von ihrem Freund stark unter Druck gesetzt.

       

      Hätte sie die Tragweite ihre Handlung erkennen können ?

    • @leserin:

      Ich frage mich auch, wieso hier nicht ganz normal die Polizei eingeschaltet wird — und die Person ermittelt, die das Bild verbreitet hat. Entweder das war der Freund, oder dessen Rechner wurde geknackt. Beides ist nachweisbar.

       

      Als nächsten Schritt der Schule melden, dass etwas wirkungsvolles unternommen werden muss, dass das Mobbing aufhört und es eine Wiedergutmachung gibt (mindestens eine Entschuldigung und Maßnahmen, dass die Schülerin in der Klasse wieder normal angenommen wird), weil ansonsten die Eltern alle wegen Beleidigung anzeigen werden, die entsprechendes online geschrieben haben.

      • @Arne Babenhauserheide:

        Woher wissen Sie, dass die Polizei nicht bereits eingschaltet wurde - weil

        es da nicht steht ? Ich bitte Sie.....

  • Schuld am Mobbing ist nicht Natalie, die etwas mehr gezeigt hatte, als sie wollte. Schuld am Mobbing ist auch nicht ihr Freund, der das Bild vielleicht einem anderen Freund geschickt hat. Schuld am Mobbing, sind alle diejenigen, die verletzende Kommentare posten nur weil sie ein Mädchen mit nacktem Oberkörper sehen.

    Wir können unser Leben nicht hermetisch abriegeln, dass keine peinlichen Momente mehr vorkommen. Ich halte auch nichts von der Idee, alle Fotos zu verbieten, die irgendwie peinlich sein könnten. Wir müssen gerade in der Schule eine Zivilgesellschaft haben, die nicht jedes aus dem Rahmen fallende Detail zum Gegenstand von Mobbing macht.

    Hier am Foto anzusetzen ist der falsche Weg. Bei anderen ist es die Tatsache, dass die Mutter in der Stadt mit einem anderen Mann gesehen worden ist oder etwas was über die Eltern in der Zeitung stand. Nicht die Abbildungen vom nicht immer vorbildlichen Leben sind das Problem sondern der Umgang damit.

    Inzwischen wissen Personalchef_innen auch, dass ein nicht mehr nicht ganz witziges Facebook-Foto nicht bedeutet, dass der oder die Bewerber_in unseriös sind. Nun müssen wir es auch unseren Kindern beibringen. Raus aus der defensiven Schutzzone und rein in den zwischenmenschlichen Umgang ohne Mobbing oder Häme.

    Hier hat nicht die Medienkompetenz der Eltern, von Natalie oder ihrem Freund versagt - hier hat die Sozialkompetenz vieler Schüler_innen an Natalies Schule versagt. Das müssen wir lehren und nicht Symptomdoktorei, die langfristig zu Lasten der Meinungsfreiheit geht.

    • @Velofisch:

      Seit mehr als zwei Jahrzehnten schon lassen sich die "westlichen" Gesellschaften (die Linken vorneweg) von Leuten, die diffuse Ängste schüren, nach rechts treiben wie eine Herde dummer Schafe. Das hier ist mal wieder so ein trauriger Fall. Besonders ärgerlich daran ist, dass er in der taz verhandelt wird. In einem Medium also, dem man als Leser gerne irgendwie vertrauen würde, weil es so wenig Auswahl gibt.

       

      Sie haben völlig recht, VELOFISCH: Schuld ist nicht Natalie. So wenig, wie die Flüchtlinge schuld sind, wenn eine Kanzlerin sich überfordert fühlt und deshalb falsch entscheidet oder ein CSU-Chef hetzt bzw. hetzen lässt. Saskia Pfähler betreibt hier das Geschäft der Mobber. Die erscheinen als die Starken, Mächtigen, vor denen man sich tunlichst fürchten und an denen man sich orientieren muss, wenn man nicht Schaden nehmen will. Taz lesende Eltern, die ihrer Zeitung trauen, dürfen nun beruhigt glauben, es sei ein Ausdruck ihrer Medienkompetenz, wenn sie ihren Kindern autoritär den Umgang mit technischen Geräten untersagen und/oder sie zum Psychologen schleppen. Und zwar immer dann, wenn Gleichaltrige sie enttäuscht und/oder grob beleidigt haben. Das ist zum Kotzen, finde ich.

       

      So etwas zeugt von einem eklatanten Mangel an Sozialkompetenz. Und dieser Mangel ist gewollt. Er ist nämlich ein Herrschaftsmittel. Schade, dass Frau Pfähler das entweder nicht kapiert oder bewusst nutzt, um auf sich aufmerksam zu machen und sich zu empfehlen für etwaige Folgeämter. Und wenn ich nun nicht glauben würde, dass Journalismus keine Therapiesitzung ersetzen darf, müsste ich mir, wie Friedrich Küppersbusch grad formuliert, "arg aufs Helfersyndrom schlagen", um nicht an Frau Pfähler rumzudoktern. Ihr "Heil mich!" ist nämlich klar und deutlich bei mir angekommen.

    • @Velofisch:

      Langfristig ist dein Ansatz natürlich richtig. Nur, ist das überhaupt umsetzbar, bzw. wie lange wird das dauern? Das Problem sind ja nicht nur die Schüler und Schülerinnen, sondern auch Leute, die gar nicht mehr zur Schule gehen und sich trotzdem mobbend verhalten.

       

      Trotzdem verstehe ich nicht, wie man überhaupt nicht an denjenigen herantritt, der das Bild weiterverbreitet haben muss. Das hat ja nicht mal was mit Medienkompetenz zu tun, sondern mit normalem Anstand. Vertrauliches hat vertraulich zu bleiben.

       

      Und genau deswegen ist es, wie Velofisch schon schreibt, falsch, davon auszugehen, dass dies ein vom Opfer selbst herbeigeführtes Problem wäre. Schaut man wenn man mal unterwegs ist vom Smartphone auf, dann erkennt man, dass fast jeder mit einem Smartphone unterwegs ist. Viele mit einem gezückten. Man kann nie sicher sein, ob man vielleicht gerade gefilmt wird. Erst recht nicht, wenn einem ein vielleicht peinliches Missgeschick passiert. Das kann gefilmt oder fotografiert werden und gleich an Freunde geschickt werden. Irgendwann landet es dann vielleicht immer mehr in der Öffentlichkeit. Und so kann dann jeder darüber lachen, weinen oder was auch immer. Der gefilmte oder fotografierte hat nie die Zustimmung gegeben und weiß vielleicht nicht mal was davon.

       

      Und wer ist da jetzt Schuld? Die Person die gestolpert ist, so wie es jedem von uns mal passieren kann? Die Person die sich vornübergebeugt hat und unfreiwillig große Teile ihrer Brüste entblößt hat? Die Frisur, die nun komisch aussieht, weil ein starker Wind ging?

       

      Ich bitte euch, da kann man so viel Medienkompetenz haben wie man will. Da hilft es eigentlich nur konsequent die Öffentlichkeit zu meiden. Leider kann ich mir das nicht leisten.

      • @Georg S.:

        Wie lange "das dauern" wird, bis eine gewisse Sozialkompetenz Allgemeingut ist? Seltsame Frage!

         

        Bis zu dem Punkt, an dem wir jetzt gerade stehen, soll es etwa 500.000 Jahre gedauert haben. 2015 mauern wir schon keine kleinen Kinder mehr in Burganlagen ein und wir verbrennen auch keine Hexen bei lebendigem Leib. Weiter allerdings haben wir es nicht gebracht bislang. Was vor allem daran liegen dürfte, dass soziales Verhalten dem Menschen nicht angeboren wird. Es gibt kein (mutiertes) Gen, das uns zu guten Menschen macht. Sozialkompetenz muss jeder Einzelne in jeder Generation neu erwerben – oder er hat sie nicht. Und selbst wenn ein Mensch ganz theoretisch weiß, was richtig wäre, muss er auch im konkreten Augenblick nach bestem Wissen handeln. Fragen Sie sich doch bitte einmal selbst, in wie vielen von 100 Fällen Ihnen das bereits gelingt – und wann genau sie voraussichtlich bei 100% angelangt sein werden

         

        Ich persönlich glaube nicht, dass ein Ende des Ärgers abzusehen ist. Auch nicht in noch mal 500.000 Jahren. Es wird wohl auch in Zukunft immer mal wieder zu sozialen Ausfallerscheinungen kommen. Sei es, weil Eltern versagen, sei es, weil die Gesellschaft als Ganze versagt, sei es auf Grund von individuellen Störungen im Kopf. Es wäre also gut, wenn wir unseren Kindern nicht nur eigene Sozialkompetenzen beibringen würden, sondern auch den Umgang mit den fehlenden Sozialkompetenzen anderer. Dazu allerdings müsste diese fehlende Kompetenz erst einmal als Realität anerkannt und nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter den Teppich gekehrt werden. Leider ist dafür die Angst zu groß. Image muss schließlich sein, wenn man im Leben vorwärts kommen will.

        • @mowgli:

          Die Sozialkompetenz fehlt nicht nur bei den Leuten, die beim Anblick eines etwas freizügigeren Fotos meinen, Schimpfworte schreiben zu müssen. Die Sozialkompetenz fehlt auch bei den Leuten, die meinen Natalie oder ihren Freund für die Beleidigungen verantwortlich zu machen.

          Eine Beleidigung ist viel weniger schlimm, wenn sich das Gros der Umgebung mit dem beleidigten Menschen solidarisch erklärt. Wenn auf jede Facebook-Beleidigung drei Leute entsprechend darauf antworten würden, würde sich Natalie bei weitem nicht so schlecht fühlen. Hier aber passiv zu bleiben und die angeblich fehlende Medienkompetenz von Natalie, ihren Eltern und das Fehlverhalten ihres Freundes in den Fokus zu stellen, schiebt nicht nur die Schuld dem Opfer zu, sondern macht es erst zum Opfer in dem die Beleidigungen dadurch erst ihre Wirkung entfalten können.

          Von daher müssen wir nicht darauf hoffen, dass auch die letzten 5% Sozialkompetenz entwickeln. Es würde reichen, wenn 50% so viel Medienkompetenz hätten sich mit Natalie solidarisch zu erklären.

          Das war übrigens auch beim vordigitalen Mobbing der Fall - die schweigende Masse, die sich vielleicht noch über die "Scherze" zu Lasten des Opfers amüsiert, ermöglicht erst dass das Mobbing seine negative Wirkung entfaltet.

          • @Velofisch:

            danke. Sehr gut.