Gefährdetes Asylrecht in Europa: Flucht aus der Verantwortung

Großbritanniens Abschiebepolitik ist empörend. Dabei ist sie längst nicht die größte Grausamkeit im Umgang mit Flüchtlingen, deren Zahl weltweit steigt.

Dutzende flüchtende Menschen verunglückten am 25. Mai vor der Küste Tunesiens Foto: Valeria Ferraro/ap

Der am Dienstag vorerst gefloppte Versuch Großbritanniens, Schutzsuchende noch vor dem Asylverfahren nach Ruanda zu verfrachten, hat Symbolwert. Klarer kann ein Land nicht sagen, dass es formal am Asylrecht festhalten, dieses aber niemandem, der darauf angewiesen ist, gewähren will. Und so sind die Gerichtsurteile, die die Abschiebung der zunächst 31 Flüchtlinge aus London nach Kigali stoppten, ein wichtiger Etappensieg bei der Verteidigung des Asylrechts.

Die Spitze europäischer Grausamkeiten gegenüber Flüchtlingen markiert der Ruanda-Deal indes nicht. Auch Dänemark versucht, seine Abschiebehaft in das Kosovo auszulagern, und verhandelt mit afrikanischen Staaten über exterritoriale Asylverfahrenslager. Und die von der EU aufgebaute libysche Küstenwache hat allein in diesem Jahr rund 8.000 Menschen kurz vor dem Erreichen europäischer Gewässer gestoppt und zurück in Folterlager in Libyen gebracht. In den vergangenen 6 Jahren summierte sich die Zahl der zurück nach Libyen Geschleppten auf über 80.000. Sowohl was Entrechtung als auch was die eingesetzte Gewalt angeht, stellt diese Strategie der Flüchtlingsabwehr den Londoner Plan klar in den Schatten. Von der aktiven Behinderung der Seenotrettung im Mittelmeer ganz zu schweigen.

Welches Ausmaß das globale Flüchtlingselend hat, zeigt der am Donnerstag erscheinende UNHCR-Jahresbericht. Über 100 Millionen Vertriebene gibt es heute auf der Welt. Schutz im Sinne siche­rer und menschenwürdiger Lebensumstände erhalten nur die wenigsten.

Die Zahl ist gewaltig, unhändelbar aber ist sie nicht. Was alles möglich ist, wenn der politische Wille zur humanitären Hilfe und Aufnahme da ist, hat sich in der Ukrainekrise gezeigt. Sie steht in eklatantem Gegensatz zur Bereitschaft, andere Gruppen von Schutzsuchenden abzuwehren, auch mit brutalsten Mitteln. Die freiwillige Aufnahme, die so gern als Ausweg aus dieser Menschenrechtskrise beschworen wird, gibt es bis heute nur in homöopathischen Dosen. Woran es fehlt, ist schlichtweg die Bereitschaft, sich an das bisher geltende Flüchtlingsrecht zu halten und Zugang zu diesem zu gewähren.

Genauso wichtig aber ist, dafür zu sorgen, dass nicht immer mehr Menschen neu vertrieben werden. Bis heute sind bewaffnete Konflikte die Flucht­ursache Nummer eins. Diesen Rang könnte schon bald die Klimakrise einnehmen. Bislang aber erfasst die Weltgemeinschaft „Klimaflüchtlinge“ noch nicht einmal. Klimaschutz und Konfliktprävention – wer nicht immer weiter anschwellende Flüchtlingszahlen will, muss diese Dinge angehen.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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