Gedenken an Oury Jalloh in Dessau: „Wie lange sollen wir noch warten?“

Vor 15 Jahren verbrannte Oury Jalloh unter zweifelhaften Umständen in Polizeigewahrsam. Am Dienstag erinnerten AktivistInnen an den Sierra Leoner.

Eine Gruppe von menschen, im Vordergrund zwei Polizisten mit helmen und Schlagstöcken

Dessau, 7. Januar: Demonstrant:innen legen vor der Staatsanwaltschaft Feuerzeuge und Transparente ab Foto: Sebastian Willnow/dpa

DESSAU taz | Über 500 Menschen haben am Dienstag in Dessau an den Tod des Sierra Leoners Oury Jalloh erinnert. Sie folgten einem Aufruf der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. „Die 15 Jahre lange Ermittlungsarbeit im Fall Oury Jalloh ist geprägt von verschwundenen oder manipulierten Beweismitteln, von zahlreichen Widersprüchen in den Zeugenaussagen sowie der Verschleppung und anhaltenden Vertuschung durch die Ermittlungsbehörden von Polizei und Justiz,“ heißt es in dem Aufruf.

Mit Bussen waren die DemonstrantInnen am Morgen aus Köln und Berlin angereist, auch aus Hamburg und Nürnberg waren Menschen gekommen. Sie versammelten sich am Mittag vor dem Bahnhof in Dessau.

Saliiou Diaollo, Jalloh Bruder, war am Vortag aus Guinea nach Deutschland gereist. „Ihr habt nach Beweisen gefragt und wir haben alle Beweise geliefert“, sagte er an die deutsche Justiz gerichtet. „Wir kommen seit 2005 jedes Jahr hier her. Wie viele Jahre sollen wir noch warten, bis Gerechtigkeit da ist?“

Moctar Bah, ein Freund des Toten und Gründer der Initiative Gedenken an Oury Jalloh, erinnerte an seine letzte Begegnung mit Jalloh. „Er war am Donnerstag Abend im meinem Internetcafe. Dann hat er sich verabschiedet und wir haben ihn nie wieder gesehen.“ Doch ebenso wenig wie er für möglich gehalten habe, was mit Jalloh geschehen ist, habe er sich vorstellen können, dass 15 Jahre später immer noch so viele Menschen mit ihm auf die Straße gehen, um Aufklärung in dem Fall zu fordern, sagte Bah.

Aufklärungschancen wurden vertan

Polizisten beobachteten die Eröffnungskundgebung, hielten sich aber im Hintergrund. Am frühen Nachmittag zogen die Menschen durch die Innenstadt von Dessau zum Polizeirevier in der Wolfgangstraße. Dort war Jalloh am Mittag des 7. Januar 2005 verbrannt.

An der Demo nahm auch Henriette Quade teil,die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt. Das vergangene Jahr habe erschreckend vor Augen geführt, dass der Wille zur politischen Aufarbeitung in Sachsen-Anhalt nicht mehrheitsfähig sei, sagte sie. Der Landtag habe die Chance zur Aufklärung durch die Ablehnung eines Untersuchungsausschusses vertan.

Die Arbeit der von der Koalition angekündigten Sachverständigen sei immer wieder verzögert worden. Sie halte nach wie vor neue Ermittlungen für notwendig, der Generalbundesanwalt wäre die richtige Instanz, so Quade. Die jährlichen Demonstrationen in Dessau am Todestag Jallohs seien enorm wichtig. „Ohne sie wäre dieser Justiz- und Politikskandal wahrscheinlich schon in Vergessenheit geraten.“

Lange Zeit war die Justiz offiziell davon ausgegangen, dass der an Händen und Füßen gefesselte Jalloh sich in der Gewahrsamszelle Nummer fünf selbst angezündet hatte. Erst 2017 hatte der ermittelnde Oberstaatsanwalt Folker Bittmann dies revidiert – und ging seither davon aus, dass Jalloh angezündet wurde. Allerdings wurde Bittmann der Fall kurz nach entzogen, das Verfahren wurde eingestellt.

(Zu) viele Ungereimtheiten

Auch nachdem immer weitere Indizien bekannt geworden waren, die für einen Mord sprechen, hatte das Oberlandesgericht Naumburg im Oktober 2019 eine sogenannte Klageerzwingung abgelehnt. Der Antrag der Familie Jallohs hatte sich gegen die Entscheidung des Generalstaatsanwaltes in Naumburg gerichtet. Dieser hatte akzeptiert, dass die Staatsanwaltschaft in Halle den Fall im Oktober 2017 zu den Akten gelegt hatte.

Im November 2019 legte die Familie Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen seien nicht unvoreingenommen gewesen sowie lückenhaft und zögerlich durchgeführt worden, sagte die Rechtsanwältin Beate Böhler damals. Die Ermittlungen hätten „ausschließlich der Bestätigung der Selbstentzündungsthese“ gedient.

In ihrer Weihnachtsausgabe hatte die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) berichtet, wie sich der 85-jährige Rentner Willi Retzlaff aus Straßberg im Harz an die Redaktion gewandt hatte. Er wollte 5.000 Euro an die Familie des Toten spenden und bat die Zeitung um Hilfe, die Summe weiter zu leiten. „Der deutsche Staat hat das Gewaltmonopol. Damit bin ich als Deutscher auch zum Teil am gewaltsamen Tod Jalloh schuld,“ sagte Retzlaff der MZ. Die Redaktion half dem Mann und sorgte über die Berliner Anwältin der Familie dafür, dass seine Spende die Familie und ein SOS-Kinderdorf in Guinea erreichte.

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