Gedenken an Mauerfall und Pogromnacht: Steine, die Geschichten erzählen
Eva von Schirach fragt für ihr Projekt „Mir fällt ein Stein vom Herzen“ danach, was Menschen mit den Steinen machen, die ihnen im Leben begegnet sind.
Na ja, und aus Steinen lassen sich prima Brücken bauen, aber auch Mauern – diese wiederum lassen sich flugs ein- und abreißen. Und Steine kann man schmeißen, leider, auf Menschen oder in Scheiben von Synagogen … „Steinfall“ heißt denn auch ein zweiteiliges Kunstprojekt zum 9. November, dem Tag, an dem sich die Novemberpogrome zum 86. Mal jähren und an dem vor nun 35 Jahren die Mauer fiel.
Seit einiger Zeit läuft die Ausstellung „Mir fällt ein Stein vom Herzen“ (noch so ein Sprichwort) in der Evangelischen Pfingstkirche in Friedrichshain. Die liegt am eher ruhigen Petersburger Platz neben einer Schule; ein Leuchtdiodenband lockt ins Innere der Kirche. Dort sind die Kirchbänke, die sonst in Reihe stehen, für die Dauer der Ausstellung auseinandergeschoben und schräg gestellt, um Platz für das Kunstprojekt zu schaffen.
Eva von Schirach hat dafür mit 40 verschiedenen Menschen darüber gesprochen, was sie mit den Steinen machen, die ihnen im Leben begegnet sind. Das ist natürlich vor allem im übertragenen Sinn gemeint. Die Berichte, die mal knapp, mal etwas länger ausfallen, wurden von ein und dem selben männlichen Sprecher professionell eingesprochen, an verschiedenen Stationen lässt sich diesen lauschen. „Ich wollte nicht die Originalstimmen verwenden“, sagt Eva von Schirach der taz, „ich wollte das Ganze anonym und abstrakter halten.“
Statements zum mit nach Hause nehmen
Die Künstlerin hat auch Fotos gemacht, die mal die O-Ton-Geber:innen zeigen, natürlich verfremdet, oder nur Gegenstände – meist Steine, die in Händen gehalten werden. Es braucht etwas Zeit, um sich einzuhören und einzusehen; die Kirche bietet einen passenden Rahmen dazu. Die Statements rühren an. Und sie lassen sich mit nach Hause nehmen: Es gibt Karten mit den Fotos und den oft sehr tiefsinnigen Antworten auf die Frage der Künstlerin.
Auf einer steht: „Nein, dieser Stein, der einem vom Herzen fällt, der hat keine Gestalt, sondern das ist ein Gefühl. Und es ist eher ein Druck und ein Schmerz. Etwas, was dann aufhört: eine Erleichterung. Das Gefühl, erleichtert zu sein, ist ein sehr schönes Gefühl. (…) Wäre ja schlimm, wenn der Stein immer auf dem Herzen bleiben würde.“
Die Ausstellung soll weiter wachsen. Das Projekt ist nicht abgeschlossen. Wer mitmachen will, spricht die Künstlerin einfach an, die immer vor Ort ist, wenn die Ausstellung geöffnet ist. Und am Mittwoch war Eva von Schirach bei den Stadtteilmüttern in Moabit für Interviews und Fotos. „Was für ein Glück“, sagt von Schirach, das ist genau unser Thema, hätten ihr die Stadteilmütter gesagt und gerne mitgemacht. Und am liebsten würde sie ihr Kunstprojekt auf andere Bundesländer ausweiten – nach Brandenburg oder Thüringen zum Beispiel. Doch bräuchte es eine Förderung der Künstlerin.
Am 9.11 wird „Stones“ aufgeführt
Diese kunstbasierte Art der Erinnerung findet am 9. November ihren Abschluss, wenn „Stones“ in der Samariterkirche, ebenfalls in Friedrichshain gelegen, aufgeführt wird. Dabei handelt es sich um einen Klassiker der Neuen Musik: Christian Wolff, 1934 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in Nizza geboren, musste er mit seiner Familie 1940 in die USA emigrieren. Wolffs offene Partitur von 1968 endet mit dem Hinweis: „Do not break anything.“
Nach der Aufführung von „Stones“ macht sich Pfarrerin Jasmin El-Manhy mit den Gästen der Aufführung auf einen Gedenkweg. Die Stolpersteine im Gemeindegebiet sind das Ziel. Konfirmand:innen werden über die Biografien ermordeter jüdischer Bürger:innen informieren.
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