piwik no script img

Gedenkdemos für Terroropfer„Paris ist heute Hauptstadt der Welt“

Mehr als eine Million Menschen demonstrieren in Paris für die Opfer der Anschläge, unter ihnen zahlreiche Regierungschefs. Landesweit gibt es weitere Demos.

Bundeskanzlerin Merkel auf der Gedenkdemo zwischen dem französischen Präsidenten Hollande und Palästinenserpräsident Abbas. Bild: dpa

PARIS afp | In Paris haben am Sonntag mehr als eine Million Menschen der Opfer der islamistischen Anschlagsserie gedacht. Der Zug setzte sich am Nachmittag am Platz der Republik in Bewegung, ganz vorne liefen Familienangehörige der insgesamt 17 Opfer der Angriffe islamistischer Terroristen mit. Hunderttausende Menschen strömten am Sonntag in Paris auf die Straßen, um ihre Solidarität mit den Opfern und ihre Unterstützung für die Werte der Freiheit, der Toleranz und des Pluralismus zu bekunden.

Zu dem „Republikanischen Marsch“ am Nachmittag im Zentrum der französischen Hauptstadt kamen auch hochrangige Regierungsvertreter aus mehr als 50 Ländern. Neben Frankreichs Präsident François Hollande nahmen unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sowie der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi und EU-Ratspräsident Donald Tusk teil.

Neben der gesamten französischen Regierung und vielen weiteren Politkern wie den Ex-Präsidenten Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy reihten sich auch zahlreiche Vertreter von kirchlichen Organisationen, Gewerkschaften, Parteien, Medien und Verbänden in den Gedenkzug ein. Nach Veranstalterangaben waren bis zu 1,5 Millionen Menschen gekommen.

Der Marsch sollte bis zum Platz der Nation führen, der jedoch schon zu Beginn der Kundgebung völlig überfüllt war. Viele Demonstranten schwenkten französische Fahnen und sangen die Nationalhymne. Viele Menschen in der Menge hielten Schilder mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie) hoch. Mit diesem Bekenntnis demonstrieren zahllose Menschen in ganz Frankreich und weltweit seit Mittwoch für Toleranz, Demokratie und Meinungsfreihet.

Schon Stunden vor dem großen Gedenkmarsch für die Opfer der islamistischen Anschlagsserie, an dem sich mit Ausnahme des rechtsextremen Front National (FN) praktisch alle Parteien und Gewerkschaften beteiligten, war der Platz ein einziges Menschenmeeer – es zeichnete sich ab, dass es mit mehr als einer Million Teilnehmer die größte Versammlung seit der Befreiung von Paris 1944 werden dürfte.

Das ganze Land

Mit vermutlich über einer Million Teilnehmer dürfte es die größte Versammlung seit der Befreiung von Paris 1944 werden. Bild: dpa

Unter strahlend blauem Himmel strömten bereits am Mittag zahlreiche Menschen in Richtung Place de la République, wo der Gedenkzug am Nachmittag unter Teilnahme von Familienmitgliedern der Opfer starten sollte. Einigen Demonstranten standen die Tränen in den Augen in Erinnerung an die fürchterliche Anschlagsserie, die zwischen Mittwoch und Freitag insgesamt 17 Menschen das Leben gekostet hatte.

Frankreichs Präsident François Hollande sagte am Mittag, „das ganze Land“ werde aufstehen für seine Werte. „Paris ist heute die Hauptstadt der Welt“, fügte er bei einem Ministertreffen im Elysée-Palast nach Angaben aus seinem Umfeld hinzu.

Die rechtsextreme Partei Front National (FN), über deren Teilnahme an der Demonstration heftig gestritten worden war, rief zu separaten Kundgebungen auf. Die rechtsextreme Partei war demonstrativ nicht zu der Demonstration eingeladen worden. FN-Chefin Marine Le Pen forderte ihre Anhänger auf, aus Protest gegen die etablierten Parteien nicht in Paris, sondern in der Provinz auf die Straße zu gehen. Ihr Vater Jean-Marie Le Pen, Gründer des FN, hat die Solidarität mit dem linken Satire-Magazin Charlie Hebdo verweigert.

Le Pen ist nicht Charlie

„Es tut mir leid, ich bin nicht Charlie“, sagte er am Samstag in seinem im Internet veröffentlichten Videotagebuch. Er bedauere den Tod von „zwölf französischen Mitbürgern“, doch teile er nicht deren politische Überzeugung, sagte Le Pen. „Ich fühle mich keineswegs dem Geist von Charlie verbunden. Ich werde nicht kämpfen, um den Geist von Charlie zu verteidigen, der ein anarchisch-trotzkistischer Geist ist, der die politische Moral zersetzt.“

Der Gedenkmarsch für die Opfer und gegen Intoleranz wird von einem riesigen Aufgebot von Polizei und Soldaten abgesichert. In Frankreich herrscht weiter die höchste Terrorwarnstufe, weitere Anschläge in westlichen Ländern werden befürchtet.

Auch abseits des zentralen Gedenkmarschs in Paris gingen in zahlreichen französischen Städten am Sonntag wieder mehr als 600.000 Menschen auf die Straße. Die mit Abstand größte Kundgebung gab es mit bis zu 200.000 Teilnehmern in Lyon, gefolgt von Bordeaux, Marseille und Rennes. In Dammartin-en-Goële nordöstlich von Paris zogen etwa 10.000 Menschen durch die Straßen. In dem 8000-Einwohner-Ort hatten sich sich die beiden Attentäter nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" in einer Druckerei verschanzt, wo sie am Freitag von der Polizei erschossen wurden.

Auch in Berlin, Madrid, London, Brüssel und vielen weiteren Großstädten solidarisierten sich tausende Menschen mit der attackierten Satirezeitung Charlie Hebdo und den insgesamt 17 Todesopfern. Vor der französischen Botschaft am Brandenburger Tor in Berlin kamen nach Veranstalterangaben am Nachmittag rund 5000 Demonstranten zusammen, um ihre Solidarität mit den Opfern zu zeigen.

Schon Stunden vor dem Beginn der Demo sammeln sich Menschen an der Place de la République. Bild: ap

In Madrid versammelten sich mehrere hundert Menschen an der Puerta del Sol. Viele von ihnen hielten Stifte und Plakate hoch und zogen nach mehreren Schweigeminuten zum Atocha-Bahnhof, wo sie sich einer Kundgebung muslimischer Verbände zur „Verurteilung aller Formen von Terrorismus“ anschlossen. Am 11. März 2004 waren bei islamistischen Anschlägen auf vier Pendlerzüge mit Halt am Bahnhof Atocha 191 Menschen getötet worden. In Barcelona gab es eine Solidaritätskundgebung vor dem französischen Kulturinstitut.

Schweigemärsche in den USA

In London sollte neben einer Kundgebung am Trafalgar Square am Nachmittag die Tower Bridge in den französischen Nationalfarben erstrahlen. In Brüssel beteiligten sich nach Polizeiangaben mehr als 10.000 Menschen an einem „Marsch gegen den Hass und für die Meinungsfreiheit“.

In Griechenland versammelten sich insgesamt 1500 Demonstranten in Athen und Thessaloniki. Viele von ihnen hielten Schilder mit der Aufschrift „Ich bin Charlie“ auf Griechisch und Französisch hoch. Ähnliche Kundgebungen sollte es auch in Wien, Lissabon, Lausanne und Stockholm geben. In den USA waren Schweigemärsche vor der französischen Botschaft in Washington und in New York geplant, in Kanada waren in Québec, Montréal, Ottawa und Vancouver Demonstrationen angemeldet.

Zwei Islamisten hatten am Mittwoch die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo in Paris angegriffen. Ein mutmaßlicher Verbündeter der beiden tötete später bei einem Angriff auf eine Polizistin und einer Geiselnahme in einem koscheren Supermarkt insgesamt fünf Menschen. Die Terrorgruppe al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) drohte Frankreich mit mehr Anschlägen.

Spezialeinheiten hatten am Freitag in Dammartin-en-Goële etwa 40 Kilometer nordöstlich von Paris Chérif und Said Kouachi erschossen, die hinter dem Charlie-Hebdo-Anschlag stecken sollen. Fast zeitgleich beendeten sie die Geiselnahme im Pariser Osten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Die Nachricht des Tages:

    "Um die 1 1/2 Millionen sind in Paris zu einem Solidaritätsmarsch zusammengekommen, um ein Zeichen gegen Terror zu setzen. Unter ihnen sind Staats- und Regierungschefs aus aller Welt.(11.01.2015)"

    Das ist gut; fragt sich aber auch mal jemand, warum es eine solch gewaltige Meinungsäußerung gegen Rassismus hier in Deutschland nicht gab, als die NSU Morde endlich aufgedeckt waren?! Und was das eigentlich heißt, dass dem nicht so war?

    • @Jutta Hermanns:

      Sie hätten ja eine solch gewaltige Meinungsäußerung anleiern können.

      Man muss nicht immer auf andere warten oder anderen die Schuld geben, wenn man den Arsch nicht selber hoch bekommt.

  • Die armen Franzosen.

     

    Da wüsste ich auch nicht mehr, was ich machen soll, wenn Jean-Marie LePen der letzte ist, der sich das Heucheln verkneifen kann.

     

    Aber die Zeitschrift kann nicht mehr das gewesen sein, was sie mal war. Dass sich Angehörige bei so etwas einbinden lassen und nicht protestieren, deutet wirklich darauf hin, dass die sich die letzte Zeit extrem verändert und angepasst haben müssen.

  • Als Breivik 77 Leute ermordet hat, gab´s nicht so viel Trara. Na ja, das ließ sich politisch auch nicht so gut ausschlachten. War ja praktisch ein westliches Eigengewächs, der Breivik. Einer von uns, nicht von denen.

    • @Dudel Karl:

      Das stimmt nicht. Der Fall Breivik war monatelang in der Presse. Leider sind die Anschläge im Irak, Pakistan oder in Nigeria jeweils auf einen Tag abgehandelt.

      Da gibt es zu wenig "Trara". Bei über 140 ermordeten Kindern in Pakistan oder bei 2000 Toten in Nigeria gleich nach den Anschlägen von Paris wären eigentlich schon aus Respekt Demos angebracht. Das ist Heuchelei!

      • @Jared:

        Für Utoya gab´s keine Millionen-Demo.

         

        Was die Presse anbelangt - erst mal abwarten, wie lange das thematisiert wird. Intensiver ist es jetzt schon. Und die weiteren Folgen wollen wir auch abwarten. Neue Gesetze, mehr Überwachung, mehr Polizei, mehr Militär usw. Kurzum: Alles, was man wegen Naziverbrechern wie Breivik und NSU nicht gemacht hat.

  • 9G
    9076 (Profil gelöscht)

    Komisch- bisher konnte man noch keine Stimmen derer hören, die Vergeltung für diesen barbarischen Akt fordern.

     

    Das wird der Westen doch nicht auf sich sitzen lassen können?

     

    Mit Entschlossenheit und Härte gegen Terrorismus vorgehen zu müssen, so heißt es dann immer- staatstragend vorgetragen von einigen Politikern.

     

    Jetzt stimmt wieder der Vorwand, sich mehr am Kampf gegen den interantionalen Terrorismus beteiligen zu müssen. Super!

     

    Und nebenbei gewinnt man die Akzeptanz in der Bevölkerung sich vermehrt für Auslandseinsätze auszusprechen.

     

    Das böse Wort Ressourcenkriege darf man offiziell ja nicht sagen.

     

    Die Toten des Anschlags(sie mögen in Frieden ruhen), sind immerhin für die "westlichen Werte" gestorben.

     

    Sind das jetzt nicht auch Märtyrer?

  • Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des droits de l'homme et du citoyen) vom 26. August 1789, Artikel 4:

    „La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui (...)

    „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. (...)"

    vielleicht geht die Presse-Freiheit nicht so weit, die religiöse Gefühle der Muslime zu beleidigen? Und, wenn doch, vielleicht würde nichts passieren, wen alle Muslime Zugang zur Bildung und Kultur hätten, und nicht ausgegrenzt und diskriminiert in Ghettos und somit nicht verwirrt und unwissend wären. Da aber das Gegenteil der Fall ist, dann ist ignorant davon auszugehen, dass diese ausgegrenzte, verwirrte, diskriminierte Leute cool auf die wiederholte Beleidigung ihrer Religion reagieren würden.Vor allem nicht, weil sie besonders anfällig auf die propaganda sog. islamistischer gruppen sind. diese wiederum sind nur die folge des vom imperium und ihren allierten geführten krieges für öl und herschaft im mittelosten. ein höhepunkt dieses krieges war der erste irak-krieg, auf den bekanntlich die attentate von 9/11 folgten. es gibt ein unerbittliche naturgesetz, das von ursache und wirkung. man kann es zwar ignorieren, aber hat mit den folgen zu rechnen. man kann meistens die Aktion bestimmen, aber die Reaktion kann man sich nicht aussuchen.

  • Wie erwartet, es gab sie kaum,

    die Schilder "JE SUIS JUIF"

     

    wäre es "nur" beim Anschlag im jüdischen Supermarket mit jüdischen Toten geblieben, hätte es natürlich auch keine Demonstration gegeben.

  • tja, es wäre doch die beste Gelegenheit gewesen, wenn die VIPs Israels und Palästinas, wo sie doch so nahe zusammenstanden, mal über ihren Streit und ihre Toten nachzudenken, aber so werden sie wieder heimfahren und es bleibt alles beim Alten !

  • Ungeschminkt und ohne Selbstzensur:

     

    Die Internationale der Administrationen der Ausbeuter/innen, Militaristen und Kriegstreiber/innen in den ersten Reihen!

     

    Die Vereinigung der beauftragten Administrationen der (vorgeblich) 'demokratischen', 'freiheitlichen' und 'menschenrechtlichen' Heuchler/innen und Zuhalter/innen -- der herrschenden Finanz-, Monopol-, Rüstungs- und Rohstoffbourgeoisien [der Wirtschafts- und Monopolverbände] und analogen Quandtschen bzw. Siemensschen Haupt- und Großaktionäre in den ersten Reihen.

    • @Reinhold Schramm:

      Ich stimme Ihnen zu. Es begreifen nur zu wenige.

    • @Reinhold Schramm:

      Ungeschminkte Meinungsfreiheit! Ich bin begeistert auch wenn ich nicht reflexartig Charlie, Papst oder Weltmeister bin;)

      • @Maryam Marasco:

        Paris war heute Heuchlerhauptstadt der Welt, vor allem in den ersten Reihen der jeweiligen politischen Administration.

        • @Reinhold Schramm:

          Der Blick der Menschheit war bisher zu stumpf zu erkennen, daß die mächtigsten Menschen große Schauspieler waren.

           

          Friedrich Wilhelm Nietzsche

           

          (1844 - 1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller

          mehr gibt es nicht zu sagen:(

  • Was für ein verlogener Zynismus. Da laufen die Büttel der Waffenlobby neben Kriegsverbrechern und Massenmördern und zeigen sich wieder mal betroffen. Wer liefert den unkontrolliert Waffen in die ganze Welt? Wer hat den jeden verrückten Extremisten unterstützt solange er nützlich war. Helden wie Snowden oder Mannings werden aber weggesperrt oder um die Welt gejagd werden wie Vieh. Herr Kerry, Herr Netanjahu und Frau Merkel, bitte verschonen Sie die Welt wenigstens vor Ihrem widerlichen Zynismus und hören Sie auf mit Ihrer geheuchlten Anteilnahme die Opfer zu verspotten!

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Es war richtig, die FN nicht einzuladen. Mit solchem Pack sollte keiner irgendetwas gemeinsam unternehmen. Sowas ächtet man, es gibt keine andere Möglichkeit.

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an unsere Netiquette.

      • 1G
        1714 (Profil gelöscht)
        @phaedra:

        Offenbar haben Sie nicht verstanden was da in Frankreich gerade passiert ist...

    • @1714 (Profil gelöscht):

      ja, schon richtig..

      Sarkozy war da, Poroschenko war da...

      Kann ja sein das Kriegs-Propaganda nun als `Satire´ definiert wird...

      • @vergessene Liebe:

        ein Kamerateam war ja auch vor Ort auf dem Dach um zu dokumentieren...

  • Ein „Republikanischer Marsch“ ist ein "Zeichen", nicht mehr und nicht weniger, aber kein Ersatz für eine Rückkehr zu einer Frieden stiftenden Außenpolitik.

    • @Willi:

      Rückkehr zu einer Frieden stiftenden Außenpolitik !

    • @Willi:

      Bin eh gespannt wann jetzt das Kriegsinterventionsgetöse wieder los geht. Ich glaub nicht dass deswegen Islamisten keine Waffen mehr geliefert werden.