Gebietsstreit Venezuela und Guyana: Maduro will das Nachbarland
Per Referendum unterstreicht Venezuelas Präsident seinen Gebietsanspruch auf zwei Drittel des benachbarten Guyana. Da gibt es Öl und Mineralien.
Laut der Wahlbehörde Venezuelas stimmten 95 Prozent den – mehr als suggestiv formulierten – fünf Fragen zu, die die Regierung zur Abstimmung gestellt hatte. Die Wahlbeteiligung lag bei 51 Prozent. Allerdings sind solche Aussagen in dem autoritär regierten Land mit Vorsicht zu genießen. Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro hatte das Plebiszit mit einer nationalistischen Kampagne vorbereitet.
In dem nicht bindenden Plebiszit ging es um die Essequibo-Region, ein rund 160.000 Quadratkilometer großes Gebiet, das zwei Drittel der Staatsfläche Guyanas ausmacht. Seit rund einem Jahrhundert beansprucht Venezuela das waldreiche Gebiet für sich, war allerdings viele Jahrzehnte lang nicht besonders interessiert.
Das änderte sich 2015, als dort reiche Ölvorkommen entdeckt wurden. Der US-Konzern Exxon bekam die Konzession – und würde diese gerne ausbauen. Nach jüngsten Funden im Oktober sollen die Vorkommen sogar denen von Kuwait entsprechen. Außerdem befinden sich dort andere Rohstoffe wie seltene Erden, Gold, Bauxit, Mangan und Diamanten.
Menschenketten für Essequibo in Guyana
Benannt ist die Region nach dem größten Fluss Guyanas, dem Essequibo. Geht es nach Nicolas Maduro, soll der künftig die natürliche Grenze zwischen beiden Ländern sein. Von den rund 120.000 Menschen, die dort derzeit leben, sind viele Indigene. Sie haben wohl kein Interesse daran, venezolanische Staatsbürger:innen zu werden. Venezuela ist seit Jahren dank seiner korrupten autoritären Regierung in einer massiven Wirtschaftskrise. Rund acht Millionen Venezolaner:innen flohen aus ihrer Heimat.
Tausende Guyaner:innen bildeten am Sonntag Menschenketten, um für die Verbundenheit von Guyana mit Essequibo zu demonstrieren. An einer der Demos nahm auch Präsident Irfaan Ali teil. Er hatte sich am Tag der Abstimmung ostentativ per Facebook-Stream aus dem umstrittenen Gebiet gemeldet und Venezuela aufgefordert, Reife und Verantwortung zu beweisen.
Ein paar Tage zuvor hatte Ali noch ostentativ im Militäranzug nahe der Grenze die Landesfahne gehisst und dort eine Nacht mit seinen Soldaten im Zeltlager verbracht.
Das englischsprachige Guyana war zuletzt britische Kolonie. Seine derzeitigen Grenzen wurden 1899 auf Betreiben von USA und Großbritannien von einem Schiedsgericht festgelegt. Venezuela beruft sich hingegen auf ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich von 1966. Das entstand wenige Monate, bevor die damalige Kolonie Britisch-Guyana unabhängig wurde. Dieses sah eine Verhandlungslösung des Disputs vor.
Plebiszit als Stimmungstest für Maduro
Guyana hatte nach den ersten Erdölfunden den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag angerufen – in der Hoffnung, dass dieser die Grenze von 1899 für gültig erklären würde. Der IGH hatte am Freitag Venezuela angewiesen, „jede Handlung zu unterlassen, die die gegenwärtige Lage in dem strittigen Gebiet ändern würde“. Venezuela erkennt das Gericht nicht an. Eine der Fragen untermauert das. Die Entscheidung des IGH sollte frühestens 2025 fallen.
Hinter Guyana stehen nicht nur die USA und das Vereinigte Königreich, sondern auch Brasilien, das Nachbarland von Venezuela und Guyana ist. Brasilien hatte am Wochenende seine Truppen an der Grenze verstärkt. Auch die karibische Staatengemeinschaft (Caricom) und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterstützen Guyana.
Abgesehen von den potenziellen Öl-Einnahmen hat Präsident Maduro noch andere Beweggründe, sagen Expert:innen. Trotz der Ukraine-Vergleiche im Vorfeld ist es unwahrscheinlich, dass die venezolanische Armee demnächst in Guyana einmarschiert.
Doch das Plebiszit galt als Stimmungstest, ob Maduro seine Anhänger:innen noch hinter sich hat. Es könnte auch dazu dienen, zwischen „Patriot:innen und Verräter:innen“ zu unterscheiden – und Letztere zu verfolgen.
Gleichzeitig könnte das Ergebnis als Blankoscheck fürs Regime dienen. Zum Beispiel, um unter dem Vorwand einer Mobilisierung die für 2024 anberaumten Präsidentschaftswahlen zu verschieben. Das wäre für Maduro besonders spannend, sollte die vom Obersten Gericht wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten suspendierte Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado doch noch zugelassen werden. Die hatte sich gegen das Plebiszit ausgesprochen.
Präsident Nicolás Maduro feierte am Sonntag das Ergebnis vor seinen Anhänger:innen auf der Plaza Bolívar der Hauptstadt Caracas als „großen Sieg für das Volk von Venezuela“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“