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Gaza-TagebuchDer Kampf um dreckiges Wasser und Fava-Bohnen

Vom verzweifelten Alltag in Gaza zwischen Hunger, Schüssen und Hoffnungslosigkeit. Und selbst ein Schluck Wasser wird zum Risiko.

Vertriebene Palästinenser holen in der Nähe einer Notunterkunft in Gaza-Stadt Wasser Foto: Mahmoud Zaki/XinHua/dpa

J eden Tag fahre ich in diesen Tagen mit dem Auto und lasse mir den Wind durch meine Haare wehen, um mir ein wenig von dem zurückzuholen, was mir das Leben schuldet. Als Kind durfte ich im Auto oft nicht am Fenster sitzen. Also versuche ich, mir wenigstens dies zu gönnen, und noch etwas aus diesem Leben herauszuquetschen. Ich versuche es, solange ich noch lebe. Meinem derzeitigen Leben zum Trotz.

Auf der Straße verkaufen Kinder kaltes Wasser in Plastiktüten, an Passanten, die von der Sonne verbrannt sind. Ein Kind verkauft eine Tüte für einen Schekel. Den ganzen Tag verbringt das Kind draußen, in der sengenden Sonne, um ein bisschen Wasser zu verkaufen. Das Wasser ist unsauber, viele Menschen leiden darunter, wenn sie es trinken.

Seit einer Endoskopie vor einigen Monaten ist mein Magen empfindlicher geworden als zuvor. Er verträgt kein unsauberes Wasser mehr, und ich bekomme Erschöpfungszustände und Darminfektionen. Vor drei Tagen habe ich einen langen Tag draußen verbracht und kein Wasser von zu Hause mitgenommen. Ich suchte nach verschlossenen Flaschen, aber fand keine. Aufgrund der Grenzschließungen ist es schwierig, solche Flaschen zu bekommen. Schließlich, erschöpft und furchtbar durstig, kaufte ich eine Tüte von einem Kind, dessen Augen mich flehentlich ansahen.

Ich ging das Risiko ein – danach hatte ich lange Bauchschmerzen und anhaltenden Durchfall. Was tun Sie, wenn Sie keine Optionen mehr haben?

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Zerstörung unserer Menschlichkeit

Jeden Tag gehe ich hungrig und unkonzentriert zur Arbeit. Ich bin Lehrer für kreatives ­Schreiben für Kinder. Auch die Kinder kommen hungrig, und ich kann nichts für sie tun. In die Zeit der Sitzungen fällt die „Tekia“ – die Wasser- oder Essensausgabe. Die Kinder schreien und rennen los, um ihre Flaschen zu füllen oder etwas zu Essen zu ergattern. Doch auch die „Tekias“ finden nicht immer statt, aufgrund der Schließungen und der Nahrungsmittelknappheit sind sie seltener geworden.

Alle leiden unter der fehlenden Nahrung und steigenden Preisen. In den meisten Fällen reicht das Wenige, was ein Mensch in Gaza verdient, nicht einmal für zwei Wochen – den Rest des Monats herrscht Hunger. Die amerikanische Hilfe, die Gaza Humanitarian Foundation, zerstört unsere Menschlichkeit vor den Augen der Welt.

Auch meine Geschwister und ich hungern, also beschloss mein Bruder, zu einer Lebensmittelausgabestelle zu gehen. Ohne mir etwas zu sagen.

Er wartete an einem halb überdachten Ort, während um ihn herum Schüsse von israelischen Soldaten hallten, die jeden töteten, der den Kopf hob. Nach stundenlangem Warten hörte das Schießen auf, und alle stürmten auf die Hilfsgüter zu. Er schaffte es, etwas Mehl zu ergattern, wurde aber bei der Massenpanik im Gesicht verletzt.

Wie viele junge Menschen sterben neben diesen Lastwagen. Die Besatzungsmacht verhindert weiterhin, dass Hilfsgüter über die UN ins Land gelangen. Und die Welt sieht zu, wie wir um eine Dose Fava-Bohnen oder ein Kilo Mehl kämpfen – deren Preis wir mit unserem Blut bezahlen. Und niemand unternimmt etwas. Wie können so viele Menschen einfach zusehen und nichts tun, um dieses Massaker zu stoppen?

Esam Hani Hajjaj, 28, kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch ist er innerhalb des Gazastreifens mehrfach geflohen.

Internationale Jour­na­lis­t*in­nen können seit Beginn des Kriegs nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der taz. Die Texte geben ausschließlich die persönlichen Meinungen der Au­to­r*in­nen wieder.

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23 Kommentare

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  • Libuda , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen. Wenn die Diskussionen ausfallend werden, zu weit vom Thema abweichen, oder die Zahl der Kommentare zu groß wird, wird das leider nötig. Sonst können wir die Kommentare nicht mehr zeitnah moderieren. 

  • Vielleicht noch als Ergänzung zum Beitrag:

    "Pfarrer von Gaza – Christliche Gemeinde in humanitärer Notlage

    ...



    Immer wieder seien Bombardements in unmittelbarer Nähe der Pfarre zu hören, teils nur wenige hundert Meter entfernt.

    Vor dem 7. Oktober 2023 zählte die christliche Gemeinde in Gaza noch 1.017 Mitglieder. Heute sind es noch etwa 500, die in den Räumen der Pfarre untergebracht seien. Rund 300 Menschen konnten nach Worten des Pfarrers über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten ausreisen. 54 Christen seien im Krieg gestorben, darunter 16 bei einem Luftangriff auf die orthodoxe Kirche St. Porphyrius. Weitere Christen, so Romanelli, seien durch fehlende Medikamente ums Leben gekommen, so der Pfarrer: "Herzkranke, Diabetiker - Menschen, die ohne Hilfe nicht überleben konnten."

    Quelle: BR24, 12.7.2025, 15:45 Uhr



    www.br.de/nachrich...rueckblick,UpanuZD

  • www.sueddeutsche.d...-olmert-li.3280192



    Ex-Ministerpräsident Olmert nennt geplantes Camp „Konzentrationslager“



    Habe ich auch so genannt, wurde aber nicht veröffentlicht.

  • Wie so viele Menschen einfach zusehen und nichts tun können, um dieses Massaker zu stoppen? Ganz einfach: Erlernte Hilflosigkeit.

    So, wie Menschen in Not lernen können, mit ihresgleichen um ein paar Bohnen und etwas Wasser bis aufs Blut zu kämpfen, können sie lernen, still zu halten und zuzusehen, wenn andere leiden und sterben. Die Fähigkeit, unmenschliches Verhalten zu erlernen, ist in jedem von uns angelegt. Im einen mehr, im anderen weniger.

    Oft braucht es gar nicht viel, um sie abzurufen, die angeborene Fähigkeit zur Unmenschlichkeit. Eigentlich nur die wiederholte Erfahrung, der Willkür und Brutalität anderer hilflos ausgeliefert zu sein, weil Angst, Hunger und Schmerz stärker sind als jede Solidarität und alle Vernunft.

    Das Leben will halt gelebt werden, auch wenn es keinen Wert mehr zu haben scheint. Wer von uns gelernt hat, dass Gewalt doch eine Lösung sein kann, hat immerhin eine aller letzte Option: Die Selbsttötung. Wobei es dazu natürlich auch einer gewissen Unmenschlichkeit bedarf: Der Unfähigkeit nämlich zu erkennen, was die eigene „Freiheit“ für andere bedeutet: Unendliches Leid, wenn nicht die Zerstörung weiterer Leben. Denn jede:r ist für irgendwen wichtig.

  • Und wieder kein Wort über die Hamas-Terroristen, die die Situation sofort beenden könnten, wenn sie die noch lebenden Geiseln frei ließen und die Waffen niederlegten. Noch besser natürlich, sie hätten gar nicht erst mit ihrem Überfall auf friedliche Menschen diese Situation hervorgerufen. Aber natürlich war das genau ihr zynisches Kalkül: Ihre eigenen Leute zu opfern, um ihre politischen Ziele durchzusetzen.

    • @PeterArt:

      Diese Argumentation, die Sie hier vortragen, war schon Ende 2023 falsch und ist keineswegs besser eineinhalb Jahr später. Das Kriegsziel ist nicht Hamas, sondern eine Annektion, was einige Regierungsmitglieder schon sehr früh sagten und der israelische Premierminister auch seit einem halben Jahr öffentlich vertritt. Die katechismusartige Wiederholung des Refrains, wieder keine Erwähnung des Hamas, wirkt bei der derzeitigen Lage ziemlich überholt und riecht doch sehr nach Sprachelement.

  • »Es ist ein Konzentrationslager. Es tut mir leid.« Der frühere israelische Ministerpräsident Ehud Olmert im Gespräch mit dem »Guardian«. Und das erodiert die Seele Israels selbst.



    Da sollten wir als Bundesrepublik klar Stellung beziehen, das Völkerrecht und Menschenrecht enfordern, natürlich auch hier. Palästina anerkennen und bei europäischen gezielten Sanktionen nicht nur bremsen.

    • @Janix:

      Auch wenn Ehud Olmert als ehemaliger israelischer Premierminister den Begriff „Konzentrationslager“ für Gaza wählt, bleibt diese Gleichsetzung hochproblematisch. Sie relativiert die einzigartigen Verbrechen der Shoah und vermischt historische Kategorien auf gefährliche Weise. Die Lage in Gaza ist katastrophal, aber sie ist nicht mit der systematischen Vernichtungspolitik der NS-Konzentrationslager gleichzusetzen. Wer diesen Begriff übernimmt, trägt zur emotionalen Aufheizung und Banalisierung bei, statt zur sachlichen Analyse.

      Auch drastische Kritik aus Israel selbst entbindet nicht von der Verantwortung für präzise und differenzierte Sprache in der deutschen und europäischen Debatte.

      Was im innerisraelischen Diskurs noch sinnvoll sein mag, gilt für selbigen innerhalb Deutschlands noch lange nicht.

      • @BrendanB:

        Es gab keine Gleichsetzung mit den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus durch Olmert. Er verwendete dem Begriff zudem im Kontext und ballerte nicht mal eben einen emotionalen zusammenhanglosen Satz in die Menge. Er bezeichnete damit über das von Israel geplante Lager für Hunderttausende Palästinenser im Gazastreifen, das Israels Regierung perfiderweise als "humanitäre Stadt" bezeichnet.

      • @BrendanB:

        Eine längere Antwort scheint leider nicht durchzukommen. Ich tippe an: Im Sinne von Herero/Buren ist das Wort gerade noch nett gebraucht. Im NS-Sinne lese ich es als KL, nicht aber als Vernichtungslager, was beides schlimm, jedoch unterschiedlich war.



        Das war ein Zitat, nicht mein Wort, doch wäre es für mich geradezu unredlich, der israelischen Zivilgesellschaft die Arbeit der gerade sehr nötigen deutlichen Kritik aufzubürden und sich einen schlanken Fuß zu machen, weil man's hierzulande ja nicht dürfe.

        • @Janix:

          Mehr als antippen ist mir auch nicht möglich.

          Wer historische Begriffe wie „Konzentrationslager“ in einem deutschen Diskurs gebraucht, trägt Verantwortung für deren Wirkung – unabhängig davon, ob es ein Zitat eines israelischen Politikers ist oder wie das Wort im Englischen verstanden wird.

          Es geht nicht um "einen schlanken Fuß", sondern um historische Sensibilität und argumentative Präzision. Wer beides vermischt, schwächt die Kritik, statt sie zu schärfen.

        • @Janix:

          "Wir als Bundesrepublik" (Ihre Worte) haben einen ganz eigenen Bezug zu KZs, auf den auch jedes Mal Bezug genommen wird, wenn beide Begriffe in einem Atemzug genannt werden. Da hilft auch kein Hinweis auf die Briten, Buren, Herero oder andere Sinnzusammenhänge.

          Und wir als Bundesrepublik sollten das paternalistische Gehabe und scheinmoralische Helfenwollen in Bezug auf die israelische Gesellschaft tunlichst unterlassen.

          Lange Kommentare werden hier nicht gerne gesehen. Ist mir auch schon aufgefallen.

  • Wenn die Hungersnot so gross ist, warum gibt es dann im Gazastreifen, der keinerlei Lebensmittel selbst produziert, funktionierende Restaurants und Cafes? Wie kommt es, dass Hilfslieferungen nicht an die Bevölkerung verteilt, sondern stattdessen auf Märkten verkauft werden? Was ist mit den Tonnen an gelieferten Lebensmitteln passiert, mit denen man sämtliche Einwohner des Gazastreifens über Monate ernähren könnte? Fragen über Fragen…

    • @katka-42:

      Nur wo Mangel herrsch können Schiebereien mit Lebensmittel stattfinden. Auch die Schiebereien sind eine direkte Folge des Kriegsverbrechen Israels, kaum Nahrungsmittelliferungen rein zu lassen nach Gaza.

    • @katka-42:

      Vielleicht noch als Ergänzung zu den Antworten auf Ihre Frage:

      "Die christliche Gemeinde in Gaza befindet sich in einer akuten humanitären Krise. Rund 500 Männer, Frauen und Kinder lebten derzeit auf dem Gelände der einzigen katholischen Kirche, berichtet das Portal Vatican News (Samstag) unter Berufung auf den argentinischen Pfarrer Gabriel Romanelli. Nach seinen Angaben liegt der Preis für ein Kilo Mehl bei "etwa 18 Euro, für Tomaten 23; eine einzelne Zwiebel bis zu 15 Euro". Für ein Kilo Zucker brauche man mindestens 100 Euro. "Selbst wenn wir es wollten: Kaffee könnten wir nicht einmal bitter trinken - ein Kilo kostet nicht unter 250 Euro", so der Pfarrer von Gaza.

      Seit 3. März seien sämtliche Hilfslieferungen gestoppt. Vorräte, die man während einer früheren Waffenruhe eingelagert habe, müssten streng rationiert werden."

      Quelle: BR24, 12.7.2025, 15:45 Uhr



      www.br.de/nachrich...rueckblick,UpanuZD

    • @katka-42:

      Können Sie gerade Ihre Quellen noch nennen?

      Und halten Sie es für zielführend oder nicht zielführend, wenn eine funktionierende Lebensmittel-Kette der UN durch Blockaden und eine privatwirtschaftliche Schikanestelle mit Datenabgriff ersetzt wird?

    • @katka-42:

      Landet wohl alles bei der Hamas. Darum tut sich Israel ja auch so schwer mit Lieferungen und möchte sie unter Kontrolle behalten.

      • @PeterArt:

        PeterArt, irgendein Beleg für Ihre abenteuerliche Behauptung ? Nach allen dem was NGO und UN Strukturen sagen, trifft dies nicht zu. Und wenn man sich ein wenig auf dem Laufenden hält, ist der von Ihnen behauptete hypothetische Grund absolut keinGrund für die israelische Kontrolle und Abschnürung. Erinnern Sie sich, Hunger darf nicht als politische Waffe missbraucht werden ?

    • @katka-42:

      Es wurden und es werden weiterhin Lebensmittel produziert, aber viele Anbauflächen wurden vernichtet.



      Es werden Hilfslieferungen an die Menschen verteilt, gleichzeitig gab/gibt es auch kommerzielle Lebensmittellieferungen, für die bezahlt werden muss. Die Waren kommen meistens direkt aus Israel. Wahrscheinlich wurden diese gegessen, aber nach 3 Monaten Blockade sind die halt auch endlich.

    • @katka-42:

      Sie wollen wissen, was mit Lebensmitteln passiert?



      Sie werden gegessen!

  • Selbst in Israel ist die Kritik wesentlich größer als bei unserer Regierung. Das ist beschämend, das sollte und kann sich kein "echter Demokrat" leisten. Siehe auch:



    www.spiegel.de/aus...-9564-ade5d275ccb4

    • @Pico :

      Ja, Sie haben Recht, auch in Frankreich und selbst den USA, wenn man sich WAPO und NYT anschaut, die natürlich nur ein Ausschnitt des US Spektrums darstellen. Was noch bestürzender ist, es geht gegen alle internationl festgelegten Regeln, und diese Regeln, sobald sie von Deutschland ratifiziert sind, haben den Rang von Bundesrecht: "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes." Das hat allerdings Merz auch nicht gewusst.