Gasversorgung in Europa: Vorbereitungen für den Worst Case
In Washington und Brüssel macht man sich mehr Sorgen um die Gasversorgung aus Russland als in Deutschland. Aber was genau soll passieren?
Bisher sind Deutschland und die EU nicht auf einen möglichen Stopp der Gasversorgung aus Russland vorbereitet. Der russische Versorger Gazprom habe sich selbst im Kalten Krieg als zuverlässig erwiesen, heißt es in Berlin. Doch in Washington und Brüssel sieht man das anders: Man müsse auf alle Fälle vorbereitet sein.
US-Präsident Joe Biden hat es besonders eilig. Er ließ extra ein Pressebriefing im Weißen Haus abhalten, bei dem anonyme Präsidentenberater über die Energiekrise in Europa dozieren durften. „Wir arbeiten mit Ländern und Unternehmen auf der ganzen Welt zusammen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten“, sagte ein Berater.
Die größte Sorge sei, dass Russland den Gastransit durch die Ukraine unterbrechen könnte. Es seien aber auch andere, extremere Szenarien denkbar. Deshalb arbeite die USA an Notfallplänen. Dazu sei man mit Gasproduzenten in Nordafrika, dem Nahen Osten, Zentralasien und Australien im Gespräch. Auch US-Flüssiggas komme infrage.
Schmutziges Fracking-Gas
Die USA sind in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Öl- und Gasproduzenten aufgestiegen. Sie versuchen schon seit langem, ihr schmutziges Fracking-Gas in den europäischen Markt zu drücken. Allerdings ist das so genannte LNG wesentlich teurer als Erdgas – und die Kapazitäten sind jetzt schon weitgehend ausgelastet.
Die EU-Kommission bestätigte Gespräche mit Washington. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe mit Biden über die Versorgungslage und mögliche Notpläne geredet, sagte ihr Sprecher. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sei von den Amerikanern „debrieft“ – also informiert – worden. Beides ist ungewöhnlich. Normalerweise besteht die EU darauf, ihre Energieversorgung selbstständig zu sichern. Zudem mischt sie sich nicht in den nationalen „Energiemix“ ein, der in Deut-schland auf (russisches) Gas setzt. Selbst die leeren Gaslager waren in Brüssel bisher kein Thema. Frankreich und Spanien forderten EU-Hilfe – erfolglos.
Deutschland plötzlich Problemfall
Doch angesichts der Eskalation um die Ukraine ist alles anders. Plötzlich wird Deutschland als Problemfall betrachtet. Ziel der Gespräche sei, dass alternative Gas-Lieferungen nicht in Monaten, sondern binnen Tagen bereitgestellt werden könnten, heißt es in Washington und Brüssel.
Allerdings ist unklar, auf welchen Fall sich die USA und die EU vorbereiten. Bisher hat Russland nicht mit einer Unterbrechung der Gaslieferungen gedroht – schließlich sichern sie wichtige Deviseneinnahmen. Demgegenüber fordern die USA, dass Nord Stream 2 ein für alle Mal gestoppt werden müsse, falls es zu einem Krieg kommt.
„Opfer wäre ziemlich groß“
Auch Großbritannien mischt sich ein. Man müsse respektieren, dass Deutschland abhängiger von russischem Gas sei als Großbritannien, sagte Premier Boris Johnson. „Ihr Opfer wäre ziemlich groß, aber wir müssen darauf hoffen, dass sie um des Friedens Willen dieses Opfer bringen“, sagte er. Deutschlands Rolle sei absolut entscheidend.
Ein Stopp von Nord Stream 2 im Rahmen eines Wirtschaftskriegs könnte allerdings nur der Anfang sein. Die USA und die EU stellen sich auch auf eine mögliche Gegenreaktion Russlands ein. Moskau könne Gas als Waffe nutzen und den Gashahn zudrehen, sagte der Biden-Berater in Washington. Auch dafür müsse man gerüstet sein.
Planung für Worst Case
Die USA planen also für einen Worst Case, den sie mit ihren Sanktions-Forderungen selbst herbeiführen. Dieser Notfall hätte sogar Vorteile, heißt es in Washington. Denn damit würden Russland dringend benötigte Deviseneinnahmen verloren gehen. Die Führung im Kreml würde doppelt bestraft – bei Nord Stream, und beim Geldbeutel.
Langfristig könnte dies dazu führen, Deutschland und die EU von der Gasversorgung aus Russland abzukoppeln. In diese Richtung denkt auch die EU-Kommission. Energie-kommissarin Kadri Simson will nicht nur mit den USA sprechen. Sie plant auch Reisen nach Aserbaidschan und Qatar, um dort Alternativen zu russischem Gas auszuloten.
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