Gastronomie und Corona: Das große Hoffen
Berliner Restaurants warten darauf, dass die Politik wenigstens wieder eingeschränkten Betrieb zulässt. Am Mittwoch will der Senat entscheiden.
Mario Dzeladini ist auf den ersten Blick kein Mann, der schnell aus der Ruhe zu bringen ist. In seinem italienischen Restaurant Firenze in der Pankower Florastraße hat er zum alten, goldgelben Grappa geladen. Es ist seltsam, zu dieser Tageszeit hier zu sitzen, wo man in normalen Zeiten ohne Reservierung kaum mehr einen Sitzplatz bekommt, wo aber derzeit die Gäste nur klingeln, wenn sie ihre Bestellungen abholen. Als die Sprache auf die Mitarbeiter des Restaurants kommt, entgleisen dem großen, stattlichen Mann mit dem Bariton eines Opernsängers die Gesichtszüge. „Ich wusste nicht, was Kurzarbeit ist“, sagt er. „Also habe ich acht meiner elf Angestellten mit dem Versprechen entlassen, sie sofort wieder einzustellen, wenn ich wieder aufmache.“
Und dann fängt er an zu weinen.
Mario Dzeladini ist 59 Jahre alt, er ist in Mazedonien aufgewachsen und seit 1980 in Berlin. „Ich habe von ganz unten angefangen“, sagt er. Genau vor 20 Jahren hat er sich dann selbstständig gemacht, hier, mit dem Firenze. „Meine Mitarbeiter: Sie sind meine Familie“, seufzt er. Wie alle der 13.653 Restaurants in Berlin musste auch Mario Dzeladini am 22. März wegen des Coronavirus schließen, wie fast alle von ihnen bietet auch er seitdem Essen zum Mitnehmen an.
Immer wieder rufen Stammgäste an, bestellen Essen, kaufen Gutscheine, die sie dann nicht abholen, bieten sogar Privatkredite an. „Das rührt mich unheimlich“, sagt er. Im Moment kann er noch die Steuer und die Miete stunden, aber bei 100.000 Euro Umsatz im Monat ist klar: Er könnte die Schließung maximal bis Juni verkraften, ohne Schulden zu machen. Und doch macht wie bei den anderen Berliner Restaurants dieses Essen auch beim Firenze nur zehn bis 15 Prozent des Umsatzes in normalen Zeiten.
Wir – also mein Partner, meine zwei Kinder und ich – sind extra im Campingbus gekommen, um das begehrte Essen auf der anderen Straßenseite im Auto, am Klapptisch und beim Schein einer eigens mitgebrachten Kerze zu genießen. Unser Lieblingsgericht ist die Pasta Tartufo Parmigiano. Auch wenn es ein Abenteuer ist: Die Pasta schmeckt nicht so gut wie sonst. Es fehlt die Begrüßung des aufgedrehten Kindes mit Handschlag. Es fehlt auch der große Käse auf dem Teewagen, in dem die Nudeln direkt am Tisch zubereitet werden. Es fehlt Mario Dzeladini, der sich nicht zu uns setzen kann. Das alles weiß Dzeladini. Er kann es darum kaum erwarten, dass am Mittwoch der Berliner Senat mit Bundeskanzlerin Merkel über Lockerungen für die Gastronomie berät. Bürgermeister Michael Müller will für die Gastronomie zumindest „eine Perspektive formulieren“. Dzeladini würde alle Auflagen akzeptieren, wenn er nur wieder öffnen dürfte. Auch wenn er nicht so schnell zu seiner Normalität wird zurückkehren können: „Vor allem nachts habe ich schlechte Gedanken“, sagt Dzeladini. „Das muss unbedingt aufhören.“
Mit Herzblut investiert
„Die Coronabeschränkungen werden zu einer noch nie dagewesenen Pleitewelle in unserer Branche führen“, formuliert es Thomas Lengfelder vom Berliner Hotel- und Gaststättenverband. „Es herrscht Angst, Existenzangst, zum Teil auch schon Panik.“ Viele Berliner Restaurants wurden von Menschen aufgebaut, die vor Jahren mit leeren Händen nach Berlin kamen, die investiert haben, viel Arbeit, viel Herzblut auch. Einer von ihnen ist Mario Dzeladini, eine andere ist Mengling Tang, Inhaberin des gehobenen chinesischen Restaurants Pekingente in einem der DDR-Wohnblöcke aus den achtziger Jahren in der Voßstraße. Tangs Eltern, er Ingenieur und sie Lehrerin, kamen 1989 nach Berlin, nach dem Massaker am Tiananmenplatz von 1989.
„Sie haben in China alles liegen lassen, ihr Leben für die Freiheit aufgegeben“, sagt Tang. Die Last der Verantwortung ist groß, denn das Restaurant, das die Eltern 1999 eröffnen konnten und das sie nun weiterführt, sei ihr Lebenswerk. Auch die 45-jährige Mengling Tang wirkt ein wenig verloren in den großen Räumlichkeiten ihres großen Restaurants, in dem es sonst so lebendig ist, auch Mengling Tang leidet sehr darunter, den Großteil ihrer 18 Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt zu haben.
Erst seit wenigen Tagen bietet sie nun auch Essen zum Mitnehmen an, kann also nicht sagen, ob das die „gigantische Miete“, die Tang zahlen muss, wird decken können. Sie ist kein Fan von Essen in Plastikschüsseln. „Chinesisches Essen muss noch kochen, wenn es auf den Tisch kommt“, sagt sie und lacht dann sehr, dass wir gleich über unsere köstlichen heißen Auberginen, die Dumplings und das scharfe Hühnchen im Campingbus herfallen werden.
Als einer ihrer Stammgäste den Laden betritt, ruft sie fröhlich: „Ich darf dich nicht umarmen.“ Und als die Frau eines bekannten deutschen Dramatikers zufrieden mit ihren Tüten voller Essen nach Hause geht, fügt sie an: „Es ist allemal besser, als in Schockstarre zu Hause zu sitzen und nichts zu tun.“ Wie ihr Kollege Mario Dzeladini würde sie ihr Restaurant unter allen Umständen wieder aufmachen, koste es so viel Mühe und Aufwand, wie es wolle.
Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hat die Ankündigung Niedersachsens kritisiert, Gaststätten ab 11. Mai und Hotels ab 25. Mai eine Öffnung zu erlauben. „Alleingänge einzelner Bundesländer sind nicht dienlich“, erklärte Pop dazu am Montag. „Aber es braucht eine klare Perspektive für die Gastronomie zur Planungssicherheit“, fügte sie hinzu. „Das ist meine Erwartung an die Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch. Wir stehen in Berlin mit einem Phasenplan zur Öffnung unter Bedingungen der Pandemie bereit, den wir gemeinsam mit der Branche erarbeitet haben.“ Oberste Priorität habe dabei weiterhin der Gesundheitsschutz. (dpa)
Bulgursalat zum Mitnehmen
Da allerdings ist sich Arzu Bulut, eine der beiden Inhaberinnen des türkischen Restaurants Osmans Töchter in der Pappelallee in Prenzlauer Berg, nicht ganz so sicher. Ihr Restaurant ist mit das kleinste, aber auch das gemütlichste Restaurant, das wir dieser Tage besuchen. Die Geschäfte liefen gut bis zur Krise: „Hier in der Pappelallee war seit Eröffnung acht Jahre lang Action, an 363 Abenden im Jahr.“ Gerade hat Bulut mit ihrer Geschäftspartnerin ein zweites Restaurant in Charlottenburg eröffnet. In ihrem Blick liegt Wehmut.
Auch Osmans Töchter bieten ihre moderne türkische Küche, ihren frischen Bulgursalat mit roter Beete und ihre köstlichen Linsenbällchen mit Granatapfelsoße beispielsweise zum Mitnehmen an, arbeiten sogar mit Lieferando zusammen, die allerdings für ihren Service ein stolzes rundes Drittel verlangen. Arzu Bulut freut sich darum über jeden Gast, der sich das bestellte Essen selbst abholt. So wie sie sich freut zu hören, dass ihr Essen gleich vorm Haus im Bus, am Klapptisch mit Kerze, verschlungen werden wird.
Bulut weiß allerdings genau: Wenn in ihrem Restaurant die Menschen anderthalb Meter Abstand voneinander halten müssten, dann könnte sie nicht einmal die Hälfte der Tische besetzen. Wie sollte sie in diesem Lokal zwei Türen einrichten, damit sich die Gäste nicht zu nahe kommen? Wie sollte sie kontrollieren, dass nicht zu viele Menschen auf einmal auf die Toilette gehen? Bulut weiß nicht, womit sie rechnen soll.
Sie weiß auch nicht, zu welchen Bedingungen es sich überhaupt lohnen würde, ihr Restaurant wieder zu öffnen. Oft hat sie sich dieser Tage nach Schweden gewünscht, wo es die Politik den Menschen viel stärker überlässt, wie sie mit dem Virus umgehen.„Man wird von einer Woche zur nächsten Woche vertröstet, ich habe nur noch wenig Vertrauen in die aktuelle Politik“, sagt sie – und hofft nun wie ihre KollegInnen endlich auf klare Ansagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten