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Corona und die Berliner RestaurantsSchon wieder brotlos

Im Mai traf die taz GastronomInnen in ihren leeren Restaurants, im Juni wieder bei gutem Betrieb. Wie läuft es bei ihnen jetzt?

Inhaberin Lale Yanik in ihrem Restaurant Osmans Töchter in Berlin Prenzlauer Berg Foto: Stefanie Loos

Mengling Tang, die Chefin eines der besten chinesischen Restaurants in Berlin, wirkt wie unter Strom. Nicht dass sie nicht schon wüsste, wie es sich anfühlt, jeden Tag in einem leeren Riesenrestaurant wie ihrem zu sitzen und bang auf die Bestellungen zu warten. „Trotzdem ist es anders als beim letzten Mal“, sagt die Inhaberin der Peking-Ente in der Voßstraße. „Wir haben einen langen Winter vor uns.“

Etwa eine Viertelstunde hat sie Zeit für dieses Gespräch. Mehr noch als im Frühjahr versucht die 45-Jährige seit Anfang November jeden Abend ihre Stammkunden bei Laune zu halten – und berichtet von abenteuerlichen Lieferfahrten nach Schönefeld und Tempelhof, zurück zu ihrem Restaurant in Mitte, dann weiter nach Prenzlauer Berg, Friedrichshain, am Ende bis nach Lichtenrade.

Tang ist kein Fan von Essen in Plastikschüsseln. Gute chinesische Küche muss noch kochen und zischen, wenn sie auf den Tisch kommt. Aber: „Alles ist besser, als zu Hause zu sitzen und zu grübeln“, sagt sie.

Anders als viele GastronomInnen hat sie die Schwere des Winters vorausgesehen. In der Hoffnung auf staatliche Hilfe, die auch beim letzten Mal kam, fiel es ihr dennoch leichter, fast alle Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken. Das Trinkgeld, das sie bei ihren Lieferungen erhält, gibt sie komplett an die MitarbeiterInnen ab.

Es herrscht Panik

Den 19.000 Gaststätten, Kneipen, Cafés, Bars, Eisdielen und Caterer in Berlin droht eine riesige Pleitewelle, und das nicht erst seit dem neuerlichen Shutdown im November. „Es herrscht Angst, Existenzangst, zum Teil auch schon Panik“, sagt Thomas Lengfelder vom Berliner Hotel- und Gaststättenverband. Viele RestaurantbesitzerInnen hängen auch am Tourismus – und dieser hatte sich in Berlin auch im Sommer nicht richtig erholt. Im Augenblick sind 5 Prozent der Betten belegt – da Geschäftsreisen noch erlaubt sind.

Hinzu kommt, dass laut Statistischem Bundesamt etwa zwei von drei Beschäftigten in der Gastronomie für Löhne unterhalb des Niedriglohns arbeiten und darum dringend auf Trinkgeld angewiesen sind.

In Berlin arbeiten 34.000 MinijobberInnen in der Gastronomie. Das sind mehr als in allen anderen Branchen der Stadt. Die trifft es nun besonders hart, denn sie haben weder Anspruch auf Kurzarbeiter- noch auf Arbeitslosengeld.

Das Restaurant, das Tang führt, hat sie von den Eltern übernommen. Tangs Eltern, er Ingenieur und sie Lehrerin, kamen 1989 nach Berlin nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking. „Sie haben in China alles liegen lassen, ihr Leben für die Freiheit aufgegeben“, sagt sie. Das Restaurant, das die Eltern 1999 eröffnen konnten und das sie nun weiterführt, sei ihr Lebenswerk – dafür reißt sie sich auch mal ein Bein aus.

Warten auf die Überbrückungshilfe

Wenn sie das erzählt, wirkt Mengling Tang ein wenig verloren in den großen Räumlichkeiten ihres Restaurants, in dem es sonst so lebendig ist. Derzeit erzielt sie 25 Prozent ihres durchschnittlichen Umsatzes im November – und wartet sehnsüchtig auf die Überbrückungshilfen, die ihr Steuerberater noch diesen Monat hofft beantragen zu können.

In Aussicht stehen 75 Prozent des durchschnittlichen Novembereinkommens. „Es wird jetzt eng“, sagt die Gastronomin, „aber wenn das Geld so kommt wie angekündigt, werden wir überleben.“

Sie hat Verständnis dafür, dass nicht alles, was die Politik entscheidet, immer Sinn ergibt. „Es ist zu wenig Zeit für die Analyse“, sagt sie. Trotzdem mache sie sich Sorgen, wie lange das noch funktionieren kann.

„Als ob man in einen Tunnel sieht, aber ohne Licht am Ende“, sagt auch Lale Yanik, 52, eine der beiden Chefinnen der Restaurants Omans Töchter in der Pappelallee in Prenzlauer Berg und in der Wielandstraße in Charlottenburg.

Es hat sich nicht gerechnet

Anders als im Frühling hat sie gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Arzu Bulut entschieden, bei diesem Shutdown kein Essen zum Abholen und Liefern anzubieten. „Es hat sich für uns nicht gerechnet, und wir wollten nicht schon wieder ein so hohes Risiko eingehen“, sagt sie mit einem traurigen Blick in ihr schönes, aber wie ausgestorben wirkendes Restaurant für moderne, frische türkische Küche.

Die Geschäfte liefen gut bis zur Krise: „Hier in der Pappelallee war seit Eröffnung acht Jahre lang Action, an 363 Abenden im Jahr.“ Umso schwerer fiele es jetzt zu kalkulieren, da nur noch Essen auf Bestellung ginge. Wie viele Menschen soll man einstellen, wie viel soll man einkaufen, wenn man nicht weiß, wie der Abend wird?

Yanik kann zwar nachvollziehen, dass es nun wieder die Gastronomie getroffen hat, findet es aber trotzdem ungerecht. „Wir haben uns sehr gewissenhaft an alle Auflagen gehalten, sogar Luftfilter bestellt, aber was soll man machen“, seufzt sie.

Dass Berlins Regierender Michael Müller vor einer Woche den Gaststätten oder Theatern etwas Hoffnung auf etwaige vorsichtige Lockerungen machte? Das beeindruckt sie wenig. „Die Menschen haben im Augenblick zu viel Angst vor geschlossenen Räumen“, sagt sie.

Von Monat zu Monat hangeln

Trotzdem akzeptiert sie die aktuellen Schließungen und fühlt sich noch immer gut aufgefangen. Im Augenblick arbeitet sie mit ihrer Geschäftspartnerin auf Hochtouren daran, einen lange anvisierten Webshop für Meze im Glas an den Start zu bekommen, türkische Vorspeisen also.

Vielleicht gar keine so schlechte Idee in einer Zeit, wo ganze Branchen plötzlich brotlos werden, die seit Jahrzehnten ziemlich krisensicher erschienen, und wo sich nun alle von Monat zu Monat hangeln.

Der Mann, der von den drei besuchten GastronomInnen trotz allem noch am hoffnungsvollsten wirkt, ist ausgerechnet der Besitzer des Restaurants Firenze in der Pankower Florastraße. Mario Dzeladini ist 59 Jahre alt. Er ist in Mazedonien aufgewachsen und seit 1980 in Berlin. „Ich habe von ganz unten angefangen“, sagt der stattliche Mann mit sonnigem Lächeln.

Genau vor 20 Jahren hat er sich dann selbstständig gemacht, hier mit dem Firenze. „Meine Mitarbeiter: Sie sind meine Familie“, sagt er. Im Mai hatte er sie in die Arbeitslosigkeit entlassen, weil er nichts von Kurzarbeit wusste. Im Sommer hat er alle wieder eingestellt – und in Kurzarbeit geschickt.

Diesmal läuft es weniger gut

Damals hatte Dzeladini berichtet, dass manche Stammkunden Gutscheine gekauft oder gar Privatkredite angeboten hatten. Diesmal läuft es weniger gut. Vielleicht weil eine Art Gewohnheitseffekt eingetreten ist – oder auch weil die Angst langsam umgeht, dass die Zeiten allmählich wirklich mager werden könnten. Derzeit macht er zwischen 12 und 15 Prozent des normalen Umsatzes.

Dzeladini hätte nach der Wiedereröffnung seines Restaurants nie gedacht, dass es einen zweiten Shutdown geben könnte. Er ist zuversichtlich, dass er bald wiedereröffnen darf, nicht erst im Frühjahr. Beim letzten Shutdown hat er den vorderen Raum renoviert, bei diesem ist der hintere dran. Selbst wenn es derzeit möglich wäre, einfach das Weite zu suchen: Er hätte gar keine Lust dazu. „Urlaub ist nicht meine Stärke“, sagt er.

Und beschwert sich prompt bei der verbliebenen Kellnerin, dass es plötzlich im Gastraum verbrannt riecht. Der Koch kämpft gerade mit den Pizzablechen und hat vergessen, den Abzug anzuschalten.

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