piwik no script img

Gandhis Urenkel zum 150. Geburtstag„Indien heute ist Gandhis Alptraum“

Personenkult, Disrespekt und Hindu-Nationalismus: Zum 150. Geburtstag von Gandhi spricht sein Urenkel Tushar Gandhi über dessen heutige Bedeutung.

Zu Gandhis 150. Geburtstag kleideten sich indische Kongressmitglieder wie einst der Revolutionär Foto: ap/Manesh Swarup
Natalie Mayroth
Interview von Natalie Mayroth

taz: Was hat von Mahatma Gandhis Idee vom unabhängigen Indien bis heute überdauert?

Tushar Gandhi: Das Indien von Gandhi war eines das friedlich, tolerant und vereint war. Keines davon steht heute noch für dieses Land. Es gibt immer mehr Ungerechtigkeit, Hass und Intoleranz. Man kann das heutige Indien nur als Gandhis Albtraum beschreiben.

Indiens Wirtschaft stockt gerade, doch gab es auch Zeiten, in denen die Mittelschicht gewachsen ist. Ist das kein Erfolg?

Die Mittelschicht ist gewachsen, aber auch die Kluft zwischen ihr und den Armen. Das ist für die Mehrheit der Inder bedeutungslos, weil die Armen ärmer wurden sowie weniger Rechte und weniger Anteil an den natürlichen Ressourcen haben.

Die aktuelle Regierung zielt Ihrer Meinung nach auf eine Politik für die Mehrheit ab?

Wikimedia/Biswarup Ganguly/CC BY 3.0
Im Interview: Tushar Gandhi

59, ist Urenkel von Mahatma Gandhi. Der Autor lebt in Mumbai und gründete 1998 die Mahatma Gandhi-Stiftung. Damals trat er auch der Samajwadi Partei bei und kandidierte im gleichen Jahr erfolglos für einen Parlamentssitz. Anfang 2000 wechselte er zur Kongresspartei, wo er sich bis 2004 politisch engagierte und aus der er 2009.

Bei Demokratie geht es nicht nur um die Mehrheit, sondern darum, alle mitzunehmen. Sonst ist es keine Demokratie.

Wie steht es um die inzwischen oppositionelle Kongress-Partei? Die war nicht nur Gandhis Partei, sondern auch Ihre Partei, als Sie noch selbst aktiver Politiker waren.

Die Opposition ist nicht existent und die Partei von Gandhi ist lange tot. Was wir heute als Kongress-Partei kennen wurde geschaffen, um den Personenkult von Indira Gandhi zu etablieren. Die negativen Folgen der Zuspitzung auf eine Person spüren wir bis heute.

Mahatma Gandhi

Indiens Nationalheld Mohandas Karamchand Gandhi (2. Oktober 1869 bis 30. Januar 1948) wurde ehrfurchtsvoll Mahatma ("große Seele") genannt. Der Rechtsanwalt, Asket und Pazifist war der Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung und brachte mit seinen strikt gewaltfreien Aktionen des zivilen Ungehorsams wie Hungerstreiks und dem Salzmarsch von 1930 die britische Kolonialmacht zur Verzweiflung. Er wurde wenige Monate nach der indischen Unabhängigkeit von einem fanatatischen Hindu erschossen.

Undatiertes Foto: J.A. Mills/AP

Weil danach lange niemand kam, der Indira Gandhis Lücke hätte füllen konnte?

Es liegt in unserer Kultur, Idole zu verehren und dass wir uns diese Art von Idolen erschaffen. Einige verdienen es und andere nicht.

Die Regierung von Narendra Modi hat ein internationales Programm zu 150 Jahre „Mahatma“ initiiert, ohne dabei den Namen Gandhi zu erwähnen. Was halten Sie davon?

Gandhi ist unvermeidbar für Politiker in Indien auch dann, wenn sie ihm nur unaufrichtig Respekt zollen. Es gibt keine andere indische Persönlichkeit, die weltweit diese Anerkennung genießt. Dass der Name Gandhi jetzt in dem Programm gestrichen wurde, überrascht mich nicht. Gleiches passierte bei der Benennung eines Denkmals in seiner Heimat Gujarat. Es heißt nun „Mahatma Mandir“. Das ist eine sehr bewusste Handlung. Mahatma – „große Seele“- ist zu einem Platzhalter geworden.

Warum polarisiert Gandhi bis heute?

Es ist die Unfähigkeit, ihm gegenüber gleichgültig zu sein. Für mich persönlich ist der private Gandhi viel wichtiger. Die Familienerzählungen sind wertvolle Erinnerungen für mich. Er war ein liebender Vater, auch wenn er seine Familie nie anders behandelt hat, als er zu Fremden war.

War Gandhi der Nationalist, als den ihn einige Historiker bezeichnen?

Er war ein ehrlicher Patriot, dem es nichts ausmachte, das Schlechte im Land zu kritisieren, um es dann zu verbessern. Das ist eine andere Auffassung als der politische Nationalismus, indem blind jede Handlung des Staates verteidigt wird.

Gandhi war ein gläubiger Hindu. Worin liegt der Unterschied zu den heutigen Hindu-Nationalisten?

Gandhis Hinduismus war ein wahrer Hinduismus, der den Geist der hinduistischen Philosophie verkörpert. Der Hinduismus, den uns die heutige Regierung auferlegt, ist radikalisiert und brutal. Er ist korrupt. Heute wird gegen die Quoten für gesellschaftlich benachteiligte Kasten protestiert, doch das ist erst der Anfang.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Danke, ein sehr schönes Interview. Jetzt weiß ich auch wieder, warum ich meinerseits mal tiefen Respekt vor Ghandi und Indien hatte, als Jugendlicher.



    In den letzten Jahren habe ich dann - nicht in Indien sondern hier - viele Inder getroffen, deren politische und gesellschaftliche Ansichten ich unangenehm fand. Ich dachte, ok das ist wohl Realität und das andere reiner Mythos. Scheint wohl eher, dass sich die Gesellschaft zum negativen verändert hat. Nicht nur in Indien natürlich. In vielen Ländern missbrauchen schlechte Menschen große (Vor-)Bilder. Zum wiedergekäuten Personenkult ohne Inhalt neigen nicht nur die Inder, verdreht wird fast alles.

  • Vielen Dank an Frau Mayroth und die taz, daß Sie einen Beitrag über Mahatma Gandhi zum 150-jährigen Geburtstag veröffentlichen. Auf der Tagesschau kommt beispielsweise nichts.

    Ich habe als 8-jähriger Mahatma Gandhi durch Richard Attenboroughs Film "Gandhi" kennengelernt. Der Film hat einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich gemacht und mich geprägt. Später bin ich zu der Auffassung gekommen, daß man mit Gandhis Lehren nicht alle Probleme lösen kann und daß die Darstellung seiner Person in Attenboroughs Film idealisiert war. Aber letzteres finde ich in Ordnung, wenn man die Idealisierung offenlegt.



    Ohne Gandhi wäre diese Welt eine andere, vielleicht gäbe es sie gar nicht mehr.



    Wir brauchen mehr Menschen wie ihn, z. B. Greta oder Rezo und Gewaltlosigkeit (Ahimsa) solange sie möglich ist, ist jeden Tag wieder neu zu lernen.