piwik no script img

Fußverkehrskongress in BremenVergessene Art der Fortbewegung

Fuß­gän­ge­r*in­nen gehen in der Verkehrsplanung oft unter. Um Konflikte mit dem Radverkehr zu lösen, muss auch mal den Autos was weggenommen werden.

Laut einer 2017 erhobenen Studie werden 22 Prozent aller Wege in Deutschland ausschließlich zu Fuß zurückgelegt Foto: Rolf Poss/imago

BREMEN taz |„Was haben die Leute gesagt, als Sie erzählten, dass sie zu diesem Kongress fahren?“, fragte Moderator Matthias Bongard gleich zu Beginn die über 460 Teil­neh­me­r*in­nen des vierten Fußverkehrskongresses, der am Dienstag und Mittwoch in Bremen stattfand. Die Antworten der Anwesenden – „Hä?“ und „klingt nach Fußfetisch“ – machen deutlich, welche Rolle zu Fuß zu gehen in der öffentlichen Diskussion oft hat: Es wird vergessen.

Dabei werden laut einer 2017 erhobenen Studie 22 Prozent aller Wege in Deutschland ausschließlich zu Fuß zurückgelegt. Mit dem Fahrrad sind es nur 11 Prozent. Die realen Zahlen sind wohl noch höher, da der Fußverkehr seit Corona zugenommen habe, sagt Stefan Lieb vom Fachverband Fußverkehr (FUSS e. V.). Zudem gehe es nur um komplette Strecken. Wege zum und vom öffentlichen Nahverkehr seien noch nicht mit eingerechnet – sie werden zu 95 Prozent zu Fuß zurückgelegt.

„Der Fußverkehr ist die am meisten unterschätzte Verkehrsart“, sagt auch Maike Schae­fer, die Bremer Senatorin für Mobilität, die den Kongress gemeinsam mit dem Bundesministerium für Verkehr ausrichtete. Die Probleme der Fuß­gän­ge­r*in­nen sind vielfältig: zu schmale Gehwege, fehlende Möglichkeiten, die Straße sicher zu überqueren, zu wenig Bänke und schlicht fehlendes „Problembewusstsein, dass Leute auch noch zu Fuß gehen wollen“, sagt Sandra Reinert, Bremens erste Fußverkehrsbeauftragte. Stellen wie ihre sind noch rar. Keine zwei Dutzend gibt es davon in Deutschland.

Grund für die marginalisierte Stellung der Fuß­gän­ge­r*in­nen ist „die Dominanz des Autoverkehrs“, sagt Anne Mechels, die gemeinsam mit Reinert im Bremer Mobilitätsressort die Nahmobilität weiterentwickelt, „aber in einer Fahrradstadt wie Bremen auch die des Radverkehrs“. Denn auch Fahrradwege brauchen Platz und Fahrräder werden zudem oft auf Gehwegen abgestellt.

Den Autos Platz wegnehmen

Rad- und Fußverkehr werden trotz ihrer Unterschiede oft zusammengedacht: Aber Radverkehr ist schnell und linear. Fuß­gän­ge­r*in­nen sind langsamer und können auch mal unerwartet zur Seite treten. Daraus entstehen Konflikte, die die beiden Planerinnen lösen wollen, ohne die beiden Fortbewegungsarten gegeneinander auszuspielen.

„Die beste Maßnahme wäre einfach genug Platz für beide“, sagt Reinert. „Und das muss dann auch einfach mal zulasten von Autos gehen.“ Wenn es in einer Stadt nicht genug Fläche gibt, um den Autos was wegzunehmen, dann „müssen Lösungen gefunden werden, wo der Rad- mit dem Autoverkehr organisiert werden kann“, sagt Mechels. Ein probates Mittel dafür ist laut Reinert „Tempo 30 in Städten“. Davon verspreche sie sich auch eine „andere Lebensqualität“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Ich bin leidenschaftlicher Radfahrer,



    aber eine Sache geht mir nicht mehr aus dem Kopf:



    Ein schneller Fußgänger geht vielleicht mit 5 Km/h durch die Gegend.



    Ich fahre mindestens 20 Km/h mit dem Rad, bin also 4 mal so schnell.



    Das wäre so, als würden die PKW auf der Autobahn mit 320 Km/h an den LKW auf der rechten Spur vorbeifahren.

    Kein Wunder, wenn so mancher Fußgänger erschrickt bzw. Angst vor Radfahrern bekommt.

  • Würde man jedem Menschen unabhängig von der Wahl des Verkehrsmittels den gleichen Platz im öffentlichen Raum zugestehen, wäre das erstens nur gerecht.!! Und zweitens könnte man damit überall breite Rad und Gehwege einrichten...womit so ziemlich alle Konflikte beseitigt wären.

    Aber leider sind die Autofahrer immer noch der Meinung, die Strasse gehöre ihnen..

    Und wenn es doch zu Konflikten kommt, sind aus deren Sicht fast immer die Radfahrenden schuld..

    Ganz ehrlich: ich kanns nicht mehr hören..das ist einfach nur zynisch und Menschen verachtend was da immer noch allzu vielen Köpfen herum geistert..

    Schluß damit.!!!

    • @Wunderwelt:

      Es geht hier um Fußgänger und darum, dass diese immer noch am wenigsten bei der Verkehrsplanung beachtet werden.

  • Oder: Wir tun einfach NICHTS (genau dieser Forderung wird ja schon ausführlichst Genüge getan) und warten auf den technischen Fortschritt. Dann kann jede/r Politesse/rich die gehwegparkenden Autos einfach wegbeamen. Klick, Auto kann aufm Mond wieder abgeholt werden. Nach Entrichten entsprechender Gebühr. Musk wird noch reicher, und jede Rollatorin kriegt so nen Weg-Beamer kostenlos als Dauerleihgabe.

  • Ich vermisse, dass auch einmal Radfahrer:innen an Rücksichtnahme erinnert werden. Da gibt es nämlich auch ganz schön gefährliche Situationen, unabhängig vom Auto - z.B auch auf Fußgänger- und Wanderwegen.

    • @resto:

      In der Tat. Bei vielen scheint das Bewusstsein, dass man in einigen Situationen einfach mal absteigen und schieben muss, völlig zu fehlen. Da wird dann wackelig langsam durch die Menschenmenge gefahren. Oder man rast halt weiter, auch wenn man sieht, dass gerade ein Bus auf der Straße hält und die daraus aussteigenden Fahrgäste zwangsläufig den Radweg überqueren müssen.

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @resto:

      Der Artikel handelt davon, dass sowohl Fuß- als auch Radverkehr vom überbordenden und ineffizienten Autoverkehr an den Rand gedrängt werden.

      • @659554 (Profil gelöscht):

        Die Fußgänger stehen aber ganz unten in der Hierarchie.

        Hier in Berlin gibt es mindestens eine Straße, bei der der Fußgänger ZWISCHEN Autos und Fahrrädern gehen muss. Irre.

      • @659554 (Profil gelöscht):

        Das war aber nicht mein Punkt. Sondern, dass sich manche Radfahrer:innen genauso arrogant verhalten wie manche Autofahrer:innen. Und dass diese Wege in Beschlag nehmen, die nicht für sie bestimmt sind. Letztendlich gibt es keinen Raum mehr, in dem sich Fußgänger:innen unbeschwert verhalten können.

        • @resto:

          Richtig. Zumal Räder heute ja oft auch viel schneller sind als früher. Fahrräder bzw. Radwege haben meiner Meinung nach z.B. absolut nichts in Parks zu suchen - genauso wenig wie Autos. Wobei Autofahrer nun wirklich eher selten auf die Idee kommen, durch Parks zu brettern, nur, weil die Wege breit genug dafür wären.

  • Es wird auch Zeit, eine Haftpflichtversicherung und Kennzeichenplicht für Fahrräder einzuführen.

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @Stoffel:

      Gibt's in keinem Land der Welt. Aus gutem Grund.

      • @659554 (Profil gelöscht):

        Dann nennen Sie den Grund!

      • @659554 (Profil gelöscht):

        Bis 2011 gab es in der Schweiz verpflichtend eine Velovignette (quasi ein Nummernschild am Fahrrad). Die wurde abgeschafft, weil die meisten Radfahrer:innen sowieso eine Haftpflicht hatten. Derzeitig ist in Diskussion, sie wieder einzuführen - aus gutem Grund.