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„Für die Scham finde ich erst jetzt im Nachhinein Worte

Louise K. Böhm ist Ar­bei­te­r:in­nen­kind und schämte sich im Studium für das Gefühl, nicht dazuzugehören. Als junge Autorin spricht sie jetzt über die Klassismusprobleme der Kultur- und Literaturwelt

Selten ist Kultur so barrierefrei: Das Hamburger Tunnelkonzert war 2019 eine einmalige Aktion Foto: Axel Heimken/dpa

Interview Amelie Müller

taz: „Mit genug Ehrgeiz und Talent kann doch je­de:r Au­to­r:in werden.“ Stimmt das?

Louise K. Böhm: Da rollen sich mir alle Zehennägel nach oben, wenn ich das höre. Und dann erwische ich mich dabei, wie ich selbst nicken muss. Weil, solche Sprüche kriegt man mit, wie sonst was in der Erziehung. Dann glaubst du irgendwann selbst dran, solange du dich nicht hinterfragst. Nein, grundsätzlich ist es nicht so. Es kann nicht jede Person mal eben Au­to­r:in werden oder Kultur machen. Da gehört viel dazu. Das fängt bei frühkindlicher Bildung an.

taz: Was hat frühkindliche Bildung damit zu tun, ob ich Au­to­r:in werden kann?

Böhm: Bei Klassismus geht es nicht nur darum, wer kann sich was leisten, sondern auch um sozialen Habitus, kulturelles Kapital und Bildungschancen. Deren Fundament wird werden durch frühkindliche Bildung gelegt: Welche Kinder haben Zugang zu Kultur und wie wird Kultur eigentlich anerzogen? Ein Kind, das gerne Geschichten schreibt, wird nur in einem Rahmen gefördert, in dem es ernst genommen wird und dieses Hobby ausleben kann. Wenn dann noch die Eltern selbst kultur­affin sind und das Kind zu Workshops schicken, das bezahlen können, wird es immer selbstbewusster und besser, und dann fängt es an, Preise zu gewinnen und Leute sind so „Oh mein Gott, das ist ein Wunderkind!“. Wenn ein Kind dagegen nicht lernt, wie man sich auf einer Lesung verhält, hat es später mehr Ängste, dort alleine hinzugehen. Das sind Ausschlussmechanismen.

taz: Sollten die Eltern ihren Kindern das beibringen?

Böhm: Man sollte die Verantwortung dafür nicht nur auf die Eltern abschieben. Vielleicht haben die selbst keinen Zugang zu Kultur oder sehen den Grund nicht, ins Theater zu gehen, weil ihre Geschichten nicht abgebildet werden – oder sie sich den Ticketpreis nicht leisten können. Es liegt in der Verantwortung der Politik, diese Barrieren abzubauen.

taz: Dem entgegnen häufig Leute, dass sich Menschen der Arbeiterklasse einfach weniger für Kultur interessieren.

Böhm: Das Argument regt mich so auf! Ich denke immer: „Ja, aber warum denn nicht?“ Überleg doch mal, warum die sich nicht interessieren. Weil sie sich nicht abgebildet sehen. Weil sie den Zugang dazu nie erlernt haben.

taz: Hat die Literatur- und Kulturbranche also ein Klassismus-Problem?

Böhm: Ja! Das äußert sich in ganz vielen Dimensionen. Zum einen sind da erst mal die Zugangsbarrieren. Wer kann überhaupt schreiben? Wer hat die finanziellen, zeitlichen, emotionalen Ressourcen zum ­Schreiben? Dann die Zugangsbarrieren zu Schreibschulinstituten. Eine andere große Frage ist: Wer wird ernst genommen? Wessen Geschichten dürfen erzählt werden, welche Geschichten sind wichtig oder gut genug, um verlegt und publiziert zu werden? Wer sitzt in Auswahlgremien? Wer entscheidet, wer ein Stipendium bekommt?

taz: Und wer wäre das, aus Ihrer Sicht?

Böhm: Mehrheitlich Menschen, die akademisiert und keine Ar­bei­te­r:in­nen­kin­der sind. Das sind Menschen, die vielleicht schon in Generationen in dieser Branche sind und Kultur und Literatur machen.

Foto: @louschreibt_/Insta

Louise K. Böhm

25, Autorin, auf Instagram als @louschreibt_, hat Kreatives Schreiben in Hildesheim studiert und lebt in Hamburg.

taz: Sie schreiben in Ihrer Kolumne „Schamlinien“ über eigene Klassismus-Erfahrungen. Mit welchen Schamlinien wurden Sie schon konfrontierst?

Böhm: Bei Scham denke ich viel an meine ersten Studienerfahrungen, weil ich ein Arbeiterkind bin und meine Eltern nicht studiert haben. Der ganze Uni-Kontext war für mich eine andere Welt. Ich weiß noch, wie ich mich unwohl und ich mich da fehl am Platz gefühlt habe. Das hat Scham ausgelöst, weil auch niemand darüber spricht. Ich dachte, mit mir selbst ist irgendetwas falsch, weil ich das System nicht verstehe. Wie soll ich mich anziehen? Was frage ich den Prof? Ich hatte niemanden, den ich fragen konnte, weil es in meinem Umfeld niemand wusste. Für die Scham, die das ausgelöst hat, finde ich jetzt erst im Nachhinein Worte finde.

taz: Zum Beispiel auf Social Media?

Böhm: Ja, auf jeden Fall. Als ich angefangen habe auf Instagram über Klassismus zu schreiben, habe ich viel Zuspruch bekommen. Menschen haben mir geschrieben, dass sie beim Lesen meiner Texte geweint haben, so sehr haben sie sich darin wiedergesehen. Social Media ist für mich ein Weg, Menschen niedrigschwellig zu erreichen, die sich sonst vielleicht eher nicht damit beschäftigen würden, die vielleicht keinen Zugang dazu haben oder denen die Sprache dafür fehlt. Gleichzeitig ist es auch ein Weg, Leute zu erreichen, die in der Branche tätig sind.

„Social Media ist für mich ein Weg, Menschen niedrigschwellig zu erreichen“

taz: Auf Instagram haben Sie sich mittlerweile eine Community aufgebaut. Was bedeuten Community und Solidarität für Sie im Klassismus-Kontext?

Böhm: Viel. Nur wenn sich Menschen zusammenschließen und Sachen anprangern, kann sich was verändern. Je mehr wir sind und je mehr Leute diese Missstände in der Branche aufzeigen, desto eher kommt es irgendwo oben an, was auch immer oben ist.

taz: Etwas konkreter?

Böhm: Grundsätzlich bist du in der Kulturbranche dazu angehalten, nicht über Geld zu sprechen, zu gatekeepen, keine Kontakte zu teilen. Die Rückbesinnung auf Solidarität ist superwichtig, weil die eben diese Mechanismen durchbricht. Dann fangen wir an, über Vorschüsse zu sprechen oder über Agenten, die einen schlecht behandeln. Ich finde es schön, dass es langsam ankommt und sich Banden bilden.

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