Fünf Jahre „Wir schaffen das“: Angekommen
Wie leben Geflüchtete jenseits der Heimat? Acht Frauen und Männer erzählen von ihrer Ankunft in Deutschland und ihrem ersten wichtigen Ort.
Als im Sommer 2015 viele Menschen aus Krisengebieten auf der Suche nach Schutz und Hilfe auch nach Deutschland kamen, sagte Angela Merkel einen schlichten Satz: „Wir schaffen das.“ Er richtete sich vor allem an ihre Landsleute, die helfen wollten, die aber auch nicht sofort verstanden, was da gerade geschah. Wie aber kamen die an, die sich auf den Weg gemacht hatten? Wie haben sie die Hilfsbereitschaft damals empfunden, wie blicken sie auf ihren Anfang in Deutschland zurück? Acht Männer und Frauen erzählen. Aus dem Dossier „5 Jahre Flucht“.
Noor, 26, aus Syrien: Potsdam
Während mein Mann Eyad schon seit fünf Jahren hier ist, konnte ich erst 2017 nach Deutschland nachkommen. Bis dahin habe ich in Damaskus gelebt und dort Pädagogik studiert. Als ich herkam, hat Eyad bereits in Potsdam gewohnt, wo wir bis heute leben. Hier habe ich die Freiheit und Sicherheit gefunden, die mir in Syrien gefehlt hat. Dank der Unterstützung vieler Menschen habe ich hier schnell Deutsch gelernt und Freunde gefunden. Spätestens seit mein Sohn Elias hier in Potsdam zur Welt kam, fühlt sich die Stadt für mich wie meine neue Heimat an. Sobald er etwas größer ist, möchte ich hier als Erzieherin arbeiten.
Eyad, 30, aus Syrien: Die Fachhochschule
Bevor ich 2015 nach Deutschland kam, habe ich Angewandte Mathematik in Syrien studiert. Aufgrund des Krieges konnte ich mein Studium nicht abschließen, obwohl ich beinahe fertig war. Deshalb war es für mich besonders wichtig, in Deutschland schnellstmöglich die Sprache zu lernen, um weiterstudieren zu können. 2016 habe ich einen Sprachkurs in Potsdam begonnen und studiere heute Medizininformatik an der Technischen Hochschule Brandenburg. Potsdam, wo ich Deutsch gelernt, Freunde gefunden habe und heute mit meiner Familie lebe, sowie meine Fachhochschule sind für mich die Orte, die mir das sichere Leben bieten, das ich mir gewünscht habe.
Nawras, 30, aus Syrien: Die Initiative „Beelitz hilft“
Als ich im Juli 2015 nach Deutschland kam, war ich zunächst in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt. Von dort bin ich nach Schäpe, einem Ortsteil von Beelitz, gekommen. Die Menschen dort haben uns von Anfang an geholfen. Dank der Initiative „Beelitz hilft!“ hatten wir Zugang zu Sprachkursen, uns wurden Fahrräder zur Verfügung gestellt und bei der Suche nach Wohnungen und Ausbildungsmöglichkeiten geholfen. Mittlerweile wohne ich in Potsdam und mache eine Ausbildung im gastronomischen Bereich. Ich habe nach wie vor Kontakt zu den Leuten aus Schäpe und kann mich jederzeit an sie wenden, wenn ich Hilfe benötige. Das weiß ich sehr zu schätzen.
Kenan, 30, aus Syrien: Die taz
Bevor ich nach Deutschland kam, habe ich in Damaskus Wirtschaft und Literatur studiert, konnte das Studium aber aufgrund der politischen Lage im Land nicht beenden. Mit Beginn des Bürgerkrieges 2011 habe ich angefangen, als Journalist für diverse syrische Zeitungen zu schreiben. Aufgrund meiner Publikationen wurde ich politisch verfolgt und musste 2014 meine Heimat verlassen. Nachdem ich 2015 nach Berlin kam, hat die taz einige meiner Artikel übersetzt und veröffentlicht. Ich erinnere mich noch, wie ich die Zeitung hielt und kein Wort meines eigenen Textes verstand. Das war ein sehr seltsames Gefühl! Bis dahin war ich davon überzeugt, dass Worte mein Zuhause sind – und plötzlich war ich ein Fremder in meinem eigenen Haus. Aber Schritt für Schritt verstand ich, wie die Zeit Häuser zerstört und andere baut, wie sich das Konzept von Heimat und Entfremdung allmählich verändert. Seitdem gehe ich durch Berlin, durch die Parks hier, sehe die Bäume und die kleinen Tiere und sage mir: „Du bist fast zu Hause.“
Mareena, 44, aus Palästina: Ein Frauenhaus
Ich bin seit 2016 in Deutschland und arbeite seither ehrenamtlich in einem Berliner Frauenhaus. Dieser Ort bedeutet mir viel, da ich hier Frauen helfen kann, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie ich, als ich mein Zuhause verlassen habe. Es gibt so viele Frauen, die allein mit ihrem Leid sind und nicht ausreichend geschützt werden. Für mich war es wichtig zu sehen, dass es hier Orte gibt, wo Frauen, die Gewalt erfahren haben, Schutz finden können. Das kannte ich so aus Palästina nicht.
Shashi, 22, aus Eritrea: Der Verein „Moabit hilft“
Ich war 16, knapp 17 Jahre alt, als ich 2015 alleine nach Deutschland kam. Dort hatte ich nur für vier Jahre die Grundschule besucht, danach gearbeitet. In Berlin war für mich der erste wichtige Anlaufpunkt der gemeinnützige Verein „Moabit hilft“. Die Leute dort, insbesondere Christiane Beckmann, haben sich sehr gut um mich gekümmert. Christiane hat mich bei meinem Asylverfahren unterstützt und mir geholfen, mich in der ersten Zeit hier zurechtzufinden. Heute lebe ich in Pankow, gehe jeden Tag in die Sprachschule und lese, so viel ich kann, auf Deutsch. Gerade bin ich dabei, mich für eine Ausbildung als Zahnarzthelferin zu bewerben.
Mohammed, 18, aus Syrien: Die Freie Waldorfschule
Als ich 14 Jahre alt war, bin ich mit meiner Familie nach Deutschland gekommen und habe hier, in Berlin-Kreuzberg, die Freie Waldorfschule besucht. Die Schule war für mich auch der erste wichtige Ort in Deutschland. Da ich ab dem ersten Tag schon in eine reguläre Klasse aufgenommen wurde – also keine der Willkommensklassen besuchen musste –, hatte ich das Gefühl, gleich einen direkten Zugang zur Gesellschaft zu haben. Das hat es mir erleichtert, mich an die neue Umgebung anzupassen, da mir quasi gar keine andere Möglichkeit gelassen wurde. Von der Schule wurde ich auch zu einer deutschen Familie geschickt, damit ich meine Sprachkenntnisse verbessern konnte. Vor Kurzem habe ich mein Abitur mit einem Durchschnitt von 1,9 bestanden und bewerbe mich gerade an verschiedenen deutschen Universitäten für das Medizinstudium.
Maryam, 30, aus Iran: Die Aktion „Laib und Seele“
Ich kam 2016 nach Deutschland, bin Hausfrau und arbeite ehrenamtlich für „Laib und Seele“ – eine gemeinschaftliche Aktion der Berliner Tafel, der Kirchen und des rbb. Für mich war es wichtig, an einem Ort zu leben, an dem ich ohne Gefahr sagen kann, dass ich Christin bin. In Berlin ist es für mich möglich, meinen Glauben auszuleben, zu beten und sogar in der Kirche tätig zu sein. Dadurch bin ich in der Lage, ein ruhiges und erfülltes Leben zu führen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl