Friendsaktivist über US-Nahostpolitik: „Siedlungen sind größtes Hindernis“
Brian Reeves von der israelischen Friedensorganisation Peace Now kritisiert die erneute Einmischung der USA in die israelische Politik.
taz: Die USA wollen Siedlungen im Westjordanland künftig nicht mehr als illegal betrachten. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie das hörten?
Brian Reeves: Ein Angriff auf die Zweistaatenlösung, dachte ich. Indem die USA sagen, dass Siedlungen in Ordnung sind, geben sie grünes Licht für den weiteren Siedlungsbau und geben Israel die Möglichkeit, in Verhandlungen weit mehr zu fordern, als die PalästinenserInnen jemals würden akzeptieren können. Israel kann den Siedlungsbau noch schneller vorantreiben bis zu einem Punkt, an dem es für wen auch immer in der Regierung nahezu unmöglich sein wird, die Entwicklungen rückgängig zu machen.
US-Außenminister Mike Pompeo sagte auch, dass dies ein Schritt in Richtung Konfliktlösung sei.
Das ist einfach absurd. Siedlungen sind noch immer eines der größten Hindernisse im Friedensprozess.
Welche Auswirkungen hat der Siedlungsbau auf das Leben der PalästinenserInnen?
Es hat zum Beispiel enormen Einfluss auf die Bewegungsfreiheit. Es gibt im Westjordanland 165 Inseln, die A- oder B-Gebiete sind, also mehr oder weniger unter palästinensischer Verwaltung stehen. Um von Insel zu Insel zu gelangen, muss man allerdings durch das israelisch kontrollierte C-Gebiet, was wiederum bedeutet, dass man Checkpoints passieren muss.
Angenommen, eine Palästinenserin möchte von Ramallah nach Hebron, dann ist sie auf den guten Willen Israels angewiesen. Lebt man als PalästinenserIn im israelisch kontrollierten C-Gebiet, dann ist es nahezu unmöglich, eine Baugenehmigung zu bekommen, um ein Haus für seine Familie bauen zu können.
Und wie beeinflusst der Siedlungsbau die Arbeitsbedingungen und die Wirtschaft?
Brian Reeves US-Jude und Sprecher von Peace Now, Israels größter Bewegung, die sich für Frieden in der Region einsetzt.
Nehmen wir an, du willst eine Firma aufmachen, die Marmorsteine bearbeitet – eins der lukrativsten Unternehmen in diesem Teil der Welt. Recht wahrscheinlich ist, dass die Mine selber im C-Gebiet liegt. Denn das C-Gebiet macht 60 Prozent der Fläche aus, und für gewöhnlich liegen dort auch die Ressourcen. Du lebst aber in Ramallah. Also brauchst du eine Genehmigung, C-Gebiet betreten zu dürfen.
Außerdem brauchst du eine Baugenehmigung und eine Genehmigung, das Unternehmen eröffnen zu dürfen. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass du all diese Genehmigungen bekommst, während ein israelisches Unternehmen längst ohne Probleme seine Arbeit aufnehmen kann. In einer Fabrik im Industriegebiet einer Siedlung werden dann SiedlerInnen angestellt. Und so wächst die Siedlung ökonomisch und in der Fläche, während die palästinensische Wirtschaft immer weiter den Bach runtergeht.
Was sind die Forderungen von Peace Now?
Die Grundidee der letzten Pläne zum Friedensprozess ist, dass die meisten SiedlerInnen die Westbank nicht verlassen müssten. Stattdessen soll es Austausche von Land geben auf der Basis der Grenzen von 1967. In der Westbank leben derzeit etwa 430.000 SiedlerInnen, nur 150.000 von ihnen müssten evakuiert werden. Sie würden kompensiert werden, mit 250.000 bis 500.000 Dollar. Wenn Israel allerdings, wie Netanjahu das angekündigt hat, das Jordantal annektiert, dann sind das 21 Prozent des Westjordanlandes. Und die israelische Verwaltung diskutiert natürlich nicht, wie viel und welches Land stattdessen an die Palästinenser geht.
Israel hat noch immer keine Regierung und steuert auf eine dritte Wahl zu. Was bedeutet die veränderte Haltung Amerikas für den Regierungsbildungsprozess?
Es sieht so aus, als würden sich die USA auch diesmal in die israelischen Wahlen einmischen. Erinnern wir uns, direkt vor der Wahl im April hat Trump die Annexion der Golanhöhen anerkannt. Dieses Manöver nun, das die USA ganz klar auf Seiten Netanjahus zeigt, kommt zwei Tage, bevor Gantz sein Mandat zurückgeben muss. Wären die USA wirklich daran interessiert, sich nicht in die Wahlen einzumischen, gerade jetzt, wo sie dafür kritisiert worden sind, hätten sie einfach ein paar Tage mit der Ankündigung warten können.
Wie optimistisch sind Sie, dass es irgendwann einmal Frieden gibt?
Sagen wir so: Es ist zwar alles in den letzten zehn Jahren schlimmer geworden, aber das kann unter guter Führung rückgängig gemacht werden. Benny Gantz ist zwar nicht die große Hoffnung, die sich die Linke gewünscht hat. Aber ich bin zuversichtlich, dass er, sollte er Ministerpräsident werden, sich mit der palästinensischen Führung treffen wird und mit bestem Willen eine Zweistaatenlösung verhandeln wird. Und gerade sind wir an einem Punkt, an dem die Chance auf eine neue Regierung da ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Der alte neue Präsident der USA
Trump, der Drachentöter
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby