Friedliche Revolution und Stadtplanung: Kein Abriss unter dieser Nummer
In vielen Städten der DDR verhinderten Bürgerinitiativen den Abriss der Altstädte. Nun beschäftigt sich ein Forschungsprojekt damit.
Geschichten gibt es viele über den Prenzlauer Berg. Eine davon erzählt, wie Oppositionelle bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 den Wohnbezirksausschuss (WBA) der Nationalen Front unterwanderten – und die Oderberger Straße zur Keimzelle alternativen Lebens machten. Dem WBA gelang es sogar, den Chefarchitekten von Ostberlin, Roland Korn, auf eine Veranstaltung zu zitieren und die Pläne öffentlich zu machen, die Straße abzureißen. Die Bewohnerinnen und Bewohner sollten anschließend in einem Hochhaus unterkommen. Noch während der Veranstaltung nahm der Chefarchitekt die Planungen zurück.
Matthias Klipp erzählte die Geschichte am Montagabend im Nachbarschaftshaus in der Oderberger Straße 19 noch einmal. Der spätere Baustadtrat von Prenzlauer Berg und Baudezernent in Potsdam hatte 1989 als unabhängiger Kandidat für den WBA kandidiert, er ist also Zeitzeuge für die friedliche Revolution, die in der Oderberger Straße auch eine städtebauliche Wende war. Eingeladen wurde Klipp von der TU Kaiserslautern und dem Institut für raumbezogene Sozialforschung in Erkner. Beide haben mit einem Forschungsprojekt begonnen: „1989. Friedliche Revolution in der Stadterneuerung und das Ende der Abrisspolitik“.
Seltsam, dass das Thema nicht schon eher erforscht wurde, denn viele Bürgerinitiativen in der DDR vor der Wende sind im Zusammenhang mit konkreten Abrissplänen entstanden. In Potsdam wehrte sich die Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung ARGUS gegen den Abriss des Holländischen Viertels. Einer der Aktivisten damals war Matthias Platzeck, der spätere Ministerpräsident Brandenburgs. In Görlitz, wo die Sprenglöcher bereits gebohrt waren, wurde der Abriss der Altstadt aus der Spätrenaissance verhindert. Und in der Spandauer Vorstadt in Berlin-Mitte wehrte sich eine Bürgerinitiative gegen den Abriss ganzer Straßenzüge. Nach der Wende wurde das Quartier zwischen Hackeschem Markt und Torstraße zum Flächendenkmal.
Eine, die damals in der Spandauer Vorstadt dabei war, ist Dorothee Dubrau. Nach der Wende wurde sie Baustadträtin von Mitte, heute ist sie Beigeordnete für Stadtentwicklung in Leipzig. Beim „Zeitzeugengespräch“ des Forschungsprojekts erinnerte sie noch einmal an die Atmosphäre in der DDR in den letzten Monaten vor dem Mauerfall. „Es kam immer auf Personen an. Es gab auch im Apparat Leute, die einen unterstützt haben.“
Den Abriss in vielen Städten haben Bürgerinitiativen verhindert. Aber was kam danach? Schon 1991 stand in Ostberlin die Übernahme des Mietensystems der Bundesrepublik auf der Tagesordnung. In der Oderberger wurde aus dem WBA die Initiative „Wir bleiben alle“. „Zur gleichen Zeit haben wir die Wohnungsbaugesellschaft dazu gebracht, mit allen besetzten Häusern Mietverträge zu unterschreiben“, erinnert sich Klipp. Zwei Jahre später wurden dann in Ostberlin 22 Sanierungsgebiete ausgewiesen, fünf davon alleine in Prenzlauer Berg, zwei in Mitte, darunter auch die Spandauer Vorstadt.
Sanierungsträger in Prenzlauer Berg wurde die zuvor in Westberlin tätige S.T.E.R.N. GmbH. Kritiker sagten damals, dass die bestens vernetzte behutsame Stadterneuerung eins zu eins auf den Osten übertragen wurde. Doch anders als in Kreuzberg ging die Sanierung in Ostberlin auch mit einem Austausch eines Großteils der Bewohnerinnen und Bewohner einher. „Der Grund dafür war die Restitution der Häuser“, sagt Klipp heute. „Damals hat keiner daran gedacht, dass kommunaler Besitz von Wohnungen einmal so wichtig sein würde.“
www.stadtwende.de
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