piwik no script img

Friedensnobelpreisträger Dmitri MuratowZum Abschuss freigegeben

Russlands Präsident Putin droht dem diesjährigen Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow. Der Journalist zeigt sich davon unbeeindruckt.

Dmitri Muratow, Chefredakteur der Zeitung „Nowaja Gaseta“, in Moskau Foto: Alexander Zemlianichenko/ap/dpa

Anlässlich des Russischen Energieforums in Moskau war Kremlchef Wladimir Putin in dieser Woche wieder einmal in Höchstform. Aus aktuellem Anlass arbeitete er sich an dem Chefredakteur der Nowaja Gaseta und diesjährigen Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow ab. Wenn Muratow russische Gesetze nicht verletze und keinen Anlass biete, ihn zu einem ausländischen Agenten zu erklären, werde das auch nicht passieren, sagte Putin am Mittwoch – wohl wissend, dass diese Ansage nicht anders denn als unverhohlene Drohung zu verstehen ist.

Am Freitag vergangener Woche hatte das erstaunlicherweise noch etwas anders geklungen. Über seinen Pressesprecher Dmitri Peskow hatte der Kreml dem Ausgezeichneten freundliche Glückwünsche ausrichten lassen und Muratows Talent, die Treue zu eigenen Idealen sowie seinen Mut gelobt. Was unweigerlich die Frage aufwarf, ob diesmal mit der Regieanweisung von ganz oben etwas nicht ganz gestimmt habe. Doch jetzt ist ja, Putin sei Dank, wieder Klarheit hergestellt.

Mit dem Label „ausländischer Agent“ werden in Russland Medien und Nichtregierungsorganisationen versehen, die Gelder aus dem Ausland erhalten. Ihre Liste wird fast täglich länger, der Zuwachs ist in Echtzeit auf den einschlägigen russischen Nachrichtenportalen zu verfolgen. Wer es in diesen erlauchten Kreis schafft, ist quasi zum Abschuss freigegeben.

Für den Umgang mit diesen „Schädlingen“, die natürlich alle im Auftrag des dekadenten und bösartigen Westens unterwegs sind und jetzt auch gerne als „Extremisten“ und „Terroristen“ abgestempelt werden, hat Russlands Führung einen ganzen Instrumentenkasten parat: Schließung von Organisationen, Verurteilungen einzelner Personen in Schauprozessen zu langjährigen Haftstrafen sowie manchmal auch deren Liquidierung – wie das Beispiel von Anna Politkowskaja zeigt. Die Journalistin der Nowaja Gaseta war am 7. Oktober 2006 (rein zufällig Putins 54. Geburtstag) vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen worden.

Auch ihr hat Muratow, der insgesamt bereits sechs seiner Mit­strei­te­r*in­nen durch kaltblütige Morde verloren hat, den Friedensnobelpreis gewidmet. Doch Muratow wäre nicht er selbst, würde er sich von Putins jüngsten Drohgebärden beeindrucken lassen. „Der Staat kann tun, was er will, aber wir werden den Preis erhalten, wir werden auf den Preis nicht verzichten“, zitiert ihn die Agentur Interfax.

Wie wird das „ausländische“ Preisgeld verbucht?

Diese Äußerung könnte der Kreml, dem an dieser Art von PR nicht gelegen sein kann, als Kampfansage verstehen – mit allen daraus möglicherweise folgenden Konsequenzen.

Wir erinnern uns an 1970: das Jahr, in dem dem Schriftsteller Alexander Solschenizyn der Literaturnobelpreis verliehen wurde. Die Reise nach Stockholm anzutreten, wagte er damals nicht – aus Angst, nicht wieder in seine Heimat zurückkehren zu können. Der Preis für den Preis war ihm zu hoch. Vier Jahre später – Solschenizyn war zwischenzeitlich ausgewiesen worden – holte er sich die Auszeichnung dann doch persönlich ab. Damals bedankte sich Solschenizyn auch im Namen des nicht staatlichen Russland, dem verboten sei, frei und laut zu sprechen.

Hallo, war da was? Eben. Denn so ist es auch heute wieder. Freie und laute Stimmen, die es immer noch gibt, werden zum Schweigen gebracht – ohne Rücksicht auf Verluste. Dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern könnte, ist nicht abzusehen – Nobelpreis hin oder her.

Genau aus diesem Grund gibt es auch zu der Hoffnung wenig Anlass, die hohe Ehrung könne für Muratow künftig zu einer Art Schutzschild werden. Genau das Gegenteil könnte der Fall sein, wobei noch die Frage zu klären bliebe, wie das „ausländische“ Preisgeld verbucht werden wird.

Das alles weiß wohl niemand besser als Muratow selbst. Dennoch wird er seine Arbeit fortführen und mit seinem Team die so wichtigen investigativen Recherchen fortsetzen. Der Nobelpreis mag Muratow dabei außer einer Anerkennung auch eine moralische Stütze sein. Schaden von ihm und anderen kritischen Jour­na­lis­t*in­nen abwenden kann er nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • In Russland sieht man sehr schön, wohin es führt, wenn man Nationalisten und Religiösen die Macht gibt: In eine totalitäre und völlig korrupter Diktatur, wo eine kleine Elite das Land ausplündert und das ungebildete Volk mit albernem Nationalstolz und religiösem Schwachsinn manipuliert und still hält.



    Russland ist ein Staat, der ohne seine Bodenschätze bitterarm wäre. Ein failed State. So, oder so.

    • @Elvenpath:

      Dazu kommt noch, das Russland und Putin uns ständig ihre Technologische überlegenheit im militärischen Bereich demonstrieren, aber sind wir mal ehrlich; ohne im Westen über jahrzehnte geklaute Technologie, wären die Russen heute noch mit Panjewagen unterwegs!



      Das trifft im übrigen auch auf China zu.

  • Die Arbeit der Nowaja Gazeta wurde viele Jahre durch ihren Minderheitseigner, den in GB lebenden Oligarchen Alexander Lebedjew, finanziert. 2014 stellte Lebedjew eine Finanzierung ein. Wohl auf Druck des Kreml, er wurde in dieser Zeit mit Strafverfahren überzogen und gezwungen, seine Firmenbeteiligungen in Russland zu veräußern. Die Nowaja konnte die Gehälter nicht mehr bezahlen. Da sprang Putins Freund aus Dresdner Zeiten, der Oligarch Sergej Tschemesow ein. Das Investigativ-Journal „Projekt“ hat die Strohmann-Konstruktion der Finanzierung Ende 2019 aufgedeckt:



    www.proekt.media/n...l-sergey-chemezov/



    Tschemesow hat in der Verbangenheit auch andere „liberale“ Projekt“ finanziert, etwa den Wahlkampf von Ksenija Sobtschak, die als Alibi-Kandidatin zur Präsidentschaftswahl 2018 zugelassen war. Er tut sowas nicht aus eigenem Antrieb, solche Aktivitäten sind mindestens von der Präsidentenadministration, vermutlich aber von Putin selbst bestellt.



    Muratow hat sich, um seine Zeitung zu retten, in eine Grauzone begeben. Die Nowaja Gaseta hängt am Tropf des Kreml und dient als liberales Feigenblatt. Das merkt man ihrer Berichterstattung zur Zeit (fast) nicht an, aber wenn, wie leider zu erwarten ist, die politischen Repressionen gegen die Medien weitergehen, wird es irgendwann auch gegen die Nowaja gehen. Dazu wird es reichen, die Finanzierung einzustellen. Eine erfolgreiche Umstellung auf Crowdfunding und/oder der Umzug der Redaktion ins Ausland ist schwer vorstellbar.



    Putin wird es nicht nötig haben, auf das „Agentengesetz“ zurückzureifen oder gar Muratow „zum Abschuss freizugeben“ (sehr irreführende Überschrift). „Die Nowaja Gaseta ist leider in eine ökonomische Schieflage geraten“ ist eine viel elegantere Lösung.



    Wie viel Lobbyismus die Präsidentenadministration hinter den Kulissen, ohne Wissen Muratows natürlich, getrieben hat, damit dieser, und nicht Nawalny, den Friedensnobelpreis erhält, ist eine sehr interessante (und für mich sehr nahe liegende) Frage.

    • @Barbara Falk:

      Dieses Investigativ-Journal welches sie da anführen, sieht mir eher nach einem Putin Journal aus!

      Ich kann mich erinnern, das die Nowaja Gazeta auch heute noch unter anderem von Gorbatschow finanziert wird.



      Und eher frisst sich Putin seine gesamten Gliedmaßen ab, bevor er Lobbyismus für einen seiner ärgsten Widersacher betreibt.

      Seit Putin, ist ganz Russland ein einziges Lügenkonstruckt, wenn er mal auf deutsch gesagt "den Arsch zu kneift" können die Russen das getrost auch tun.

      • @Detlef Fingerling:

        "Dieses Investigativ-Journal welches sie da anführen, sieht mir eher nach einem Putin Journal aus!"

        Und woran machen sie das fest?

        "Ich kann mich erinnern, das die Nowaja Gazeta auch heute noch unter anderem von Gorbatschow finanziert wird."

        Ihre Erinnerung trügt Sie.

        "Und eher frisst sich Putin seine gesamten Gliedmaßen ab, bevor er Lobbyismus für einen seiner ärgsten Widersacher betreibt."

        Und wer sagt, dass er "Lobbyismus" für die Nowaja Gaseta betreibt? Er versucht, sie zu korrumpieren (sein Spezialgebiet), das ist wohl eher das Gegenteil von "Lobbyismus".

        "Seit Putin, ist ganz Russland ein einziges Lügenkonstruckt"

        Sie haben völlig recht!

        "wenn er mal auf deutsch gesagt "den Arsch zu kneift" können die Russen das getrost auch tun."

        Keinesfalls. Wenn Putin tot umfällt (spätestens dann), bricht seine personalisierte Diktatur binnen kürzester Zeit wie ein Kartenhaus zusammen.

  • 2G
    28668 (Profil gelöscht)

    Anna Politkowskaja. Zitat: "Die Journalistin der Nowaja Gaseta war am 7. Oktober 2006 (rein zufällig Putins 54. Geburtstag) vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen worden." . Bitte, was soll der Hinweis auf Putins Geburtstag und "rein zufällig" bedeuten?



    Ist das nicht verschwörungsideolgisch? Was hätte Anna gesagt?

    • @28668 (Profil gelöscht):

      Anna hätte gesagt, ja stimmt mein Tod war ein Geburtstagsgeschenk an Putin!



      Wir erinnern uns, das ein "Russe" mal gesagt hat, er; Putin braucht sich selber die Hände nicht schutzig zu machen, es reicht schon wenn er sagt "der oder die gefällt mir nicht", und schon findet sich in Russland einer, der den oder die für ihn Tötet.

  • Leider lassen die Teile der Extremen im Deutschen Parteienspektrum, also AfD und Linkspartei immernoch Sympathien für Russland und deren Führung erkennen.



    Die Zusammenarbeit mit diesen Parteien sollte man daher bei den anderen Parteien überdenken.

    • @Paul Rabe:

      Das ist in teilen völliger Blödsinn, die AFD ist nicht nur Russlandfreundlich sondern auch noch teilweise Hitlertreu.

      Die Linken mögen es sich Russland anzubiedern, aber nicht alle sind Russlandtreu!



      Wenn sie wirklich mal ans Regieren kommen, funktioniert das meistens sehr gut.



      Und die roten Socken, die die CDU denen immer gerne im Wahlkampf seit 30 jahren anziehen will, sollte die CDU mal selbst überziehen, die gehen nämlich mit jedem ins Bett, wenn es dem Machterhalt dient, zuletzt mit der AFD.

    • @Paul Rabe:

      Ja, es ist schon sehr erstaqunlich, dass die Linken nicht merken, dass NICHTS in Russland links ist. Dass Russland eine Oligarchie ist. Mit übelstem Raubtierkapitalismus.



      Russland ist genau das System, gegen das jeder anständige Linke kämpfen müsste.

      • @Elvenpath:

        Und gegen China, deren Raubtierkapitalismus ist viel schlimmer!

        Ich befürchte, das "Geiz ist Geil" dazu führt, das meine Nachkommen eines fernen Tages in grauer Einheitskleidung den Kommunisten dienen müssen, ohne das Recht auf eine freie Meinung.

        Daher sollten wir weg kommen von Amazon un Co. die uns mit billigschrott aus China überfluten und wiedr mehr im eigenen Land Produzieren.