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Friedensnobelpreis an ICANAtommächte boykottieren Nobelfest

Den meisten Atomwaffen-Staaten gefällt der diesjährige Preisträger nicht. Sie boykottieren die Festveranstaltung des Nobelpreiskomitees.

Den Atommächten ein Dorn im Auge: ICAN-Büro in Genf Foto: ap

Stockholm taz | Wenn am Sonntag in Oslo der diesjährige Friedensnobelpreis verliehen wird, werden unter den rund 1.000 Gästen einige fehlen, die bei dieser feierlichen Zeremonie ansonsten traditionell anwesend sind. Beinahe alle der in Norwegen akkreditierten Botschafter der Atommächte wollen die Preisverleihung an ICAN, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, boykottieren.

Warum ihnen nicht gefällt, dass dieses Bündnis dafür geehrt wird, „die Aufmerksamkeit auf die katastrophalen humanitären Konsequenzen von Atomwaffen zu lenken und für seine bahnbrechenden Bemühungen, ein vertragliches Verbot solcher Waffen zu erreichen“ – so die Motivation des Preiskomitees –, begründete eine Sprecherin der französischen Botschaft in Oslo gegenüber dem norwegischen Rundfunk NRK so: „Wir wollen unsere Haltung gegenüber dem ICAN-Projekt markieren, konkret dem bei den Vereinten Nationen in New York ausgehandelten Vertrag zum Verbot atomarer Waffen.“

Und die US-Botschaft erklärte gegenüber dem gleichen Sender: „Die USA unterstützen dieses Verbotsabkommen nicht und werden es nicht unterzeichnen. Es wird damit keine Atomwaffe weniger geben und es nimmt keine Rücksicht auf aktuelle Sicherheitsherausforderungen.“

Aber deshalb gleich die Ehrung boykottieren? „Das zeigt doch nur, wie wichtig dieses Verbot ist, und dass sie einen ganz schön starken Druck spüren“, meint Grethe Østern, Mitglied des internationalen ICAN-Vorstands.

Abgesprochener Protest

Ihren konzertierten Protest haben Paris, Washington und London, das ebenfalls boykottiert, laut NRK-Informationen bereits vor einigen Wochen abgesprochen. Doch nicht nur sie werden fehlen. Die Botschafter Indiens und Chinas im Königreich Norwegen sind ausgerechnet am 10. Dezember in Urlaub, die pakistanische Botschafterin ist auf einer Auslandsreise.

Von allen Atommächten – Nordkorea hat keine Botschaft in Oslo – hatte von vorneherein nur der russische Botschafter sein Kommen angekündigt. Am Samstag, dem Tag vor der Preisverleihung sagte aber auch er seine Anwesenheit bei der Zeremonie ab. Eine Pressesprecherin der Botschaft gegenüber NRK: Der Botschafter sei zwar in Oslo, es habe aber eine „Änderung der Pläne gegeben“.

Also wird nur Israel vertreten sein, dessen Botschafter ursprünglich nicht teilnehmen wollte, es sich aber anders überlegte, als erste Medienberichte über den Diplomaten-Boykott erschienen: Sein zunächst ­mitgeteilter Beschluss sei nicht politisch motiviert gewesen, was er damit demonstrieren wolle.

Wenn Grethe Østern den Boykott „nahezu als Kompliment“ versteht, meint Olav Njølstad, Sekretär des Nobelkomitees, man „respektiere dies“: „Es beweist jedenfalls, dass der Preis den Staaten, die Atomwaffen besitzen, nicht gleichgültig ist.“

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6 Kommentare

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  • Früher wurde der Friedensnobelpreis mal an Leute vergeben, die WIRKLICH etwas für den Frieden erreicht hatten und nicht nur irgendwie medienwirksam einen friedfertigen Idealismus kommunizierten. Er wird allmählich zu einer Auszeichnung für friedenspolitische Korrektheit.

     

    Denn mehr ist ICAN nicht: Eine Vereinigung von Utopisten, die hoffentlich selbst nicht glauben, dass sie die militärische Realität der Welt auf den Kopf stellen können, indem sie Politikern uneinhaltbare Lippenbekenntnisse abzupressen versuchen. Die brave Anwesenheit des israelischen Botschafters ist dabei das zynische I-Tüpfelchen: Israels Arsenal, das unzweifelhaft von Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags ermöglicht, wenn nicht sogar aktiv geliefert wurde, dürfte es eigentlich nicht geben, wenn Verbote im Zusammenhang mit Atomwaffen wirklich eingehalten würden (wie auch die Arsenale von Indien, Pakistan und Nord-Korea).

     

    Aus meiner Sicht stellt sich nicht die Frage, ob die Abschaffung aller Atomwaffen und aller nuklearen Abschreckung ein erstrebenswertes Ziel ist (das versteht sich von selbst), sondern wie man damit umgeht, dass es zwar schön aber bis auf Weiteres völlig unrealistisch ist. Einfach so zu tun, als WÄRE es realistisch, erscheint mir da nur eine substanzlose Träumerei, kein "I have a dream..." mit echter Chance, etwas zu verändern. Dafür einen Friedensnobelpreis zu vergeben, ist eine Entwürdigung der Leistung derjenigen, die tatsächlich etwas BEWEGT haben.

     

    Und von den Atommächten, die in der Überzeugung, nicht nur von sich sondern auch von Anderen möglichen Schaden abzuhalten, offen an ihren Arsenalen festhalten, da noch Gejubel zu erwarten, geht zu weit. Zumal ja offenbar ICAN gerne von ihnen hätte, dass sie das Verbot unterstützen, OBWOHL sie es nicht einhalten werden. Wer MICH in so eine blöde Situation bringen wollte, der hätte von mir keine Ehrung zu erwarten.

  • Dieser Boykott ist die beste Ehrung und ein schönes Kompliment für ICAN. Den Boytotteuren ist offensichtlich aufgegangen, dass eine Teilname zynisch wäre. Möglicherweise leiden sie tatsächlich unter ihrer Perversion und deren unabwendlichen Folgen.

    • @Gregor Tobias:

      Das Boykott ist tatsächlich eine Ehrung für ICAN, eine Teilnahme wäre aber nicht zynisch, sondern im Gegenteil ein humanes Zeichen. Atomwaffen sind in der Welt und nichts wird sie wieder entfernen. Zu denken, die USA und Russland könnten auf diese Waffen verzichten, wäre naiv, gerade in Anbetracht dessen, dass Staaten wie Nordkorea darüber verfügen? Selbst wenn es gelänge, alle Waffen zu vernichten, weltweit, das Wissen um die Produktion ist da und bei Bedarf kann ein Staat, der es sich leisten kann, will und glaubt zu müssen, binnen kurzer Zeit wieder Atomwaffen herstellen und hätte damit einen Vorteil wie die USA 1945.

      Also Ehrung für ICAN gut, als Zeichen einer wünschenswerten Utopie, aber leider nicht umsetzbar.

      • @Marius:

        Ich kann mir eine Welt vorstellen in der Menschen gut leben und die so entspannt ist, dass es kein Land mehr drauf anlegt Atomwaffen zu besitzen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

        • @Hanno Homie:

          Eben: Ein weiter Weg - VERDAMMT weit, wenn ich ergänzen darf. Und mit ICAN tritt eine Gruppe auf den Plan, die einfach so handelt, als könne man diesen Weg mit einem lockeren Federstrich zurücklegen. Toller Beitrag.

          Würden Sie auch den Wirtschaftsnobelpreis Jemandem geben, der das Armutsproblem der Welt lösen will, indem er einfach jedem Erdenbürger eine Million Euro auf einem Konto gutschreibt?

      • @Marius:

        Absolut richtig. Deshalb ist es ja unabwendbar, dass ein Durchgeknallter einmal auf den Knopf drückt. Alles nur eine Frage der Zeit.