Friedensabkommen in Kolumbien: Künftig nur noch Wortgefechte
Der Friedensprozess könnte den längsten bewaffneten Konflikt Lateinamerikas beenden. Doch die Herausforderungen sind groß.
Der heilige Pedro Claver stand Pate. Der in Kolumbien als Schutzheiliger und Hüter der Menschenrechte verehrte Jesuit hatte im 17. Jahrhundert den nach Cartagena verschleppten afrikanischen Sklaven geholfen.
Vor diesem historischen Hintergrund wurde die kolumbianische Hafenstadt Cartagena als Ort ausgewählt, in dem das Friedensabkommen zwischen der Regierung und der Farc-Guerilla unterzeichnet wurde. Präsident Juan Manuel Santos und der Chef der Farc-Rebellen, Rodrigo Londoño Echeverri alias „Timochenko“, unterschrieben den Vertrag am Montagabend.
Nicht in der kubanischen Hauptstadt Havanna, in der die Kriegsparteien seit November 2012 verhandelt hatten und am 24. August den erfolgreichen Abschluss verkündeten. Auch nicht in einer der Hauptstädte der anderen Staaten, Norwegen, Chile und Venezuela, unter deren Aufsicht die Verhandlungen geführt wurden.
Auch nicht in New York am Sitz der Vereinten Nationen, die die zukünftige Waffenabgabe der Guerillas und Guerillos in 28 eigens dafür festgelegten Zonen überwachen und den Friedensprozess im zivilen Leben begleiten werden.
FARC – Selbstverteidigung der Bauern
Und wenn in Cartagena die roten Teppiche längst wieder eingerollt sind, werden die KolumbianerInnen am 2. Oktober in einem Referendum über die Annahme des Friedensvertrages entscheiden. Gegenwärtig stehen die Chancen dafür gut, die Umfragen sagen eine mehrheitliche Zustimmung vorher. Gewinnt das ‚Si‘, wäre die längste bewaffnete Auseinandersetzung der Neuzeit in Lateinamerika zu Ende.
Der Konflikt zwischen dem kolumbianischen Staat und der Farc-Guerilla begann 1964. In diesem Jahr hatte sich die Farc (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) aus der Bauernbewegung und der Kommunistischen Partei gebildet. Zeitweise hatte sie etwa 17.000 bewaffnete Mitglieder.
Die Farc sah sich als bäuerliche Selbstverteidigungsorganisation, gegründet in einer Zeit, die von tiefer sozialer Ungleichheit und der Erfahrung brutaler staatlicher Gewalt geprägt war.
Nach Angaben des Historischen Zentrums der Erinnerung Kolumbiens haben die fünf Jahrzehnte der militärischen Auseinandersetzungen, an denen auch andere Guerilleros und Paramilitärs beteiligt waren, rund 6,5 Millionen Opfer gefordert. 5,7 Millionen Menschen wurden vertrieben und 220.000 Menschen getötet. Zudem sind 25.000 Personen verschwunden und 27.000 Menschen wurden entführt.
Viel Land in den Händen weniger
Wie Täter und Opfer zukünftig friedlich zusammenleben sollen, ist eine der am schwersten zu beantworteten Fragen. Der Friedensvertrag sieht die Einrichtung von Sondergerichten vor.
Vor den noch zu bestimmenden 48 Richtern, darunter zehn aus dem Ausland, sollen alle am Konflikt beteiligten Parteien für Morde, Entführungen, Vergewaltigungen, Folter und Vertreibungen zur Verantwortung gezogen werden. Den Schuldigen drohen bis zu 20 Jahre Haft. Für weniger schwere Vergehen soll es eine Amnestie geben.
In den großen Städten, in denen bereits seit einigen Jahren der Krieg immer weniger zu spüren war, dürfte das Zusammenlegen noch am leichtesten vonstattengehen.
Auf dem Land, wird die Landreform für erhebliche Umwälzungen sorgen, sollte sie wie vereinbart umgesetzt werden. An der enormen Konzentration des Landbesitzes in den Händen weniger, hat der Krieg wenig geändert. In den kommenden zehn Jahren sollen drei Millionen Hektar Land neu verteilt werden.
Garantiert im Parlament vertreten
Die Rückkehr der von ihrem Land vor den Krieg geflüchteten Menschen, stellt eine zusätzliche Herausforderung dar. Kolumbien war länge weltweit das Land mit den meisten Binnenflüchtlinge, bis es vor wenigen Jahren von Syrien abgelöst wurde.
Noch am leichtesten könnte die Eingliederung der Guerilla in die politischen Institutionen fallen. Zukünftig will sich die Farc als politische Partei aufstellen. Um ihre Präsenz im Kongress zu garantieren, wurden ihr für die beiden kommenden Legislaturperioden fünf Sitze im Abgeordnetenhaus und fünf im Senat garantiert.
Die dann ehemalige Guerilla wird an diesem Punkt sehr wachsam sein. Mitte der 1980er Jahre versuchte die Farc schon einmal, sich zu legalisieren. Doch eine mörderische Komplizenschaft aus Paramilitärs und staatlichen Akteuren machte der von ihr gegründeten Unión Patriótica einen blutigen Garaus: Mehr als 5.000 Parteimitglieder und Sympathisanten wurden getötet. Diese Gefahr lauert in Kolumbien auch heute noch.
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