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Freundschaften pflegenRummikub und Kir Royal

In der romantischen Liebe analysieren wir Krisen, fragen, was schieflief, gehen zur Paartherapie. Aber wir lernen kaum, wie man Freundschaften erhält – besonders ab 30.

Und 2065 im Garten gemeinsam Plättchen legen, egal, was passiert Foto: imago

M ir ist etwas Schreckliches passiert, unabsichtlich. Manchmal bemerkt man ja die Schrecklichkeit der Dinge gar nicht, bis man dann Monate später auf die Liste der Notfallkontakte im Handy schaut und feststellt, dass man die Nummer der besten Freundin durch die Nummer des Partners ausgetauscht hat.

Es gibt logische Gründe für diesen Austausch. Zum Beispiel, wenn der Partner 15 Minuten entfernt wohnt, während die beste Freundin erst stundenlang Zug fahren müsste. Aber sobald mir dieser eine Austausch auffiel, bemerkte ich auch die anderen: von wem ich mich trösten lasse, wem ich gute Nacht sage. Wer fast die ganze Zeit weiß, was mich beschäftigt, und für wen ich oft kaum schaffe, meine Wochen zusammenzufassen, weil Alltägliches sich schwer nacherzählen lässt.

Ich schrieb meiner Freundin eine Mail mit dem Betreff „Liebeskummer“ und meinte uns. Dieses Wir, das in den letzten Jahren so unumstößlich wurde, dass ich mir sicher war: Wir spielen 2065 in irgendeinem Garten Rummikub und trinken Kir Royal, egal was passiert. Aber jetzt hatte ich einen anderen Notfallkontakt und zum ersten Mal in meinem Leben so was wie Freundschaftsverlustangst. Mein einziger Trost war, dass sie mir antwortete, es würde ihr ganz genauso gehen. Und dass wir beide damit wiederum nicht allein sind.

Die meisten meiner Freundinnen haben gerade Probleme mit Freundschaften. Sie überlegen, wohin die begrenzte Zeit und Energie fließen soll, die nach der Arbeit übrigbleibt. Im Grunde geht es dabei immer um die Frage, was für sie ein glückliches, gutes Leben ausmacht – und wer. Also haben sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nicht melden, sie wissen nicht, wie sie eine Freundschaft beenden, die ihnen nicht mehr genug bedeutet, oder sie sind verletzt, weil jemand sich zurückzieht. Überall Freundschaftsherzschmerz und Überforderung.

Vervielfaltungsdruck ab 30

Ständig werden Höhen und Tiefen sogenannter romantischer Liebe erzählt, in Filmen, Serien, Literatur. Da analysieren wir Krisen und Enden, fragen, was schieflief, gehen zur Paartherapie. Aber wir lernen kaum, wie man Freundschaften erhält – im Alter zwischen 30 und 40, wenn (besonders für Frauen) der Druck zunimmt, sich schnell zu vervielfältigen, bloß nicht einzeln zu bleiben. Dabei ist es wesentlich für eine alternde und zunehmend verletzliche Gesellschaft, Beziehungsformen und Fürsorgekonstellationen vielfältiger zu denken und politisch zu fördern. Das heißt nicht nur, dass Care-Arbeit auf viele Schultern verteilt werden kann. Es bedeutet auch, ab und zu die absolute Priorität von Partnerschaft infrage zu stellen. Auch wenn viele von uns, egal wie aufgeklärt, davor zurückschrecken.

Ja, alle Beziehungen verändern sich, immer. Eine wirklich gute Freundschaft wird nicht am Notfallkontakt zerbrechen. Aber auch sie braucht Hingabe, wenn man sie erhalten will. Wie jede Form von Liebe eben.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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