Freispruch eines Journalisten: Doch kein Aufruf zur Gewalt
Sören Kohlhuber wurde vorgeworfen, bei den G20-Protesten in Tweets zu Gewalt aufgerufen zu haben. Der Richter folgte der Anklage nicht.
![In Rauch gehüllter Polizeieinsatz bei der G20-Demonstration "Welcome to hell". In Rauch gehüllter Polizeieinsatz bei der G20-Demonstration "Welcome to hell".](https://taz.de/picture/4564256/14/218937355-1.jpeg)
Kohlhuber stritt zwar nicht ab, diesen Tweet gesendet zu haben, ließ den Vorwurf allerdings nicht gelten, auf diese Weise zur Gewalt aufgerufen zu haben. Darin hat er nun Recht bekommen: „Ich kann keine strafbare Handlung sehen“, sagte der Richter und sprach Kohlhuber frei. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor dargelegt, dass es ihr nicht allein um den Wortlaut der Aussage gehe, sondern dass auch die Adressaten aus der linken Szene zu berücksichtigen seien. Sie forderte eine Geldstrafe über 2.400 Euro in 40 Tagesätzen zu 60 Euro.
In seiner Einlassung hatte Kohlhuber erklärt, er habe sich nach den Ausschreitungen auf der „Welcome to Hell“-Demonstration in die schnell aufkommende und bundesweit geführte Debatte über Gewalt einbringen wollen. Für ihn sei unter Verweis auf wenige Hundert vermummte Personen mehr als 10.000 Menschen das Recht genommen worden zu demonstrierten. Auch dass die Polizei eine genehmigte Demonstration gewaltsam anging, sei nicht verhältnismäßig gewesen.
Weiter sagte er aus, dass die Exekutive auch beim Umgang mit den Protestcamps während des Gipfeltreffens in Hamburg vom Bundesverfassungsgericht zugesicherte Rechte verweigert habe. Er sprach von massiven Grundrechtseinschränkungen der Polizeigewalt, „welche vom Oberbürgermeister a. D. Olaf Scholz im Nachgang negiert wurde“. Kohlhuber beruft sich in seiner politischen Begründung auf das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Widerstand. Richter und Staatsanwalt ließen diese Einlassung unkommentiert.
Gezielte Provokation
Einen weiteren Anklagepunkt hatte die Staatsanwaltschaft bereits zu Beginn des Prozesses zurückgezogen. Über Twitter hatte Kohlhuber am Tag der „Welcome to Hell“-Demonstration bekannt gemacht, dass sich drei Männer und eine Frau mit T-Shirts der rechtsextremen Identitären Bewegung im Umfeld der Demonstration bewegten. Seine Bilder wurden im Netz weiterverbreitet und die Rechtsextremist*innen auch tatsächlich nachweislich zwei Mal von unbekannten Personen angegangen.
Allerdings: „Meine Bilder sollten keine Aufforderung zur Straftat sein“, sagt Kohlhuber, „sie waren als Warnung gemeint.“ Da die Personen mit Kameras unterwegs waren und aufgrund ihrer Kleidung eindeutig der Identitären Bewegung nahestanden, sei er davon ausgegangen, dass ihr Auftreten eine gezielte Provokation, „eine strafrechtliche Falle“ war. Kurz: Die vier wollten angegriffen werden, um es propagandistisch zu nutzen.
Diesem Gedankengang folgte schließlich auch der Staatsanwalt: Dass jemand mit einem T-Shirt, das eindeutig rechte Gesinnung erkennen lässt, zu einer Demonstration von Linken und Antifaschist*innen geht, dürfte provokativ eingeordnet werden, betonte er in seinem Abschlussplädoyer. Die Verteidigung von Kohlhuber wies in ihrem Plädoyer zudem darauf hin, dass ihr Mandant als Journalist durch das Presserecht und die Meinungsfreiheit das Recht und die Pflicht habe, Sachverhalte zu kommentieren und einzuordnen. Sie forderte Freispruch.
Das Urteil freut den nun nicht mehr Beschuldigten auch wegen seiner Außenwirkung. Damals hatten ein Focus- und ein FAZ-Journalist Kohlhubers Tweets aus dem Kontext gerissen zitiert und somit den Eindruck erweckt, dass er sich Angriffe auf die Rechtsextremist*innen wünschte. Es folgte ein massiver, tagelanger Shitstorm gegen Kohlhuber.
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