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Freiheitsbewegung in IranDer Schützengraben der Mullahs

Das Festhalten der Mullahs am Hidschab hat viel mit dem Islam zu tun. Aber mehr noch mit Sexualität.

2. Oktober in Teheran: Frauen legen den Hidschab einfach ab, was den Tod bedeuten kann Foto: Morteza Nikoubazl/NurPhoto/imago

E s ist dieser eine Satz, der mir nicht aus dem Kopf geht. Der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, Hussein Salami, sagte ihn letzte Woche, als er die USA, England, Deutschland, Frankreich, Israel und Saudi-Arabien als „Drahtzieher der Unruhen“ bezeichnete. Dass er die Kurden in dieser Aufzählung vergaß, ist eine Nachlässigkeit, die mittlerweile mit dem Beschuss kurdischer Ziele in Iran und Irak wettgemacht wird.

Was nun hatte Salami über die „Satane“ zu sagen? Er sagte: „Sie wollen unseren Frauen den Hidschab wegnehmen, der aber ist unser Schützengraben.“

Klar, dieser Satz, der die ganze Niedertracht und das ganze Elend des iranischen Mullahregimes vor Augen führt, hat viel mit dem Islam, aber noch mehr mit unterdrückter Sexualität zu tun. Man muss nicht der Psychoanalyse zugeneigt sein, um sich mit diesem Satz vorzustellen, wie diese Versager mit ihrer erbärmlichen Angst vor Sexualität wimmernd in jenem Graben liegen, den die Frauen und LGBTQs mit ihrer Freiheit bezahlen.

Schön wäre es, diesen Satz jenen linken Kulturrelativist:innen, die zu den iranischen Protesten so auffällig wenig zu sagen haben, persönlich ins Postfach zu legen. Er erinnerte mich an ein Buch, das auf sehr eindrückliche Weise Heuchelei und Widersprüche, Unterdrückung und Widerstand im Alltag des mörderischen iranischen Systems sichtbar macht: „Stadt der Lügen“ von Ramita Navai ist bereits 2014 im Original und 2016 auf Deutsch erschienen.

Es erzählt in acht collagierten Texten vom Leben der Te­he­ra­ne­r:in­nen und gibt ohne plakativ zu moralisieren einen tiefen Einblick in die Verfasstheit einer Gesellschaft, in der die Lüge zur Überlebensbedingung geworden ist.

Legendäre Fatwa

Dabei sind es gerade die skurrilen Geschichten, die eine Ahnung von dem verbrecherischen Konnex aus Sexualität und Unterdrückung geben. Wie die legendäre Fatwa eines Mullahs etwa, die erörtert, ob ein Kind nicht doch legitim sei, das aus dem Verkehr eines jungen Mannes mit seiner Tante hervorgehe, angenommen der Mann fiele während eines Erdbebens mit eregiertem Penis auf seine Tante, beide wären zufällig nackt und die Penetration in diesem Sinne auch nur zufällig.

Die Geschichten amüsieren, enden aber meist tragisch in diesem ebenso terroristischen wie neurotischen Regime, in dem Vertrauen und Solidarität kaum möglich sind. Umso beschämender, dass die Proteste erst am Donnerstag dem UN-Menschenrechtsrat, dem immer bloß einfällt, Israel zu verurteilen, eine Sondersitzung wert waren.

Auch bleibt zu hoffen, dass die USA und Deutschland den Fokus vom ohnehin gescheiterten Atomabkommen auf die Unterstützung der iranischen Bevölkerung verlagern, wie es nun aus dem Außenministerium hieß. Oder wer um Himmels Willen glaubt an ein Abkommen mit Leuten, die die zufällige Penetration aufgrund eines Erdbebens für möglich halten?

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Tania Martini
Politisches Buch/Kultur
Tania Martini war bis November 2024 Redakteurin für das Politische Buch und Theorie/Diskurs im Kulturressort. Mitherausgeberin des Buches "Nach dem 7. Oktober. Essays über das genozidale Massaker und seine Folgen (Edition Tiamat). Jurorin des Deutschen Sachbuchpreises 2020-2022 sowie der monatlichen Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandradio. Lehraufträge in Kulturwissenschaften und Philosophie. Von 2012 bis 2018 Mitglied im Vorstand der taz. Bevor sie zur taz kam: Studium der Gesellschaftswissenschaften, Philosophie und Psychoanalyse in Frankfurt/Main; Redakteurin und Lektorin in Wien.
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7 Kommentare

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  • Frau Martini spricht einen wichtigen, vielleicht den wichtigsten Punkt an: die Sexualität. Danke dafür, traut sich kaum jemand.

    Im Falle des Hidschabs ist es nicht nur die Angst der Männer, dass sie durch die Haare einer Frau sexuell erregt werden könnten.

    Viel tiefer geht die Angst vor der Power der Frau, insbesondere deren sexuelle Power. Frauen können multiple Orgasmen bekommen, Männer sind da doch vergleichsweise bescheiden dran.

    Tiefenpsychologisch muss der Mann daher alles tun um die Sexualität der Frau kontrollieren zu können, weil sein Ego das nicht aushält.

    Der Hidschab ist da nur eine Möglichkeit. Oder die Burka.

    Genitalverstümmelungen eine weitere.

    Und natürlich das Jungfernhäutchen. Als Garant dafür, dass der Mann keine Vergleiche mit seinen Vorgängern fürchten muss.

  • Darüber, dass das Regime im Iran auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, müssen wir nicht diskutieren.

    Ich für meinen Teil wundere mich aber manchmal, warum die Unterdrückung von Frauen es hierzulande nur in Verknüpfung mit dem Islam ins öffentliche Bewusstsein schafft. Mein Heimatland (Mexiko) belegt bei Femiziden den weltweiten Spitzenplatz und auch unsere Nachbarn laufen hier jedem islamischen Staat den Rang ab.

    Fast wünsche ich mir statt unserem irrlichternder Salonlinken einen Mullah als Präsidenten. Denn scheinbar ist der Kampf für Frauenrechte nur im Verbund mit kulturell-religiösen Feindbildern interessant.

    • @Tezcatlipoca:

      Mexiko hat eine eigene Variante:

      „Die Macho-Kultur und der Begriff Macho kommen aus Mexiko, sind hier entstanden. Das heißt, es herrscht die Auffassung: Der Mann ist der Frau überlegen. Die Gewalt wird generell toleriert, weil sie als Teil der Rollen in der Familie, in der Gesellschaft gesehen wird.“

      www.deutschlandfun...auenmorde-100.html

    • @Tezcatlipoca:

      Ich kenne die Straf- und Familiengesetzgebung in Mexiko nicht. Im Iran (und vielen Ländern mit Islam als Staatsreligion) sind Frauen massiv benachteiligt: Gewalt gegen Frauen ist legitimiert, Erbschafts- Scheidungsrecht… u.v.m. Also fast alles gesetzlich abgesichert, was dort passiert und Frauen haben keine Chance Rechtsmittel einzulegen. Ist es das auch in Mexiko oder ist Mexiko „einfach nur“ korrupt?

  • „Sie wollen unseren Frauen den Hidschab wegnehmen, der aber ist unser Schützengraben.“

    Ein Satz wie ein Donnerschlag. Und die logische Konsequenz daraus: Fällt das Kopftuch, fällt das Regime.

    Der Frauenhass, die Verachtung der Frauen, den absoluten Drang sie beherrschen und kontrollieren zu müssen, ist dem Islamismus eingewoben wie der Antisemitismus.

    Sie sind seine conditiones sine quibus non.

    • @Jim Hawkins:

      Ist nicht hundertprozentig dem Islam zuzuschreiben. Iran und Isreal waren mal „Freunde“.



      Schauen Sie gerne mal die Folge von der Anstalt:

      m.youtube.com/watch?v=wFnY8rq0xEw

      Freundlichen Gruß

    • @Jim Hawkins:

      Eine zusätzliche perfide Version, sozusagen die Weiterentwicklung dieser Verachtung in ihrer logischen Konsequenz findet sich in Afghanistan:

      Bacha Bazi.

      www.emma.de/artike...e-geheimnis-339819