Freihandelsabkommen mit Kanada: Wo hakt's in Europa bei Ceta?
Das Abkommen soll nun doch von allen Parlamenten in der EU ratifiziert werden. Das wird kein Selbstläufer.
Als Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ankündigte, für die EU-Juristen wäre das Freihandelsabkommen mit Kanada „EU only“, also nur von der Zustimmung des Europäischen Rats und des EU-Parlaments abhängig, war das Geschrei groß. „Unglaublich töricht“, rüffelte etwa Sigmar Gabriel Junckers Plan. Wegen des Brexit-Votums der Briten sei die Stimmung auf dem Kontinent eh schon unten. Wenn die Kommission Ceta an den insgesamt 42 Kammern und Parlamenten in Europa vorbei durchpeitsche, sei auch TTIP, das große Schwesterabkommen mit den USA, „praktisch tot“, sagte der Vizekanzler und SPD-Chef.
Am Dienstag fiel die Kommission um – und kündigte an, doch EU-weit über Ceta abstimmen zu lassen. Die Haltung davor sei nur juristisch begründet gewesen. Allerdings birgt diese Kehrtwende nicht weniger Sprengstoff.
Knallharte Opposition in Bulgarien und Rumänien
US-Amerikaner und Kanadier dürfen in die EU ohne Visum einreisen. Allerdings verlangen die beiden Länder seit Anfang des Jahres Visa für Bürger aus Bulgarien und Rumänien. Am 12. April lief eine Frist der EU-Kommission ab, darauf zu reagieren. Sowohl die USA als auch Kanada ließen sie verstreichen – angeblich wegen „bürokratischer Probleme“. Eigentlich hätte die EU-Kommission nun ähnliche Visa-Einschränkungen einführen müssen. In Rumänien wollen weder Regierung noch Parlament Ceta ratifizieren, solange die Visumsfreiheit nicht eingeführt wird. Der rumänische EU-Parlamentarier Sorin Moisă hat sogar aus Protest gegen die Regelung sein Mandat abgegeben. Ähnliche Proteste gab es in Bulgarien.
Deutsche Grüne eiern rum
Ceta wird zwar schon seit 2009 verhandelt, aber ob der deutsche Bundesrat darüber abstimmen darf, ist unklar. Während die Bundesländer vielfach schon gegen das Abkommen Stimmung machen, ist die Bundesregierung dazu gespalten: Die SPD ist für eine Beteiligung der Länderkammer, Teile der CDU sind dagegen. Immerhin könnten die Grünen, die in 10 von 16 Bundesländern mitregieren, Ceta hier stoppen. Das Abkommen berührt auch Belange der Länder, so beim Verbraucherschutz, der Landwirtschaft oder der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Aber: Viele Länder-Grüne in Verantwortung eiern rum. Wer wie Winfried Kretschmann im exportstarken Ländle regiert, bekommt mit Frontalopposition gegen Freihandel ernste Probleme. Auch die Zustimmung im Bundestag ist kein Selbstläufer. Erst muss ein Konvent der SPD noch Ja zu Ceta sagen.
Benelux gegen „neue Tricks“
Dass Kommissionschef Juncker Ceta nun als „gemischtes Abkommen“ bezeichnet, hält die belgische Europaabgeordnete Marie Arena für „einen neuen Trick“. Schließlich solle Ceta nun umso schneller „provisorisch“ in Kraft gesetzt werden, kritisiert die Sozialistin. Sie will mit „Nein“ stimmen. Auf „Nein“ hat sich auch das Regionalparlament in der französischsprachigen Wallonie festgelegt. Noch ist unklar, ob damit auch Belgien Ceta im EU-Ministerrat ablehnt. Denkbar ist auch eine Enthaltung, denn Flandern ist für das Abkommen. Vorbehalte gibt es auch in den Niederlanden und in Luxemburg. Das Luxemburger Parlament hat gedroht, mit Nein zu stimmen, wenn Ceta nicht als „gemischtes Abkommen“ behandelt wird. Dies ist nun der Fall. Ob die Luxemburger deshalb aber ihrem Expremier Juncker blind vertrauen und „Ja“ sagen, ist offen.
Klamauk in Österreich
„Hören Sie mit dem österreichischen Klamauk auf, so zu tun, als ob ich mich an der österreichischen Demokratie vergreifen würde. Ich respektiere sie“, ärgerte sich Kommissionspräsident Juncker in der vergangenen Woche in Brüssel, als über den Brexit beraten wurde. Ihn wurmte der Satz von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), die EU verliere an Glaubwürdigkeit, wenn Ceta im „Ruckzuck-Verfahren“ durchgeboxt werde. Kurz darauf lenkte die Kommission ein.
Endspiel um TTIP, Ceta in der Krise: Die Entscheidung über die Freihandelsabkommen der EU steht bevor. Am 11. Juli beginnt die letzte TTIP-Verhandlungsrunde in Brüssel. Ob es tatsächlich zu einem abschließenden Ergebnis kommt, ist völlig offen.
Kern befürwortet Ceta und TTIP im Prinzip, sieht aber auch viele Schwachpunkte. Besonders umstritten sind in Österreich die Schiedsverfahren von Konzernen gegen Staaten, aus denen US-amerikanische Anwaltskanzleien hochprofitable Geschäftsmodelle gemacht haben. Verlierer ist häufig der Staat, also der Steuerzahler (hier geht es zu einer entsprechenden Grafik). Außer der konservativen ÖVP sprechen sich im Parlament derzeit nur die kleinen Neos für eine Ratifizierung aus, zu wenig für die Mehrheit. Selbst bei der ÖVP rumort es. Mehr als 50 Bauernverbände haben schon bei einer Aktion gegen TTIP unterschrieben. Sie fürchten die Aushebelung des EU-Verbraucherschutzes – und dürften sich auch gegen Ceta wenden.
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