Freie Wähler im Bundestag: Aiwangers große Mission
Hubert Aiwanger will unbedingt in den Bundestag. Um sein Ziel zu erreichen, nimmt sich der Chef der Freien Wähler nun ein Beispiel an der Linken.
Ende November im Bayerischen Landtag: Aiwanger steht am Pult, dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, keine Krawatte. 50 Minuten lang spricht er – ohne Manuskript, ohne Spickzettel. Der bayerische Wirtschaftsminister, stellvertretende Ministerpräsident und Chef der Freien Wähler rechnet mit der Politik der Ampel ab. Die Energiepolitik in Deutschland habe sie „an die Wand gefahren“, die Wirtschaft mit ideologischen Debatten gelähmt. Aiwanger erzählt auch noch was von einem Gastronomen, der wegen eines fehlenden Haselmausgutachtens jahrelang keinen Parkplatz habe bauen können. Er schimpft über massive Fehlanreize durch das Bürgergeld, findet, klar, dass Leistung sich wieder lohnen müsse. Es ist ein wilder Ritt durch die angeblichen Fehler der scheidenden Bundesregierung.
Dass es in der Regierungserklärung eigentlich weniger um die Bundesregierung als um seine Arbeit, um die Wirtschaftspolitik in Bayern gehen sollte, ficht den Minister nicht an. Der Mann denkt nur an Berlin.
Und das nicht nur bei dieser Rede. Denn Hubert Aiwanger hat ein großes Ziel: Wenn es nach ihm geht, war dies seine letzte Regierungserklärung im Landtag. Er will seine Partei in den Bundestag bringen. Und auch wenn diese für das Ansinnen nicht denselben Enthusiasmus aufbringt wie ihr Chef, so folgt sie ihm brav. Beim Bundesparteitag wählte ihn die Versammlung per Akklamation zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Mit 93,15 Prozent bestätigte sie ihn zudem im Amt des Vorsitzenden.
Sollten die Wähler mitspielen, so hat Aiwanger versprochen, werde er nach Berlin gehen – auch wenn das bedeuten sollte, dass er künftig wieder als einfacher Abgeordneter in den Oppositionsreihen Platz nehmen müsste. Ein Leben ohne Ministerium und Dienstwagen, so die Botschaft, wäre für den Landwirt aus dem niederbayerischen Rahstorf kein Problem. Der 53-Jährige gibt sich ja ohnehin gern als Anti-Establishment, als Vertreter der „einfachen Leute“ im Kampf gegen „die da oben“.
Dass Aiwangers Wunsch in Erfüllung geht, scheint mit Blick auf die Umfragen eher unwahrscheinlich. Gerade mal bei 4 Prozent sahen diese die Freien Wähler zuletzt in Bayern – gegenüber 7,5 Prozent, auf die sie bei der Bundestagswahl 2021 immerhin schon mal gekommen waren. Das ist so ungefähr die Größenordnung, in der sich auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bewegt. Nur: Während sich der bayerische Landesverband des BSW gerade erst gegründet hat, ist Bayern Stammland und Hochburg der Freien Wähler. Bundesweit dagegen stoßen sie auf wenig Resonanz; 2021 kamen sie nur auf 2,4 Prozent.
Natürlich: Die Argumente, die gegen einen Erfolg der Freien Wähler auf Bundesebene angeführt werden, kennt Aiwanger zur Genüge. Sie wurden einst auch formuliert, als es um den Sprung in den Landtag ging – Aiwangers großes Projekt in den nuller Jahren. Niemand in der Partei, die eher ein Zusammenschluss freier Wählergruppen war, wollte damals an den Erfolg des Unternehmens glauben, geschweige denn dafür kämpfen. Die Freien Wähler seien in den Kommunen verankert, und da sollten sie auch bleiben, hieß es. Schließlich war es Aiwanger, der die Partei quasi im Alleingang ins Parlament und dann in die Regierung hievte. Wer also, wenn nicht er, könnte sie auch in den Bundestag bringen? So dürfte zumindest einer denken, er selbst.
Ganz im Alleingang wird es diesmal aber nicht gehen. Das weiß auch Aiwanger, der zwar offiziell an seinem Ziel „5 Prozent plus“ festhält, diesem aber nun ein zweites, vielleicht realistischer erscheinendes Ziel an die Seite stellt: „Drei Direktmandate plus.“ Der neue Plan ist es nämlich, mittels der im Juli vom Bundesverfassungsgericht geretteten Grundmandatsklausel in den Bundestag einzuziehen – nach dem Vorbild der „Mission Silberlocke“ der Linken.
Nach Aiwangers Rechnung könnten die Freien Wähler mit mindestens 20 Sitzen rechnen, sollten sie drei Direktmandate erzielen. Deshalb hat er nun ein Kandidatenquartett präsentiert, dem das scheinbar Unmögliche gelingen soll: der CSU aus dem Stand drei oder besser vier Direktmandate abzunehmen. Neben Aiwanger selbst gehören ihm Vertreter der bayerischen Kommunalpolitik an: die Landräte Peter Dreier und Indra Baier-Müller sowie der Bürgermeister Michael Wörle.
Für Dreier verzichtet Aiwanger sogar auf eine Kandidatur im eigenen Wahlkreis. Dreier ist seit 2014 Landrat im Landkreis Landshut, im Jahr 2020 wurde er mit satten 73 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang im Amt bestätigt. Ein Heimspiel, könnte man meinen. Zum Wahlkreis gehört allerdings auch der Landkreis Kelheim, in dem der CSU-Mann Martin Neumeyer regiert; wie Dreier hier ankommen wird, ist nicht gesagt. Dreier fiel als Gegner der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel auf. Das einzige Mal, dass er bundesweit für Aufsehen sorgte, war dann auch 2016, als er 31 syrische Asylbewerber in einen Bus setzte und nach Berlin karrte. Der 58-Jährige tritt gegen Florian Oßner von der CSU an, der seit 2013 im Bundestag sitzt.
Im Wahlkreis Kempten tritt die Oberallgäuer Ländrätin Indra Baier-Müller an. Die 53-Jährige fordert die frühere Münchner Landtagsabgeordnete Mechthilde Wittmann heraus, die 2018 den Wiedereinzug in den Landtag verpasste und drei Jahre später in den Bundestag wechselte. Außerhalb ihres Landkreises fiel Baier-Müller bisher kaum auf. Ähnlich verhält es sich mit Michael Wörle, ebenfalls Schwabe. Er ist Bürgermeister von Gersthofen, gewissermaßen einem Vorort von Augsburg. Nach Aiwangers Willen soll er den Wahlkreis Augsburg-Stadt holen. Hier macht er nicht nur dem CSU-Abgordneten Volker Ullrich sein Mandat streitig, sondern trifft auch auf starke Mitwettbewerberinnen wie Claudia Roth von den Grünen.
Dem Vernehmen nach hat es weitere Landräte gegeben, die Aiwanger als Kandidaten gewinnen wollte. Das Interesse bei den Kommunalpolitikern war wohl überschaubar. Auch Aiwangers Lebensgefährtin Tanja Schweiger, Landrätin in Regensburg, war zwischenzeitlich im Gespräch, winkte aber ab.
Aiwanger selbst hat sich den Nachbarwahlkreis Rottal-Inn ausgesucht, niederbayerisches Heimatland. Die Süddeutsche Zeitung will herausgefunden haben, dass es in diesem Wahlkreis so viele Bauern gibt wie nirgends sonst in Bayern. Ein Wahlkreis also wie geschaffen für Aiwanger. Bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr gaben hier mehr Wähler den Freien Wählern ihre Stimme als der CSU. Ein weiterer Vorteil für Aiwanger: CSU-Veteran Max Straubinger, der 30 Jahre lang das Direktmandat geholt hat, tritt nicht mehr an. Stattdessen haben die Christsozialen Günter Baumgartner, einen weitgehend unbekannten Bürgermeister einer 2.000-Einwohner-Gemeinde, als Kandidaten aufgestellt.
Zwei Fragen allerdings bleiben bei Aiwangers Kampf um Berlin offen. Zum einen: Warum will er überhaupt in den Bundestag? Schließlich fremdelt der Niederbayer mit der Bundeshauptstadt noch mehr als CSU-Chef Markus Söder; zudem würde er gegenüber seiner jetzigen Rolle einen Bedeutungsverlust riskieren. Zum anderen: Warum sollten ihn die Wähler im Bundestag wollen?
Ihnen will Aiwanger seine Partei als mögliche Regierungspartnerin der Union schmackhaft machen, möglicherweise in einem Dreierbündnis mit der FDP. Nur so könne eine Beteiligung von SPD oder Grünen an der nächsten Bundesregierung verhindert werden. Was der Freie-Wähler-Chef freilich außer Acht lässt: Die nötigen Stimmen wird seine Partei kaum im rot-grünen Lager finden. Stattdessen ginge ein Erfolg Aiwangers wohl auf Kosten der Union. Fast ein Nullsummenspiel also.
Daher wird auch Söder nicht müde zu betonen, dass jede Stimme für die Freien Wähler eine verschenkte sei. Aiwanger möge bitte da bleiben, wo er hingehöre. Sein Platz sei in Bayern. Was Söder einst wenig glaubhaft von sich selbst behauptete, sagt er nun umso überzeugter von seinem Wirtschaftsminister.
Die CSU versucht indes die Konkurrenz durch die Freien Wähler runterzuspielen, verweist auf deren mickrige Umfragewerte, aber so ganz geheuer sind ihr Aiwangers bundespolitischen Umtriebe nicht. Die Sorge ist nicht von der Hand zu weisen: Die Freien Wähler könnten Stimmen aus dem bürgerlichen Lager abgreifen, die am Ende zu wenig sein mögen, um ihnen den Einzug in den Bundestag zu sichern, aber genug, um der CSU zu schaden. Der könnten im schlimmsten Fall die entscheidenden Stimmen für ein Direktmandat fehlen oder zum Erreichen der Fünfprozentmarke. Die entscheidet zwar dank der vielen zu erwartenden Direktmandate der CSU nicht darüber, ob die Partei in den Bundestag kommt, hat aber einen starken symbolischen Wert.
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