Frei vom Storch und das Beste vom BVB: Wurst case scenario
Weder er noch Putin würden einen Nato-Beitritt der Ukraine im Amt erleben, sagte Olaf Scholz in Moskau. Und Tessa Ganserer findet gute Verteidigung.
H err Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Dies „Krieg in Sicht“–Geraune allerseits.
Und was wird besser in dieser?
Lektüretipp: „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark.
Das Topthema der Münchner Sicherheitskonferenz war diesmal selbstverständlich der Russland-Ukraine-Konflikt. Vor Ort in München waren dabei Vertreter:innen aller möglichen Staaten – nur die russische Vertretung fehlte, zum ersten Mal seit über 30 Jahren. Wie beunruhigend finden Sie das?
Wurst case scenario: Und zwar beleidigte Leber. Putin hat 2001 im Bundestag schmeichelnd deutsch gesprochen, 2007 in München schroff russisch und jetzt schweigt er laut in allen Sprachen. Man kann auch nicht alles mit Angst vor Claudia Roth begründen. Inzwischen sind allerhand Gesprächsformate – Nato-Russland-Rat, Petersburger Dialog, KSZE, G8 – eingeschlafen, die Münchner Sicherheitskonferenz ist deren unwichtigstes. Immerhin kam der chinesische Außenminister, um zu unterstreichen, dass er weder Russland noch die Nato in der Ukraine sehen wolle. Es ist eine heikle Nachricht an Russland, dass man sich nur ordentlich danebenbenehmen muss, um endlich mal ernst genommen zu werden.
Olaf Scholz’ Antrittsbesuch bei Putin in Moskau kam in Deutschland gut an. Welche Schulnote geben Sie dem Bundeskanzler?
Scholz hat den Claim „Wer redet, schießt nicht“ in actu abgesessen: 4 Stunden Gespräch sind allein schon eine Nachricht. Wie bei jeder relevanten Performancekunst liegt die Message im Auge des Betrachters: „Wir können reden“ oder „Ich hab echt alles versucht.“ Seine Schlusspointe, wonach weder er noch Putin einen Nato-Beitritt der Ukraine im Amt erleben würden, ist eine Coverversion der Versprechungen des Westens 1990. Gorbatschow gab sich damit zufrieden und verzichtete auf die Schriftform. Kohl zieh ihn hinterher prompt als „naiv“. Das ist Putin nicht.
Zum 20. März sollen beinahe alle Coronamaßnahmen wegfallen. In Deutschland heißt das dann nicht „Freedom Day“, sondern „Verfassungsnormalzustand“. Richtig so?
Keine Witze über Namen. Doch: Ein „Freedom Day“ behauptet, dass vorher Unfreiheit war. Freiheit ist aber nicht, 210 zu fahren und Leuten ins Gesicht zu husten. Sondern: Verantwortung zu übernehmen. Das klingt ein bisschen wie Bundes-geteilt durch Kirchen- mal Feiertag. Sagt aber konkret: Selbst das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist abzuwägen gegen Versammlungs-, Religions-, Berufs- und viele andere zuletzt strangulierte Rechte. Das ist nicht immer gut, einheitlich oder gerecht gelungen. Die Groko hat sich mit der Ministerpräsidentinnenrunde am Parlament versündigt. Und doch: „Freiheitstag“ klingt nach Haftentlassung, nach Ende vom Stubenarrest. Wir sind keine Kinder.
Der Prozess gegen den mutmaßlichen Verfasser der NSU-2.0-Drohnachrichten hat begonnen. Der Angeklagte präsentiert sich vor Gericht mit ausgestreckten Mittelfingern. Kriegt er von Ihnen einen Mittelfinger zurück?
Traditionsskandal: Die Anklage trägt die übliche Einzeltätertheorie vor und überlässt damit dem Angeklagten die Bühne. Da seien doch rechtsextreme Chatgruppen bei der Frankfurter Polizei, die hätten ihn nicht als anonymen Anrufer gebraucht, die ganze Telefonauskunftnummer sei unglaubwürdig. Er behauptet, rechtsextreme Polizisten selbst hätten die Drohmails geschickt. Für den Stinkefinger hat er sich entschuldigt; diese Version der Geschichte stinkefingert viel besser.
Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch nutzt den Bundestag, um sich menschenverachtend gegenüber der Grünen-Abgeordneten Tessa Ganserer zu äußern. Britta Haßelmann hält eine feurige Gegenrede. Wann werden solche Gegenreden endlich überflüssig?
1983 bombte die Grüne Waltraud Schoppe das Hohe Haus mit einer fulminanten Rede über „lustvolle, herrschaftsfreie Sexualität“. Und nahm mit starrem Blick auf den „johlenden Männermob“ im Plenum vorweg: Man könne halt nur über etwas reden, wovon man auch etwas verstehe. 1983 liegt in der Zukunft von Frau Storch. Immerhin ein Fortschritt, dass sie einem johlenden Männermob angehört. Voll androgyn, die Kollegin.
Und was machen die Borussen?
Schönes und in dieser Höhe verdientes Foul von Stadionsprecher Norbert Dickel, der Glasgow Rangers herzlich als „Celtic“ begrüßte. Beste Leistung des BVB an diesem Abend.
Fragen: Anna Meyer-Oldenburg, cas
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart