Frauenrechte in Afghanistan: Frauen statt Taliban

Die internationale Gemeinschaft verhandelt mit den Taliban. Das ist falsch: Sie sollte sich an die Afghaninnen wenden – im Exil und vor Ort.

Ein Demonstratin mit Kopftuch fordert Frauenrechte in Afghanistan

Exil-AfghanInnen demonstrieren in Deuschland gegen das Taliban-Regime, Foto: Boris Roessler dpa

Der Fall von Kabul liegt ein Jahr zurück, und selbst David Petraeus, Ex-CIA-Chef und Kommandant der US-Nato-Truppen, spricht rückblickend von einem „Mangel an strategischer Geduld“. Er erkennt ganz klar, dass mit dem Abzug der Truppen auch die Hoffnung in Afghanistan dahin war und in einen „psychologischen Kollaps“ mündete. Zudem herrscht weiter Krieg, Krieg gegen die Frauen.

Seit Jahrzehnten werden die Afghaninnen missbraucht, um Herrschaftsansprüche zu legitimieren. Als die Alliierten vor zwanzig Jahren das erste Taliban-Regime stürzten, war dies der Startschuss für den „War on Terror“ nach den Al-Qaida-Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA – aber das offizielle Narrativ lautete anders. Die internationalen Truppen inszenierten sich als Befreier der unterdrückten Afghaninnen. So wurde der Krieg zu einer human touch story. Doch obwohl die Afghaninnen vor allem der westlichen PR dienten, haben sie das Momentum für sich genutzt und das Fenster in die neue Welt entschlossen geöffnet. Sie haben sich den Weg in die Schulen und Universitäten gebahnt, sie haben Mitbestimmung in den politischen Versammlungen gefordert, sie haben den Weg in die Öffentlichkeit erkämpft.

Afghanistan ist eine Stammesgesellschaft, die in ihrer sozialen Ordnung hierarchisch und oft repressiv organisiert ist und wenig Spielraum für den Einzelnen vorsieht. Die Alten herrschen über die Jungen mit der Macht der Tradition, schüchtern sie oft ein mit quasireligiösen Vorschriften und untermauern dies mit ritualisierter Gewalt. Vor allem die Frauen haben sich zu fügen: Gewalt in der Ehe, Misogynie und Frauenhass mit seinen horrenden Ausdrucksformen wie Tötung von Mädchen und Verkauf der Töchter als Bräute sind weiterhin gängig.

Die Frauen waren daher immer das Gesicht des Widerstands, sie haben in den Jahren des ersten Taliban-Regimes das soziale Leben in den Untergrund verlagert und vor allem mit einem Netzwerk von Geheimschulen dafür gesorgt, dass die Töchter nicht zurückgelassen wurden. Durch den Einmarsch der US-Nato-Truppen war es dann erstmals möglich, dass mit Massouda Jalal eine Frau für das Präsidentenamt kandidierte. Einer ganzen Generation von heranwachsenden Frauen war das Ermutigung. Jalal lebt heute mit ihrer Tochter Husna in Den Haag, die dem Vorbild ihrer Mutter folgend nun versucht, ein digitales Netzwerk aufzubauen, um den Tausenden Afghaninnen im Exil eine gemeinsame Plattform und Stimme zu geben. In Stunden der Verzweiflung fragt sie: „Warum sind die internationalen Player nicht unsere Verbündeten? Es geht doch um den Frieden für alle.“

Rebellinnen werden verschleppt und gefoltert

Mit Courage und Todesmut sind junge Frauen von Kabul über Herat und Kandahar auf die Straße gegangen und haben Brot, Bildung und Freiheit gefordert. Sie sind von den Gewehrkolben der Taliban gestoppt worden. Als ihre Proteste weitergingen, begannen die Verfolgungen. Die Häuser der Frauen wurden durchsucht, Nachbarn nach ihrem Aufenthalt befragt und viele, die nicht rechtzeitig untertauchen konnten, wurden verschleppt und gefoltert. Hoda Khamosh wurde ein Symbol dieser mutigen Bewegung. Sie ist von der norwegischen Regierung zu einem Dialog mit den Taliban nach Oslo geflogen worden, trat dort dem Außenminister Muttaqi mit großen Schildern gegenüber, auf denen die Gesichter und Namen der verschwundenen Frauen der Straßenproteste standen, mit der Forderung, sofort zum Telefon zu greifen und ihre Freilassung zu fordern. Und was war das Ergebnis? Ihr Haus in Kabul wurde durchsucht, ihr Ehemann musste nach Pakistan flüchten, und Hodas Rückkehr in die Heimat ist zu riskant.

Das neue Afghanistan kommt im alten Outfit daher. Genderapartheid ist der Pfeiler des politischen Gefüges. Die Flut der neuen Verordnungen trifft auch die Männer. Sie müssen nicht nur hoffen, dass ihre Bärte schnell und ausreichend lang wachsen, sondern auch ihre weiblichen Familienangehörigen bewachen und, wenn ihnen das nicht gelingt, mit Strafe rechnen.

Je länger die Mädchen der Ausbildungsbann trifft, desto mehr Zeit gewinnen die Machthaber, ihre Herrschaft zu zementieren. Der Ausschluss der Frauen ist das Fundament des Emirats. Die Frauen sind die unsichtbaren, nicht registrierten politischen Gefangenen des Taliban-Systems. Die Dauer ihrer Isolationshaft ist nicht festgesetzt, ihre Freiheit in unabsehbare Ferne gerückt.

Die Afghaninnen haben jedoch bereits zu viel erkämpft, riskiert und durchgemacht, um noch einmal alles aufzugeben. Viele Frauen führen nun ein Geheimleben. Sie halten untereinander Kontakt und unterrichten klandestin die Mädchen. Von der internationalen Gemeinschaft werden diese Frauen jedoch ignoriert; stattdessen berät man sich mit den Taliban und lässt sich von ihnen in Dialogen im Doha-Stil täuschen.

Keine Verhandlungen mit den Taliban

Diese Verhandlungen sollten abgebrochen werden. Die Kunst von Dialog und Kompromiss ist nicht das Instrumentarium, das die Taliban-Führung beherrscht oder respektiert. Das ursprüngliche Mantra, nicht mit Terroristen zu verhandeln, ist richtig und das Gebot der Stunde. Statt weiter auf die Taliban zu setzen, sollte die internationale Gemeinschaft den Widerstand der Frauen stärken, im Exil und in Afghanistan. Sie sind viele, sie sind gebildet, mutig, erfahren.

Von außen mag die Herrschaft der Taliban absolut und monolithisch erscheinen. Doch zeigen sich Risse. Die Islamisten sind zerstritten und in Grüppchen zerbröselt, auch weil die schwere Wirtschaftskrise längst die eigenen Anhänger erfasst hat. In dieses Vakuum könnten die Frauen vorstoßen – wenn sie internationale Unterstützung hätten. Geheime Kanäle aus dem Ausland über Pakistan nach Afghanistan gibt es längst. Es fehlt nur noch die weltweite Anerkennung, indem die Frauen an den internationalen Verhandlungstischen sitzen – und sichtbar würden.

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