Frauenprojekte in Not: Kämpfen für mehr Feminismus

Frauenzentren und feministische Projekte in Berlin fordern eine dauerhafte Finanzierung. Sie sehen sich als wichtigen Teil der Grundversorgung.

Eine junge boxende Frau mit Boxhandschuhen und Kopftuch

Boxen unterstützt Mädchen darin, mutig zu sein und Grenzen zu setzen Foto: Jens Büttner | dpa

BERLIN taz | Doha Taha Beydouns Stimme klingt klar und selbstbewusst. „Ich bin ein Vorbild“, sagt die 20-Jährige, die Gesundheitsmanagement studiert und sich im Verein Boxgirls Berlin engagiert. „Ich bin Muslima, trage Kopftuch und bin Boxtrainerin. Wenn ich an Schulen gehe, sehe ich, dass schon mein Auftreten die Mädchen dort interessiert.“ Sie selbst sei in ihrer Schulzeit „total schüchtern“ gewesen und wurde gemobbt. „Nach der 10. Klasse habe ich die Schule gewechselt, um mein Abi zu machen. Das war für mich ein Wendepunkt. Ich wollte etwas ändern, was Neues anfangen“, sagt sie.

Also suchte sie nach Sport nur für Mädchen – und landete vor rund fünf Jahren in einem Projekt der Boxgirls. Heute leitet Beydoun selbst eine Jugend- und eine Frauengruppe, auch Kinder hat sie schon trainiert. Dass sie beim Boxen gelandet ist, war also eher Zufall. Dass sie dort geblieben ist, nicht: „Mit dem Training entwickelt sich sehr viel“, sagt sie, aus eigener Erfahrung, aber auch mit Blick auf ihre Trainingsgruppen. „Ich sehe, dass die Mädchen sich mehr trauen und selbstbewusster werden, sie lernen, Grenzen zu setzen und welche Energie sie aus sich herausholen können.“ Boxen gebe Stärke und innere Ruhe und helfe, Stress abzubauen. „Nach dem Training habe ich eine mentale Ordnung in meinem Kopf und fühle mich besser“, sagt sie.

Die Kurse gibt Beydoun im Rahmen des Projekts „My Body, My Choice“, mit dem die Boxgirls inzwischen an 16 Schulen und Jugendeinrichtungen vertreten sind und nach eigener Aussage im vergangenen Jahr rund 450 Mädchen erreicht haben. Wie viele andere Projekte wird auch dieses von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung gefördert – doch diese Förderung wackelt nun. Denn die Boxgirls könnten mit ihrem Projekt schon bald von massiven Kürzungen betroffen sein – wie rund 20 feministische Zentren und Projekte, die bisher im Rahmen der Gleichstellung oder des Masterplans Integration und Sicherheit gefördert worden waren. Unter #femprojekte sichern haben sie sich zusammengetan und trommeln für eine Rücknahme der Kürzungen und langfristige Finanzierung.

Beitrag zur Gewaltprävention

Bisher hangeln sich die Projekte, die sich mit Frauenrechten, Gewaltschutz oder Integration beschäftigten, teils seit 40 Jahren von Projektfinanzierung zu Projektfinanzierung, sagt Anke Peterssen vom Berliner Frauen Netzwerk (BFN). Das bedeute, dass sie viel Zeit und Kraft in Folgeanträge stecken müssten und oft unklar sei, wie es mit angelaufenen Projekten weitergeht. Mit­ar­bei­te­r*in­nen könnten teils nur befristet eingestellt werden. Die offizielle Bestätigung, dass die Finanzierung bewilligt ist und das Geld tatsächlich überwiesen wird, käme oft deutlich zeitverzögert. „Wir stehen ständig auf unsicheren Füßen“, sagt Peterssen. „Dabei sehen wir uns als Teil der Grundversorgung der Stadt – wir unterstützen Frauen, ihre eigenen Wege zu gehen. Und wir tragen zur Gewaltprävention bei.“

Wie prekär das Projektkonstrukt ist, hatte das Netzwerk in der Sommerpause mit Schrecken feststellen müssen. Die Senatsverwaltung für Gleichstellung hatte den feministischen Zentren per Brief mitgeteilt, dass Kürzungen von 20 bis 30 Prozent auf sie zukämen, und den Masterplan-Projekten, dass sie aus dem Haushaltsentwurf für 2022/23 gestrichen seien. Unter den Zentren, bei denen nun teils Beratungsstellen, Hausaufgabenhilfe oder Angebote für Empowerment wegzufallen drohen sind etwa das Frieda Frauenzentrum in Kreuzberg, das Frauenzentrum Matilde in Hellersdorf, das Projekt Frauenkreise in Pankow, die Schokofabrik in Kreuzberg und das Feministische Archiv in Friedrichshain.

Rotes Rathaus Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen ruft das Berliner Frauen Netzwerk für diesen Donnerstag von 9 bis 12 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Roten Rathaus auf. Das Netzwerk möchte damit gegen Kürzungen im Bereich der Frauenprojekte protestieren und sich für deren dauerhafte Finanzierung einsetzen.

Frankfurter Tor Feministische Initiativen rund um die Gruppe Frühjahrsruf informieren von 14 bis 18 Uhr am Frankfurter Tor mit Catcalling-Ankreideaktionen, bei denen Frauen und Mädchen Sätze aus selbst erlebter verbaler sexueller Belästigung mit Kreide auf die Straße schreiben können. Außerdem gibt es einen, Selbstbehauptungskurs und Infostände über Schutz vor Gewalt. (usch)

Das Netzwerk war empört, dass in der Pandemie ausgerechnet bei ihnen gespart werden sollte, da bei vielen deutlich der Beratungsbedarf und die Arbeit gestiegen waren und Frauen in besonderem Maße von häuslicher Gewalt betroffen sind. Die im Netzwerk zusammengeschlossenen Projekte fordern deshalb eine institutionelle Förderung. „Das könnte die Politik beschließen und die wäre dann nicht mehr zu kippen“, sagt Peterssen.

Haushaltsberatung erst 2022

Nach Protesten forderte die Senatsverwaltung die betroffenen Projekte auf, doch noch Anträge zu stellen. Damit sei ihre Finanzierung sichergestellt, hieß es im Oktober aus der Senatsverwaltung. Sebastian Walter, haushaltspolitischer Sprecher der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus, bezweifelt das. Noch seien nicht alle Projekte gesichert. „Wir müssen erst mal versuchen, sie in das kommende Jahr rüberzuretten“, sagte er der taz. Dazu müsste die Verwaltung allen vorläufige Förderbescheide ausstellen. „Im Rahmen der Haushaltsberatung kann das Parlament dann eine dauerhafte Finanzierung diskutieren.“ Die Haushaltsberatungen finden allerdings erst voraussichtlich Mitte des kommenden Jahres statt.

Auch die Boxgirls hoffen darauf, dass sie ihre Arbeit an Schulen dauerhaft fortführen können. Bisher könne der Verein aus der Förderung die Projektleitung mit einer vollen Stelle und das Honorar für die Trainerinnen finanzieren, sagt Linos Bitterling von den Boxgirls. Damit sei auch die Vernetzung mit anderen Mädchenprojekten möglich. „Der Bedarf und die Nachfrage steigen. Wir haben viele Anfragen für Empowerment“, sagt Bitterling.

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