Frauen und Krankheiten: Ungesunde Klischees
Wer weiß schon, dass die Harnröhre der Frau etwa 18 cm kürzer ist als die des Mannes? Acht wenig bekannte Wahrheiten über den weiblichen Organismus.
Immunsystem
Nicht erst seit der Coronapandemie ist klar: Frauen haben ein stärkeres Immunsystem als Männer. Auch bei anderen Infektionskrankheiten wie Hepatitis B oder Tuberkulose erkranken Männer schwerer. Evolutionsbedingt ist dieser Unterschied schlüssig, da Frauen das ungeborene Leben während der Schwangerschaft schützen sollen. Dabei ist eine gute Immunabwehr hilfreich.
Zusätzlich wirken sich die Sexualhormone unterschiedlich auf das Immunsystem aus: Abhängig vom Zyklus der Frau stimuliert Östrogen das Immunsystem und regt die Produktion von Abwehrzellen an. Wohingegen das bei Männern überwiegende Testosteron das Immunsystem unterdrückt.
Das aktivere Immunsystem birgt aber auch Nachteile: Es reagiert häufiger über und richtet sich gegen den eigenen Körper. Daher sind Frauen häufiger von autoimmunen und chronischen Erkrankungen wie Rheuma oder Multipler Sklerose betroffen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Schmerzen
Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen generell schmerzempfindlicher sind als Männer. Auf identische Hitze- oder Druckreize reagieren Frauen schneller und ziehen zum Beispiel die Hand früher von einer heißen Herdplatte weg. Bisherige Experimente sprechen daher dafür, dass das Nervensystem von Frauen und Männern unterschiedlich eingestellt ist. Anscheinend reagiert die Schmerzverarbeitung im Rückenmark und im Gehirn bei Frauen sensibler, und die Schwelle, was als Schmerz empfunden wird, ist niedriger.
Allerdings kann der weibliche Körper das Schmerzempfinden während einer Schwangerschaft mit unterschiedlichen Hormonen wie Östrogen und Progesteron senken. Ansonsten wären die Geburtsschmerzen wahrscheinlich gar nicht ertragbar.
Endometriose
Ein Beispiel dafür, dass Frauengesundheit in den vergangenen Jahren keine Priorität hatte, ist Endometriose. Die Krankheit betrifft eine von zehn Frauen in Deutschland, ist aber so unbekannt, dass sie durchschnittlich erst zehn Jahre nach Auftreten der ersten Symptome diagnostiziert wird. Bei Endometriose wächst gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter, was extreme Unterleibsschmerzen verursacht. Die Schmerzen Betroffener werden auch von Ärzt:innen oft nicht ernst genommen und als normale Periodenschmerzen abgetan.
Endometriose führt außerdem oft zu Infertilität – also dazu, dass eine Schwangerschaft nicht ausgetragen werden kann. Bei 40 bis 60 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, ist Endometriose der Grund.
Medikamentenabhängigkeit
In Deutschland sind zwischen 1,5 und 1,9 Millionen Menschen medikamentenabhängig. Dabei zeigt sich seit Jahren, dass vor allem Frauen von dieser Sucht betroffen sind. Gerade im höheren Alter bekommen Frauen häufig Psychopharmaka auf längere Zeit verordnet. Beispielsweise nehmen in der Gruppe der über 65-Jährigen doppelt so viele Frauen wie Männer Beruhigungsmittel ein.
Gründe für diesen Geschlechterunterschied: Männer meiden Arzttermine, und Ärzt:innen hören bei ihren weiblichen Patientinnen deutlich mehr emotionale und psychosoziale Probleme heraus und stellen ihnen dementsprechend auch vermehrt Rezepte aus. Beim Alkoholkonsum dreht sich das Verhältnis um. Männer betäuben ihren Schmerz deutlich häufiger mit Hochprozentigem.
Hormonelle Verhütung
2011 stoppte die Weltgesundheitsorganisation eine Studie zur hormonellen Verhütung bei Männern. Eine Hormonspritze sollte die Spermienproduktion vorübergehend einstellen. Das funktionierte auch, aber die Nebenwirkungen der Probanden waren zu stark. Jeder zehnte Mann klagte über verminderte sexuelle Lust, Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen oder Depressionen.
Das dürfte einigen Frauen in den Ohren klingen, denn diese Nebenwirkungen treten auch bei der Antibabypille auf. Migräne, Schmierblutungen und Akne zählen zu den typischen Nebenwirkungen der Pille, von denen über 80 Prozent der Frauen berichten. Trotzdem zählt die Pille seit knapp 62 Jahren zu den populärsten Verhütungsmitteln. Wahrscheinlich auch wegen mangelnder Alternativen für Männer.
Gegen die kostspielige Forschung an hormonellen Verhütungsmethoden für den Mann spricht aber vor allem eins: Die Pharmaindustrie würde durch das schwächere Interesse an der Antibabypille weniger verdienen.
Crashtests
Frauen sterben und verletzen sich bei Autounfällen häufiger als Männer. Grund dafür ist aber nicht – wie das Klischee es will – ihr Fahrstil, sondern die Konstruktion der Autos. Für den zur Zulassung von neuen Automodellen vorgeschriebenen Crashtest werden in den meisten Fällen Puppen verwendet, die sich am Durchschnittsmann orientieren: 1,75 Meter groß, 78 Kilo schwer.
Die meisten Frauen sind aber kleiner und müssen mit dem Sitz nach vorne rutschen, um an die Pedale zu kommen. Dadurch verschiebt sich die Anordnung von Airbag, Gurt und Lenkrad, wodurch ein deutlich höheres Verletzungsrisiko entsteht.
Mittlerweile gibt es auch weibliche oder Kinder-Crashtest-Dummys. Die gängige Frauenpuppe ist mit 1,51 Metern und 48 Kilogramm allerdings sehr klein und leicht und bei Crashtests nicht immer vorgeschrieben.
Corona und Periode
Bei den Corona-Impfstoffstudien wurden Menstruationsschwankungen der Teilnehmer:innen nicht erhoben, was sich als Fehler entpuppte. Als erste Frauen berichteten, dass sich ihre Periode nach der Impfung verzögerte, war das ein gefundenes Fressen für Querdenkende. Schnell verbreitete sich der Mythos, die Impfung könne unfruchtbar machen. Auch Frauen mit Kinderwunsch außerhalb der Schwurblerszene verunsicherten diese Gerüchte.
Gut ein Jahr nach dem Start der Impfkampagne wurde im Januar eine Studie veröffentlicht, die Gewissheit bringt. Durch die Impfung verschiebt sich die Periode durchschnittlich um weniger als einen Tag, und auch die Dauer der Menstruation wird von der Impfung nicht beeinflusst.
Die Ergebnisse der ersten Impfstoffstudie von Biontech und Pfizer zeigen ebenfalls, dass die Corona-Impfung nicht unfruchtbar macht: Zwölf Probandinnen der Experimentalgruppe, die also den Impfstoff verabreicht bekommen haben, wurden noch während der Studie schwanger und haben alle gesunde Babys geboren. Vielleicht lernt die Forschung aus diesem Mythos und denkt bei der nächsten Impfstoffstudie an die Periode der Frau.
Anatomie
Die Organe von Männern und Frauen unterscheiden sich anatomisch. Da beispielsweise im Bauchraum von Frauen auch die Gebärmutter Platz einnimmt, ist die weibliche Blase kleiner und der Harndrang setzt entsprechend früher ein. Auch die Harnröhre ist bei Frauen etwa 18 Zentimeter kürzer als beim Mann, weshalb Bakterien leichter in die Blase aufsteigen können. Daher sind Frauen im Vergleich anfälliger für Blasenentzündungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“