Frauen in der Politik: Vorn und doch weit hinten
In Mexiko haben Frauen das politische Sagen, in Japan sind sie im Parlament kaum vertreten. Das zeigt die neue Studie einer Berliner Wirtschaftshochschule.
Man will diese Zahl einfach nicht mehr lesen: 130 Jahre. 130 Jahre dauert es dem Global Gender Gap Report zufolge, bis Frauen den Männern weltweit gleichgestellt sind. Die UN-Frauenrechtsorganisation geht sogar von 283 Jahren aus. Die Ungerechtigkeitslücken sind so vielfältig wie die Lebensrealitäten von Frauen: Erwerbsarbeit und deren Entlohnung, Armut und Rente, Familienzeit und Care-Arbeit, Führungspositionen und Teilzeit, Partnerschafts- und sexualisierte Gewalt, Bildung und reproduktive Rechte. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Und natürlich politische Teilhabe. Ohne Frauen in der Politik bewegt sich nichts in Sachen Gleichstellung. Nach wie vor sind Frauen ihre eigene und fast einzige Lobbygruppe. Und wie jetzt eine neue Studie der privaten Berlin School of Business und Innovation zum Anteil von Frauen in politischen Institutionen zeigt, ist der Ausblick auf 130 Jahre vermutlich noch untertrieben. Laut der Studie, die der taz exklusiv vorliegt, sind Frauen in Parlamenten, Abgeordnetenhäusern, Ausschüssen und Gremien der zwanzig Staaten mit dem größten Bruttoinlandsprodukt unterrepräsentiert.
Das verwundert keineswegs, aber es gibt Überraschungen. So führt Mexiko das Ranking von Frauen in politischen Ämtern insgesamt an: Dort haben mehr Frauen als Männer politische Posten inne. Gefolgt von Spanien und den Niederlanden mit über 44 und knapp 39 Prozent. Deutschland landet auf Platz 7: Gut 35 Prozent der politischen Ämter sind mit Frauen besetzt. Schlusslichter sind Russland (16 Prozent), Indien (knapp 15 Prozent), Japan (10 Prozent).
Empfohlener externer Inhalt
Die Studie untersuchte zudem, wie groß der Frauenanteil in Gremien ist, die sich dezidiert mit Geschlechtergerechtigkeit befassen. Auch hier liegt Mexiko vorn: Dort sind es ausschließlich Frauen, die sich um Frauenrechte und Gleichstellung kümmern. In Kanada, Großbritannien und Russland ist jeweils ein Mann dabei – neben wenigen Frauen. Australien, Italien und die Niederlande haben erst gar keine Einrichtungen, die sich dezidiert einer gendergerechten Entwicklung verschrieben haben. In China, Japan, Indonesien geben vor allem Männer vor, wie es mit der Gleichstellung weitergehen soll.
Empfohlener externer Inhalt
In Italien, wo nur die Hälfte der Frauen erwerbstätig ist und Care-Arbeit mangels staatlicher Unterstützung hauptsächlich durch die Familie, also Frauen, gewährleistet werden muss, traf zu Beginn des Jahres ein 40 Sekunden kurzer Film den Nerv der Nation. Zur besten Sendezeit landete ein Werbeclip einen feministischen Coup: Eine Frau versucht, einen Ausgang aus einem Labyrinth zu finden, also raus aus dem Gefängnis aus Hausfrauendasein und Mutterschaft. Sie schafft es nicht, verliert die Geduld, nein, sie wird so wütend, dass sie ihren Hackenschuh abstreift und mit Wucht gegen die Mauer schlägt.
Wie sehr Italiens Frauen das Patriarchat satt haben, zeigt der aktuelle Run auf den Film „Morgen ist auch noch ein Tag“, der in Italien einen größeren finanziellen Erfolg hatte als der Kassenschlager „Barbie“. Und was macht die Frau an Italiens Spitze? Sie arbeitet an der Verfestigung traditioneller Rollenmodelle. So sollen die Schulen auf Geheiß von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine Männerquote bekommen. Momentan liegt der Frauenanteil in den weiterführenden Schulen bei 83 Prozent, an Grundschulen bei 95 Prozent.
Mexiko hingegen hatte vor rund 30 Jahren damit begonnen, Quotenvorgaben für Kandidat:innen politischer Ämter einzuführen. Seit Ende der 1990er Jahre schreibt das mexikanische Wahlrecht einen Mindestanteil von 30 Prozent Frauen bei allen Abgeordnetenhaus- und Senatsplätzen vor. Doch der hohe Frauenanteil an politischen Schaltstellen ändert nichts am Machismo im Land. In keinem Land der Welt müssen Frauen so sehr um ihr Leben fürchten wie in Mexiko. Jeden Tag werden dort etwa zehn Frauen ermordet, meist durch ihre Partner oder Expartner. Allein die Zahl der Femizide zeigt, wie entfernt das Land von einer echten Gleichstellung und Gendergerechtigkeit nach wie vor ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe