„Frankenstein“ am Deutschen Theater: Der Mensch und seine Monster
Das Deutsche Theater Berlin bringt Shelleys „Frankenstein“ auf die Bühne. Drei DarstellerInnen sind im Dauereinsatz zu sehen, sie spielen virtuos.
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Als Mary Shelley 1816 im Alter von nur neunzehn Jahren „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ schrieb, legte sie damit die Grundlage für den modernen Horror- sowie den Science-fiction-Roman. Zweihundert Jahre später schreibt die Menschheit Bücher und dreht Filme über künstlich geschaffene Menschen aus dem Geiste der digitalen Revolution. Lassen sich da nicht Anknüpfungspunkte finden zu Mary Shelleys düsterer Vision eines sich selbst zum Schöpfergott überhöhenden Forschers, der aus Leichenteilen einen Menschen zusammenbastelt und anschließend entsetzt ist über das Monster, das er erschaffen hat?
Am Deutschen Theater hat die Regisseurin Jette Steckel, die gemeinsam mit Katrin Sadlowski und Anika Steinhoff auch die Bühnenfassung schrieb, sich diese oder eine ähnliche Frage gestellt und sich des Frankenstein-Stoffes angenommen. Und hat zwar keine wirklich überzeugende Antwort auf die Frage gefunden, wie weit sich wohl Parallelen ziehen lassen zwischen dem Monster aus Fleisch und Blut auf der einen sowie sprechenden Robotern aus Metall und Kunststoff auf der anderen Seite.
Doch die Umarbeitung des weitschweifigen Prosawerks in ein Bühnenstück ist dramaturgisch allemal gelungen – woran die drei DarstellerInnen einen sehr großen Anteil haben. Denn Maren Eggert, Felix Goeser und Alexander Khuon spielen alle drei fast alle Figuren abwechselnd. Das wird dadurch, dass es an keiner Stelle einen Kostümwechsel gibt, sowohl erschwert als auch erleichtert. Alle tragen dunkelgrüne Leggings und weiße T-Shirts, die gegen Ende des Abends jeweils einigermaßen gleichmäßig mit Theaterblut beschmiert sind. Auf dem Kopf trägt man/frau/monster frappierend echt aussehende Glatzen.
Ebenso minimalistisch ist die Bühne; reduziert auf eine radikale Schwarz-Weiß- bzw. Licht-Dunkel-Optik und fast ohne Requisiten, abgesehen von einem Flügel, der manchmal wie von Zauberhand gelenkt hereinrollt, um von Elisabeth, der Verlobten des Viktor Frankenstein, bespielt zu werden.
Rache am Schöpfer
Elisabeth, die einzige Person, die Frankensteins Geschöpf gegenüber menschliche Empathie zeigt und doch sterben muss, weil das Wesen Rache nehmen will an seinem Schöpfer, der ihm keine Gefährtin zur Seite stellen will, die ebenso künstlich geschaffen wurde wie es selbst.
Diese Gefährtin, die nur einen kurzen Auftritt im Bühnenhintergrund hat, ist in der Inszenierung ein Roboter, mithin etwas, das es zu Mary Shelleys Zeiten noch nicht gab. Das macht an sich nichts; doch wie sie da so stoisch herumsteht, die Maschinenfrau (ist es vielleicht dieselbe, deren Stimme uns vor Beginn der Vorstellung aufforderte, die Handys auszuschalten?), möchte man sehr daran zweifeln, dass sie das kindliche, gewalttätige, neugierige, eifersüchtige – kurz: ziemlich menschliche – Leichen-Patchwork-Monster auf Dauer glücklich machen könnte. Denn diesem ging es doch darum, eine Gefährtin zu bekommen, die ihm ganz gleich sei; eine Art Papagena.
Und Viktor Frankenstein, der die künstlich hergestellte Partnerin in spe vor den Augen des Monsters wieder zerstört, tut dies vor allem deshalb, weil ihm vor der Möglichkeit graust, dass die beiden Gruselgeschöpfe in Zukunft Nachkommen zeugen könnten. – Jetzt mal ganz praktisch gefragt: Wie sollte das denn mit einer Roboterin funktionieren? Wenn man diese Narrationslinie von Shelleys Roman ernst nimmt (und als gegeben annimmt, dass es auch im Theater darum geht, Geschichten zu erzählen, die einer gewissen immanenten Logik folgen), wäre doch eine Maschinenfrau die beste aller Lösungen, da dem Sex garantiert nicht die Geburt eines kleinen Monsters folgt.
Nächste Vorstellungen: 3. Oktober, 18 Uhr, 15. Oktober, 20.30 Uhr, Deutsches Theater
Nein, würde Viktor Frankenstein heute unter uns leben, wäre er vermutlich nicht Informatiker geworden, sondern Humangenetiker – und damit Vertreter einer wahrhaft schöpfungsmächtigen wissenschaftlichen Disziplin, um die es medial erstaunlich still geworden ist in den letzten Jahren, während gleichzeitig die Künstliche Intelligenz zur hauptsächlichen Bedrohung oder zumindest Herausforderung unserer Menschlichkeit hochgejazzt wird. Steckels Inszenierung bleibt da gedanklich ganz im Mainstream stecken und opfert der vermeintlichen Aktualisierung des Stoffes sogar die innere Logik der zu erzählenden Geschichte.
Das ist schade; aber auch wenn dieser zentrale Punkt verquer gedacht sein mag, so ist die Inszenierung doch an sich sehr gut gemacht. Die wichtigen Schlüsselszenen des Romans hat Steckel zu einem episodenhaft lapidar und dabei stringent erzählten Best-of zusammengefasst und für eine immer wieder dazwischengeschaltete Reflexionsebene auch Mary Shelley selbst (die einzige Figur, die ausschließlich von Maren Eggert verkörpert wird) mit auf die Bühne geholt. Die drei DarstellerInnen, zwei Stunden lang im Dauereinsatz, wechseln virtuos genug von einer Rolle zur anderen. Eine echte Pause gibt es weder für sie noch für das Publikum, aber tatsächlich hat man die am Ende auch überhaupt nicht vermisst.
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