Fragen der Zeit : Lieben die jungen Deutschen die Bombe?
Eine deutsche Atombombe erscheint als ein absurder Gedanke. Unsere Autorin macht sich auf die Suche, weshalb junge Menschen sie zu begrüßen scheinen.

taz FUTURZWEI | Eine Atombombe für Deutschland, was für ein absurder Gedanke. Wer will denn sowas?
Doch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, dass das unnötig, völkerrechtswidrig und auch viel zu teuer wäre, erinnere ich mich an eine „Eilmeldung“, die unlängst aufploppte: „Jens Spahn spricht sich für ein deutsches Atomwaffenprogramm aus.“
Ja, okay, aber wer teilt denn schon Jens Spahns Meinung? Haben wir nicht alle mal gelernt, dass Atomwaffen zu besitzen am Ende immer gefährlicher ist, als keine zu haben? Außerdem haben wir ja schon Atombomben irgendwo in der Eifel stehen. Über die bestimmen halt leider die Amis, die zurzeit nicht so der zuverlässigste Partner sind.
Ruth Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin. Sie schreibt regelmäßig in der taz FUTURZWEI und gemeinsam mit Aron Boks die Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Aber wir könnten ja stattdessen unter den Schirm der Franzosen, nicht? Und abwerfen wollen wir ja sowieso keine. Wer – außer Jens Spahn – sollte schon wollen, dass Deutschland seinen eigenen roten Knopf hat?
Die Antwort lese ich wenig später in einer alten Zeit: In einer bundesweiten repräsentativen Umfrage stimmten knapp drei Viertel klar gegen eine deutsche Atombombe. Alle scheinen sich einig, sogar die AfD-Wähler sind mehrheitlich dagegen. Nur eine Gruppe sticht heraus: die junge Generation.
Knapp über die Hälfte (54 Prozent) der 18- bis 24-Jährigen sei der Meinung, dass Deutschland Atomwaffen besitzen sollte. Warum? Das beantwortet mir die Zeit nicht. Also starte ich einfach meine eigene – nicht repräsentative – Umfrage. Auf Insta. Mein Ergebnis ist nicht ganz so schockierend, aber dennoch: Selbst in meiner cozy links-grün-versifften Insta-Bubble stimmen 21 Prozent für Ja.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°34: Zahlen des Grauens
Die weltweiten Ausgaben für Rüstung betragen 2700 Milliarden Dollar im Jahr, ein 270stel davon wird weltweit gegen Hunger investiert. Wir präsentieren Zahlen des Grauens und plädieren gerade deshalb für Orientierung an Fakten statt an Talkshow-Aufregern.
Mit: Matthias Brandt, Dana Giesecke, Maja Göpel, Wolf Lotter, Armin Nassehi, Sönke Neitzel, Katja Salamo und Harald Welzer.
„Wenn’s nach mir ginge, hätte niemand eine. Aber wenn die Franzosen schon welche haben …“, schreibt mir einer, als ich nach seiner Begründung frage.
Ein ehemaliger Mitschüler erklärt mir, dass eine eigene Atomwaffe nicht „primär ein Ausdruck militärischer Aggressivität“ wäre, sondern ein „sicherheitspolitisches Instrument“, eine andere schreibt von mehr „Respekt“ und „Unabhängigkeit“.
Also Atomwaffen für Deutschland, um Frieden zu sichern? Ich bin nicht convinced. Außerdem bräuchte es ja für eine solche Waffe auch den Wiedereinstieg in die Atomkraft. Etwas, dem viele junge Deutschen auch nicht abgeneigt sind, wie ich weiter lese.
Tschernobyl, Hiroshima, atomares Wettrüsten und die dauerhafte atomare Bedrohung bis Ende der 1980er-Jahre im geteilten Deutschland, US-Atombombentests im Pazifik, die die Umwelt für die nächsten Jahrhunderte zerstört haben, das alles scheint für meine Generation und jüngere Generationen schon längst verblasst.
Selbst Fukushima ist zeitlich schon zu weit weg. Ich muss an meinen Politikunterricht in der Mittelstufe denken, bei dem wir einmal zum Thema „Atomenergie – ja oder nein?“ diskutiert haben, als würden wir darüber reden, ob wir lieber Pizza oder Burger zum Mittagessen wollen. Und Atombomben kamen bei uns sowieso nur im Geschichtsunterricht vor.
Als wir über das „Kräftegleichgewicht“ zwischen zwei Staaten gesprochen haben, von denen einer nicht mehr existierte. Und Kubricks Dr. Seltsam war ein komischer Film aus längst vergangenen Zeiten, über den wir nur lachen konnten.
Ich beschließe, Leo die Atom-Frage zu stellen. Er ist von all meinen Freunden vermutlich der, der am meisten Ahnung von Kriegstüchtigkeit und nationaler Sicherheit hat. Schließlich war er nach dem Abi freiwillig (!) beim Militär und arbeitet jetzt wieder für die Bundeswehr.
„Nationale Anstrengungen dazu halte ich für völlig sinnlos“, schreibt er mir. „Die Ressourcen braucht es für die konventionelle Aufrüstung. Wir haben die nukleare Teilhabe, die Franzosen in der EU und die Briten in Europa.“ Das klingt immerhin nach einer fundierten Antwort.
Aber auch nicht sonderlich beruhigender als das, was eine Freundin mir schreibt: „Wenn es zum Krieg kommt, dann hoffentlich gleich ein Atomkrieg, dann ist es schneller vorbei.“
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