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Fotografin Jitka HanzlováDas Fantastische ihrer Bilder verbirgt sie fast

Man muss ihre Bilder betrachten wie mittelalterliche Illuminationen: Die erstaunliche Fotografie Jitka Hanzlovás ist in der Albertina Wien zu sehen.

Jitka Hanzlová: Untitled, 1996, aus der Serie „Bewohner“ und „Joy Angela, Chinatown“, 1999, aus der Serie „Female“ (v.l.n.r.) Foto: © Jitka Hanzlová/Bildrecht, Wien 2025

Vor dreißig Jahren war Jitka Hanzlová Teil einer Kohorte von Fotografen, für die das Farblabor im Studium selbstverständlich geworden war. Rein äußerlich, durch das Hochformat und eine gewisse Blässlichkeit der Farben war sie damals Mainstream, und Leute auf der Straße in ein Porträt zu verwickeln, war geradezu in Mode. Die letzte lebendige Verbindung zum Printjournalismus waren die Strecken für das Magazin der Süddeutschen Zeitung, ansonsten waren alle unterwegs in Richtung Kunst und Lehre.

Jetzt aber, wo die Albertina in Wien ihr eine Retrospektive ausrichtet, auch wenn sie nicht so heißt, steht Hanzlová als Künstlerin höchst eigen, wenn nicht allein in der fotografischen Landschaft. Ihre Beharrlichkeit ist betörend, ihr Erfindungsgeist enorm. Am schwierigsten zu verstehen ist ihre Arbeit über Rassepferde in Nordafrika, weil sie diese so wild anschaut, als wäre sie selber ein Pferd.

Der Titel der Ausstellung in der „historischen Pfeilerhalle“, dem Premiumplatz für Zeitgenossen in der Albertina, heißt „Identities“, der auf dem Cover des Katalogs allerdings nicht auftaucht. Vielleicht war sich der Kurator Walter Moser nicht ganz sicher, ob es zulässig ist, das Modewort einem solchem leisen und eleganten Werk überzustülpen. Zwar bringt Jitka Hanzlová (vor allem) Frauen und (einige) Männer dazu, in ihrem geschäftigen Leben eine Auszeit zu nehmen, die eine Art Spiegelfunktion hat. Insofern ist schon die Frage, wer diese Menschen sind, wo sie herkommen und was sie umtreibt, aber es kann kein Zufall sein, dass sie als Abgebildete namenlos bleiben. Hanzlová bestätigt nichts und bezweifelt nichts. Die Bilder sind transitorisch, aber nicht deshalb, weil Fotografien das „immer“ wären, sondern weil die Porträtierten durch Hanzlová quasi hindurchgehen. Man muss nur daneben halten, wie Rineke Dijkstra ihr Gegenüber ikonisch herausputzt, um zu erkennen, wie persönlich Hanzlovás Blick ist.

Die Ausstellung

Jitka Hanzlová: „Identities“. Albertina, Wien, bis 26. Oktober 2025. Katalog (Kehrer): 34 Euro

Sie entkam mit 24 dem spätstalinistischen Regime in Prag, fand sich wieder als disprivilegierte Exilantin in Essen und entdeckte dort, relativ spät, die Fotografie. Einige Jahre später sah sie ihre Familie wieder und verzauberte deren Dorf in ein hinreißendes postsozialistisches Idyll, nicht ohne eine gewisse Rohheit. Später verwandelte sie den böhmischen Wald zu einem archaischen „Forest“, megagrün und gruselig schwarz. Diese Fotografin hat keine Angst vor Seele.

Mit den Waldgeistern auf gutem Fuß

Während sie mit Waldgeistern ganz offensichtlich auf gutem Fuß steht, hat sie einen großartigen Sinn dafür entwickelt, wie schwierig es ist, in der Zivili­sation Wurzeln zu schlagen. Man könnte es zuspitzen und sagen, dass ihre große Erzählung der Fremdheit nicht eigentlich die Metropole meint, sondern den Westen, während ihr Naturbegriff dem Staunen eines Kindes entstammt. Oder eben dem Staunen einer Exilantin, die an den Ort der Kindheit zurückkehrt. Insofern ist ihr Naturbegriff schon wieder Geschichte.

Eigentümlicherweise ist Jitka Hanzlová beim Hochformat geblieben, selbst wenn sie tief in blaue Wasser starrt oder Wolken katalogisiert. Für eine umfassende Retro stellt das im Lay-out ein gewisses Problem dar. Man muss ihre Fotografien betrachten wie mittelalterliche Illuminationen, dann bemerkt man auch die farbliche Feinschraffur ihrer Bilder: Symbole, Zeichen, Schriften; krumme Dinger im Himmel und Löcher in der Wirklichkeit. Ihre Fähigkeit, zu beobachten, grenzt ans Fantastische. Sie stellt das nicht aus, im Gegenteil, sie verbirgt es fast.

Das Einzige, was vergessen wurde, sind Jitka Hanzlovás Bücher. Denn fotografische Bücher haben als Medium die Magazine abgelöst. Sie geben den Projekten ihre Namen: „Rokytník“, „Hier“, „Bewohner“, „Female“, „Forest“, „Horse“. Das hätte in der Ausstellung zwei schöne, lange Vitrinen ergeben. Und die Buchhandlungen der Museen, mit wenigen Ausnahmen, helfen auch nicht mehr weiter.

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