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Fotografien von Rüstungsmesse„Kinderballett neben Kalaschnikows“

Der Fotograf Nikita Teryoshin dokumentiert seit acht Jahren Rüstungsmessen auf der ganzen Welt. Was treibt ihn an?

In der ersten Reihe: Besucher der IDEX Expo in Abu Dhabi an Deck einer Fähre Foto: Nikita Teryoshin
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff

wochentaz: Herr Teryoshin, Sie besuchen seit mehreren Jahren Waffenmessen und haben dafür 15 Länder bereist. Wer organisiert diese Messen und für welches Publikum?

Nikita Teryoshin: Es sind Handelsmessen von großen Rüstungsfirmen, zum Teil auch von den Staaten selbst. Man trifft dort Verkäufer und Hersteller, Politiker und Militärs, natürlich auch zwielichtige Leute. Die Messen sind ziemlich exklusiv und nur für Fachpublikum. Die wenigen Medienvertreter dort kommen oft von der Fachpresse. Deshalb gibt es kaum kritische Berichterstattung darüber.

Was war das Absurdeste, das Sie während Ihrer Besuche gesehen haben?

Im Interview: Nikita Teryoshin

Nikita Teryoshin, 37, ist Fotograf und lebt in Berlin. Die Fotos stammen aus der Serie „Nothing Personal – The Back Office of War“, bis zum 5. April ist die Reihe auch in einer Ausstellung in der FREELENS Galerie, Alter Steinweg 1, Hamburg zu sehen. Der Bildband zur Serie erscheint im Verlag pupupublishing.

In Abu Dhabi gab es bei der Abschlusszeremonie eine riesengroße Jubiläumstorte, die auf Holzpaletten stand. Auf der Spitze der Torte wurde eine Explosion nachgebildet, und sie war mit Kampfjets und Panzern verziert. Irgendwann haben die VIP-Gäste mit ganz kleinen Gäbelchen begonnen, vom Rand der Torte zu essen, ohne Teller. Da dachte ich: „Das ist also hier das Schlachtfeld.“ Und bei einer Messe in Indien war die Pappfigur eines Soldaten ohne Kopf aufgestellt, im Hintergrund war eine Atomexplosion abgebildet. Man konnte sich hinter die Figur stellen und als Soldat posieren. Ich wunderte mich, dass der Pappsoldat eine russische Uniform trug – auf einer indischen Messe. Ich fragte die Leute am Stand danach, und sie antworteten: „Ach, den haben wir haben einfach über Google-Bildersuche gefunden.“ Zu meiner Arbeit passte es, diese Figur ohne Kopf abzubilden, denn ich wollte keine Gesichter auf den Bildern zeigen.

Das verdeutlichen Sie schon mit dem Titel der Serie, „Nothing personal“. Warum war es Ihnen wichtig, dass keine Gesichter zu sehen sind?

Ich wollte verhindern, dass der Betrachter die Menschen auf den Messen als Personifizierung des „Bösen“ sieht – und es sich so zu leicht macht. Der Handel mit Rüstungsgütern ist kein Werk einzelner Menschen, er steht für die Menschheit insgesamt, um es mal etwas pathetisch zu sagen. Waffen und schweres Gerät werden auf den Messen wie Staubsauger verkauft, das wollte ich abbilden. Ein weiteres Thema ist die Inszenierung des Kriegs auf diesen Messen, es gibt dort zum Beispiel Simulationen von Krieg auf Leinwänden sowie Flugschauen, die man von Tribünen aus anschauen kann. Da passte der Ansatz besser, keine Personen zu zeigen. Die anonymisierten Händler sollen auch als Metapher für eine Industrie stehen, die gerne unter dem Radar der Medien und der Öffentlichkeit agiert.

Unterscheiden sich die Messen in Diktaturen von denen im Westen?

Ja. In Diktaturen sind sie viel folkloristischer. In Belarus tanzte ein Kinderballett neben Soldaten mit Kalaschnikows. Und es sind Diktatoren aus anderen Ländern zu Gast, wie in einem schlechten Hollywood-Film. In Deutschland hingegen wird eher vorgeführt, wie die Technik funktioniert oder wie Spezialeinheiten ein Gebäude stürmen.

Man sieht auf den Bildern eine für den Kontext ungewöhnliche, fast sterile Szenerie. War das ästhetisch das Interessante daran?

Es gibt Drinks bei strahlendem Sonnenschein, die Waffen sind auf Hochglanz poliert. Diesen scheinbaren Widerspruch und die hemmungslose Welt des Waffenhandels wollte ich einfangen.

Sie selbst kommen aus Russland und sind in St. Petersburg aufgewachsen. 2016 haben Sie begonnen, diese Motive zu fotografieren. Waren die Invasion der Krim und der Krieg in der Ostukraine der Anlass dafür?

Nein. Ich lebe seit meinem 14. Lebensjahr in Deutschland und habe Russland auch nur aus der Ferne verfolgt. Welche Ausmaße der russische Imperialismus unter Putin annehmen würde, habe ich lange nicht kommen sehen. Erst als ich am 9. Mai 2019, dem Tag des Sieges, die Straßenparaden in Moskau fotografiert habe, dämmerte es mir langsam. Da marschierten Tausende mit, zum Teil mit Bildern von Stalin in der Hand, zum Teil mit Porträts ihrer Großväter oder auch gefakten Großväter. Diesen Patriotismus hatte ich total unterschätzt. Da habe ich mir schon gedacht, dass es irgendwann in einen großen Krieg münden könnte.

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