Engelbrecht Reineke hält einen Fotoapparat fast vor das Auge, sein Blick geht aber über die Linse hinweg und schaut die Betrachter des Bildes an

Ein Sinn für Bildkomposition und ein Gespür für politische Situationen: Engelbert Reineke Foto: Jörn Neumann

Fotograf des Bundespresseamtes:Historisches Fingerspitzengefühl

Engelbert Reineke fotografierte von 1966 bis 2000 alle Bundeskanzler. Wie aus dem richtigen Moment und etwas Intimität Geschichte wird.

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29.8.2021, 14:11  Uhr

Es gibt ein Porträt, das Engelbert Reineke von Konrad Adenauer gemacht hat. Entstanden am 26. November 1966, es ist das letzte offizielle Bild des ehemaligen Bundeskanzlers. Reineke, damals neu beim Bundespresseamt in Bonn, sollte ihn fotografieren. „Wir hatten eine Blitzlichtanlage, bei der pausenlos das Licht flackerte“, erinnert sich Reineke. „Da konnte sich keiner wohl drunter fühlen. Ich überlegte, es mit Tageslicht zu versuchen, lief mit dem Belichtungsmesser herum, zog Vorhänge auf und zu. Als ich den Herrn dann auf den Stuhl vor mir in das weiche Tageslicht setzte, kam mir sein Kopf schon einer Skulptur gleich einem Denkmal vor.“ Das schmale, längliche Gesicht, die schmale, längliche Nase, kein Lächeln um die Mundwinkel. Ein Gesicht wie in Stein gemeißelt.

16 Jahre später schießt Engelbert Reineke ein Porträt vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. „Ich war schweißgebadet. Ich sah die Skepsis in seinem Gesicht, das konnte nichts werden.“ 30 Bilder schoss Reineke, zwei lieferte er ab. Doch sie wurden zunächst nicht freigegeben, Kohl fand sich „nicht entspannt genug“.

Von 1966 bis 2004 war Reineke, groß und hager bis heute, als Fotograf im Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung tätig, davon 36 Jahre fest angestellt. Er sollte die Aktivitäten der Bundesregierung dokumentieren, ihre Selbstdarstellung gewährleisten. Auslandsreisen gehörten dazu, Porträts, Parteitage, Ordensverleihungen. Mit Kohl war ein neuer Ton eingezogen, sagt Reineke, es gab ständige personelle Wechsel, niemand besaß Kohls Vertrauen.

Damit war die Vertrautheit, die in den Jahren zuvor zwischen den Fotografen des Amts und den Regierenden entstanden war, egal ob unter Erhard, Brandt, Schmidt und später Schröder, diese Mischung aus Nähe und Distanz, professionellem und privaten Zugang verschwunden, schon vor der Wende und dem Umzug nach Berlin. Reineke erinnert sich an Kohls erste Reise nach Paris im Januar 1983. „Das Flugzeug war voll mit hochkarätiger CDU/CSU-Prominenz. Ich sehe Kohl in Strickjacke und einen hemdsärmeligen Franz Josef Strauß, ins Gespräch vertieft, so schön locker!“ Reineke bewegte sich vorsichtig nach vorn. „Sie wollen doch nicht etwa fotografieren?“, fragte ihn ein Referent. Der Ärger ist ihm heute noch anzuhören: „Fotoverhinderungsbeamte pflegten wir diese Leute zu nennen.“

Reineke sagt: „Ich könnte Ihnen eine ganze Liste geben von Bildern, die ich gesehen habe und nicht machen durfte.“ Nicht fotografieren durfte er Kohl in New York, der zu Fuß vom Waldorf Astoria zum UN-Gebäude lief und am East River mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher zusammentraf. „Es wäre das Bild der deutschen Außenpolitik geworden.“ An jeder Ecke stand ein Tourist und durfte auf den Auslöser drücken. Nur er nicht.

Engelbert Reineke, Jahrgang 1939, machte in den späten 1950er Jahren erst eine Lehre als Fotolaborant und erlernte in den 1960er Jahren das Fotografenhandwerk. Anschließend arbeitete er einige Jahre für den renommierten Mannheimer Fotografen Robert Häusser. Der warnte ihn vor seinem neuen Job als „Hoffotograf“, wie er und seine Kollegen manchmal genannt wurden. Denn in diesem Beruf musste Reineke zwischen innerem und äußerem Auftrag mit sich verhandeln. Der äußere Auftrag war klar: die offiziellen Tätigkeiten der Bundesregierung zeigen. Der innere Auftrag: es möglichst gut zu machen. Im Rahmen des Möglichen, wenn nicht künstlerische Freiheit, so doch eine persönliche Handschrift zu entwickeln. Reinekes Momentaufnahmen der Bonner Republik sind nie steif oder langweilig, sondern mit einem außerordentlichen Sinn für Bildkomposition ausgestattet, das Bewegte im Statisch-Zeremoniellen, das Ruhende im diplomatischen Gewusel; er nahm seine Aufgabe und die von ihm Porträtierten ernst. Kleine Gemeinheiten einzubauen, wie sie die barocken Hofmaler in ihren Bildern versteckten, wäre ihm nicht eingefallen. „Ich habe positiv darstellen wollen.“ Nicht beschönigend, aber auch nicht ent­larvend.

Reineke erinnert sich an einen Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt in Tokio, 1978. Nach einem zwanzigstündigen Flug das Pressegespräch und „ein völlig abgespannter Schmidt“. „Ich habe zwei- oder dreimal abgedrückt und bin aufgestanden. Der Spiegel-Fotograf Jupp Darchinger war auch dabei. Jemand wie er konnte die Bilder verkaufen. Aber wir als Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung? Das sind nicht die Bilder, die man verbreitet.“ Es gibt dennoch eine Parallele zum Spiegel: Wie bei der Wochenzeitschrift, in der Artikel früher nicht mit Autorennamen veröffentlicht wurden, war es im Bundespresseamt nicht üblich, Bilder namentlich zu kennzeichnen. Man gehörte zum Haus. Reineke fing trotzdem irgendwann an, seine Abzüge mit Namen zu versehen.

Der 82-Jährige lebt noch heute in Bonn. Den Wechsel nach Berlin hat er nicht mehr mitgemacht, „das war uns freigestellt“. Er wohnt mit seiner Frau am Stadtrand, hinter dem Vierfamilienhaus erhebt sich der Venusberg. In seiner Wohnung hängt kein Bild, das er gemacht hätte: „Nicht gut genug“, sagt er. Es gibt eins von Robert Häusser, seinem „Meister“, bei dem er vor allem das Sehen gelernt hat.

Reineke stammt aus dem westfälischen Lüdinghausen, aus katholisch-konservativem Elternhaus, er war das siebte Kind. Als Willy Brandt 1969 Kanzler wurde, fremdelte er zunächst mit dem sozialdemokratisch-liberalen Milieu. Es war ein Bruch, eine Zeitenwende im Nachkriegsdeutschland mit seinen Nazi-Altlasten und Verdrängungsleistungen. Brandt und später Schmidt wurden dann aber „seine“ Kanzler, mit denen er Zeitgeschichte schrieb. Denn man kann nicht über Engelbert Reineke sprechen, ohne auf sein berühmtestes Bild zu sprechen zu kommen. Das Foto von Brandts Kniefall am Ehrenmal im Warschauer Ghetto, am 7. Dezember 1970. Es ist vielleicht nicht das beste Foto Reinekes, aber eins seiner besten. Das Foto mit dem Soldaten im Anschnitt, das Brandt von vorne zeigt, ist damals „nicht gelaufen“, wie er sagt. Der Spiegel hatte das von Sven Simon auf dem Titel, der das Mahnmal mit drauf hatte, das andere stammte von Hanns Hubmann. Beide erwischten Brandt nur im Profil, nicht von vorne.

Dass nur drei deutsche Fotografen bei dem historischen Ereignis dabei waren, lag daran, dass das Ereignis kein Ereignis sein sollte. Nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags war nur ein kurzer Besuch beim Ehrenmal vorgesehen, kaum deutsche Presse war da. Und Brandts Kniefall erfolgte spontan. Ihm fehlten die Worte, wie Brandt später sagte. Reineke gelang es im letzten Moment, einen Platz im Wagen des Regierungssprechers zu ergattern. Darum stand er bei der Kranzniederlegung am Denkmal, nicht in der Menge. „Das waren Bruchteile von Sekunden, die ich zur Verfügung hatte. Ich bin auf die Knie gegangen und habe gesehen, die Perspektive stimmt. Durch den Soldaten kam Ruhe ins Bild. Ich habe in der Position genau drei Bilder gemacht.“

Gedruckt wurde Reinekes Kniefall-Bild damals nicht, es war eins der Bilder fürs Archiv oder „für die Schublade“, wie er es nennt. Die Anerkennung kam später, seine Aufnahme wurde im „Deutschen Lichtbild“, einem renommierten Jahrbuch, ausgezeichnet.

1974 gewann er außerdem den Dritten Preis des World Press Photo Award mit einem Bild, das Willy Brandt, im Sessel sitzend, 1973 im Gespräch mit dem damaligen sowjetischen Staatschef Leo­nid Breschnew zeigt. Brandt, eindeutig der Mittelpunkt, das Jackett leicht verrutscht, der sich zu Breschnew dreht. Außenminister Walter Scheel und andere Delegationsmitglieder sind im Profilanschnitt zu sehen, dem Gespräch gebannt lauschend. Dass die Vertreter der verfeindeten politischen Blöcke ins Gespräch kamen, dass sie die umstrittenen Ostverträge berieten, war keine Selbstverständlichkeit. Das Bild: praktizierte Annäherung.

schwarzweiß-Fotos liegen aufeinander herum, eines zeigt das Gesicht von Konrad Adenauer, am Rand erkennt man Willy Brandts Kniefall

Der Berufsanfänger Reineke machte 1966 das letzte offizielle Portrait von Bundeskanzler Adenauer Foto: Jörn Neumann

Was macht ein Bild zu einem historischen Bild? Wie erwischt man den richtigen Moment? Man muss vorausplanen, über die richtigen Kontakte verfügen, darf sich nicht unterbuttern lassen, man braucht Intuition. Reinekes Ehrgeiz ging dahin, „einem Bild immer auch etwas Privates, Persönliches zu geben“. So wird aus einem Pressefoto ein Bild für die Geschichte. Brandt, der spontan niederkniete, allein, um ihn herum ist leerer Raum. Eine Geste der Trauer und Demut, ein fast intimer Moment. Im Hintergrund die verdutzt guckenden Presseleute, Wachpersonal, Delegationsangehörige.

Das Kniefall-Foto hat Geschichte gemacht. Als es im Dezember 2020 seinen fünfzigsten Jahrestag hatte, wurde es so viel publiziert wie nie zuvor, sagt Reineke erfreut. Es gibt ein anderes historisches Bild, auf das er stolz ist. „Ich habe die erste Begegnung von Helmut Schmidt und Erich Honecker fotografiert.“ Zur KSZE-Konferenz 1975 in Helsinki war Reineke 24 Stunden früher angereist und sah sich den Saal vorher an. „Zwei deutsche Staaten nebeneinander in der ersten Reihe ganz vorn platziert, ein Gang dazwischen: „Das ist schon ohne Politiker Geschichte.“ Gefühlte zehn Minuten hätten die beiden deutsch-deutschen Verhandlungsführer dann jeweils auf ihrer Bank gehockt und gewartet, erinnert sich Reineke, bis sie sich endlich einander zuwandten und begrüßten. Er hatte „hoch gepokert“ und sich mit der Delegation in den Saal gedrängelt. „Ich hätte nicht gedacht, dass die mich dort sitzen lassen, dass ich diesen Moment erwische.“

Engelbert Reineke war als fest angestellter Fotograf des Bundespresseamts weder Beamter noch Funktionär, ein Mann ohne Parteibuch und bis heute ohne eigene Webseite. Der Beamtenapparat hat es ihm schwer gemacht, es gab fachfremde Referatsleiter, die keine Ahnung hatten, „wie ein Foto aussehen muss“. Er sagt: „Wir waren die völligen Exoten damals.“ Heute sei das Team kleiner, aber besser aufgestellt, meint er, da es nun direkt dem Regierungssprecher unterstellt sei. Die Pressearbeit hat sich professionalisiert.

Die Fotografen hatten „lange einen schlechten Stand im Haus“, bestätigt Ulrich Weichert, der in Berlin, nachdem die Digitalisierung Einzug gehalten hatte, die Bildredaktion im Bundespresseamt aufgebaut hat. Er bemühte sich auch um die konservatorische Betreuung des Archivs. Die Fotografen des Hauses entwickelten und wählten selbst aus, welche Abzüge gemacht werden sollten.

Es ist Weichert, selbst Fotograf, anzumerken, wie sehr ihm das auf analogem Material basierende Archiv eine Herzensangelegenheit war. Was ein Bild ausmacht, wie ein Foto zu behandeln ist, wie Negative aufbewahrt oder gescannt werden sollten, dafür hätte es früher wenig Verständnis gegeben, sagt er in seiner Berliner Wohnung. „Ich habe versucht, die Qualität des Archivs zu retten“, sagt Weichert. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein dicker Bildband zu „50 Jahre im Bild. Bundesrepublik Deutschland“, den er 1999 zusammengestellt hat, mit Unterstützung Reinekes.

Aus dem Archiv wurde eine Datenbank, in der heute knapp zwei Millionen Bilder abrufbar sind. 323 Seiten finden sich zu Engelbert Reineke. Für ihn ist die Bundesbildstelle allerdings ein wunder Punkt. „Wie oft habe ich versucht, ein Bild auszutauschen, wenn ich wusste, es gibt ein besseres Foto.“ Manche Bilder seien gar nicht mehr auffindbar, unzureichend oder falsch beschriftet oder grob beschnitten. Reineke kramt ein Bild hervor: Der damalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 1967 ist im heutigen Myanmar in der Stadt Rangun. Kiesinger besucht eine Pagode, jene turm­artigen Gebäude, die in Asien verbreitet sind – barfuß. Auf den ins Netz gestellten Bildern sind die Füße – der Clou des Bildes – abgeschnitten. Aufs Standardformat getrimmt.

Die Hände von Engelbert Reineke halten ein großes schwar-weiß-Foto, auf dem der Kniefall von Willy Brandt zu sehen ist

Kniefall von Willy Brandt in Warschau 1970 – Reinekes Foto landete erst mal in der Schublade Foto: Jörn Neumann

2000 hat Reineke angefangen, seine Bilder selbst zu scannen. Nach einem Jahr vermochte er „einigermaßen gute Scans“ zu erstellen, die Negative waren manchmal sehr mitgenommen, er erinnert sich, wie er detailversessen Kratzer auf den historischen Negativen beseitigte. Das Thema ist heikel, vielleicht auch, weil Reinekes Bilder nicht seine sind. Die Negative und auch die Bildrechte liegen in der Bildstelle. Sein eigenes Archiv besteht aus Schachteln in der Bonner Wohnung, in denen er seine Abzüge aufbewahrt.

Das Bewusstsein, dass die Fotografen des Presseamts Zeitgeschichte dokumentieren, diese Vorstellung habe sich erst mit der Zeit entwickelt, sagt der ehemalige Bildredakteur Weichert, der dafür gesorgt hat, dass „die interessanten, aussagekräftigen Bilder im Archiv auffindbar sind“. Es gab langweilige „Pflichtbilder“, weil die Fotografen „oft die Schere im Kopf hatten“ und kein Briefing vorab, anders als heute. „Es hing vom politischen Verständnis des Fotografen, von seinem Gespür für die politische Situation ab“, sagt Weichert, ob ein Bild mehr als eine Pflicht, mehr als langweilig wird. „Reineke hatte das Gespür.“ Für ihn sticht der Fotograf als „Allrounder“ heraus, der alles konnte: Porträts, politische Begegnungen, Randszenen. „Wie die Magnum-Leute wusste er, wie man ein Bild baut, das sofort steht.“

Ulrich Weichert, Bildredakteur beim Bundespresseamt

„Für die Zeitgeschichte sind gerade die nichtinszenierten Bilder, die Randszenen, die interessantesten“

In Reinekes Zeit im Bundespresseamt gab es mehr Nähe – die Republik war kleiner –, weniger Professionalität, aber anderseits mehr Freiheiten, sagt Weichert. „Es wurde viel weniger inszeniert als heute.“ Es wird auf diesen Bildern geraucht, geplaudert, gelacht. Wo kein Briefing von oben stattfand, keine Weisungen kamen, musste sich Reineke diese selbst geben. Vielleicht konnte er deshalb, trotz des offiziellen Settings, eine persönliche Handschrift entwickeln, sich künstlerische Freiheiten nehmen.

Es existierten in der Bildstelle, sagt Weichert, auch Bilder, die nicht ausgewählt wurden, wie beispielsweise den „unentspannten“ Helmut Kohl. Heute ist man lockerer: Po­li­ti­ke­r*in­nen präsientieren sich gerne privat, vorgeblich menschlich. „Für die Zeitgeschichte sind gerade die nicht­inszenierten Bilder, die Randszenen, die interessantesten“, sagt der ehemalige Bildredakteur. Reineke gelang es, neben den politischen Standard- oder Schlüsselszenen die persönlichen Momente zwischen den Regierenden einzufangen.

Reineke räumt in seiner Bonner Wohnung den Kaffeetisch ab, angerührt hat er weder die Tasse Kaffee noch die von seiner Frau gebackenen Zimtschnecken. Er hat in Vorbereitung unseres Besuches seine alten Fotokartons durchsucht, er öffnet eine Schachtel mit Schwarz-Weiß-Bildern. „Ah, das riecht gut!“, sagt er, schnuppert und atmet tief den Geruch von Staub und Chemikalien ein. Er und seine Kollegen haben damals nach ihren Terminen im Labor ihre Abzüge alle selbst entwickelt, eine Auswahl getroffen, vergrößert. „Jeder hatte seine eigene Suppe.“

Seine Vorbilder? Robert Häusser, Robert Lebeck, Henri Cartier-Bresson. Als er vor Jahren eine Ausstellung des französischen Fotografen gesehen hat, war er von der mauen Qualität der Abzüge enttäuscht. „Der hat kein gutes Labor gehabt.“

ein Foto von Helmut Schmidt im Flugzeug auf einem IPAD

Engelbert Reineke war immer nah dran Foto: Jörn Neumann

Für den taz-Fotografen holt Reineke seine erste Leica aus dem Versteck. Als er 2004 in den Ruhestand ging, zeigte das Bundespresseamt eine Auswahl seiner Bilder, einen von Reineke persönlich verantworteten Rückblick. 2013 war er außerdem in der Ausstellung „Aufbrüche“ vertreten, die der Sammler Karsten Fricke zusammengestellt hat. Doch mehr Ausstellungen für sein Lebenswerk gab es nicht.

„Für Ausstellungen fehlte mir der letzte Drive“, gibt Reineke zu. “Das muss man können und wollen.“ Es mag zum einen Bescheidenheit sein, vermutet Karsten Fricke am Telefon, der sich auf Bildjournalismus spezialisiert. „Die Leistung eines Fotografen muss man anders bewerten heute“, sagt er, „es galt zu erkennen, wann man auf den Auslöser drücken muss. Sie hatten oft nur einen Schuss.“ Anders als die FAZ-Fotografin Barbara Klemm oder der Stern-Fotograf Robert Lebeck sei Reineke aber die Rechtefrage nie angegangen. Einzelausstellungen seien dadurch fast unmöglich geworden.

Wenn jetzt Angela Merkel nach 16 Jahren abtritt, wie würde er sie fotografieren? Erstmal gar nicht, sagt Reineke.

War es falsche Bescheidenheit oder Scheu, Groll? Gibt es Bedauern bei Reineke? „Von künstlerischer Fotografie habe ich nie etwas verstanden“, wehrt der ab. Als der taz-Fotograf ein riesiges Blitzlichtgerät aufbaut, ohne Flackern, meldet sich der Handwerker in ihm zu Wort: „Damit hätte ich auch gearbeitet.“ Den Blitz musste er oft einsetzen, und als er 2004 in den Ruhestand ging, wollte er „nie wieder Studio“. Mit der digitalen Fotografie aber hat er sich angefreundet. Der Zeit im Bundespresseamt trauert Reineke nicht hinterher, die Kollegen heute, die in Berlin einer übergroßen Konkurrenz und Bilderinflation ausgesetzt sind, bedauert er. Aus dem Pulk auszubrechen, wie er es manchmal getan hat, ist schwerer geworden.

Wenn jetzt Angela Merkel nach 16 Jahren Kanzlerinnenschaft abtritt, wie würde er sie fotografieren? Erst mal gar nicht, sagt Reineke. Sie möge sich von ihren Pflichten erholen, den Ruhestand genießen. Fotografieren würde er sie dann nach ihrem 75. Geburtstag, das wäre im Jahr 2029. An der Ostsee bei schmuddeligem Wetter.

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