Fotograf Hans Jessel über seine Sylt-Bilder: „Das Schöne muss ich suchen“
Sylt ist im Sommer überfüllt. Naturbelassene Landschaften findet man nur, wenn man morgens um fünf los läuft, sagt der Sylter Fotograf Hans Jessel.
taz: Herr Jessel, Sie haben bislang vor allem die schöne Landschaft Sylts für Kalender und Fotobände porträtiert. Nun zeigen Sie in einer Ausstellung die negativen Folgen des Tourismus. Spätes Erwachen?
Hans Jessel: Sylt hat ein grandiose Landschaft. Wenn man Landschaft schützen will, muss man den Menschen auch die Schönheit dieser Landschaft vorführen. Sie dafür begeistern, berühren. Aber mit meinen "schönen" Bildern habe ich definitiv auch immer mehr Menschen auf die Insel gezogen.
Sie meinen, Ihre Bilder waren Werbematerial für den massenhaften Zustrom von Touristen auf die Insel?
Klar, weil sie denken, wie toll unberührt es hier ist. Aber das entspricht mittlerweile überhaupt nicht mehr der Realität.
Nein? Sind Ihre schönen Landschaftsbilder also Fake?
Sie zeigen etwas, was man nur findet, wenn man wie ich morgens um fünf Uhr los läuft, dorthin wo noch kein Mensch ist. Aber die Realität sieht tatsächlich anders aus: Wenn sommertags gut 150.000 Gäste gleichzeitig auf der Insel sind, und wir eine Bevölkerungskonzentration wie in einer Großstadt haben, dann ist das ein Fake. Ich wurde immer skeptischer.
Nun zeigen Sie die Brüche. Wie wird das vom Publikum aufgenommen?
Ich bin überrascht, wie reflektiert es aufgenommen wird - und wie aufgeklärt das Gros unserer Gäste ist. Sie wissen, dass auf Sylt vieles inzwischen großstädtisch ist, vor allem zu Saisonzeiten.
58, geboren und aufgewachsen auf Sylt. Diplomgeograf, seit 35 Jahren als freier Fotograf tätig. Schwerpunkte: Landschaft, Tourismus, Sport. Über 100 Kalenderveröffentlichungen, 25 Bücher/Bildbände, darunter „Sylt - 365 Tage“, Edition Fackelträger und „Sylt Sounds“, Edel Germany GmbH.
Naturlandschaft war gestern?
Die Landschaft auf Sylt ist komplett vom Menschen beeinflusst, auch wenn man sich die einzelnen Landschaften anschaut - wir haben ja Strand, Dünen, Heide. Da ist beispielsweise kein Naturstrand mehr durch die Sandvorspülungen. Die Dünen sind schon in Kriegszeiten mit Bunkern gepflastert worden und durch Pflanzungen festgelegt. Die Marschlandschaften, allein ein Drittel der Inselfläche, sind durch die Bedeichungen komplett aus ihrem Naturraum, dem Wattenmeer, entlassen worden.
Aber trotzdem wird immer noch mit Naturlandschaft geworben?
Ja, es ist frappierend, wie das immer noch funktioniert. Viele denken auch, dass alle, die auf der Insel wohnen, Millionäre sind. Dabei ist die Inselflucht ein Thema, das den Einheimischen auf den Nägeln brennt. Meine kritischen Bilder kommen deshalb besonders bei diesen gut an. Weil wir Einheimischen die Faxen dicke haben. Wenn im Sommer auf einen Einwohner sieben bis acht Touristen kommen, das sprengt einfach alle Grenzen. Die Leute sind genervt.
Und verkaufen ihre Häuser?
Selten freiwillig. Es ist immer die gleiche Situation: Die Eltern sterben, das Haus wird vererbt, und es geht sofort um Millionenbeträge. Will dann nur ein Erbe ausbezahlt werden, ist die Sache erledigt. In meinem Freundeskreis verlässt einer nach dem anderen die Insel. Die bekommen es nicht geregelt. Die Häuser gehen über den Jordan.
Haben Sie eine Mission für Sylt?
Ich möchte zukünftig ein ehrlicheres Bild der Insel zeigen, welches die Missstände nicht ausklammert.
Was müsste sich ändern?
Es müssen Weichenstellungen in Richtung Nachhaltigkeit gegeben werden: kein weiterer Ausbau der Verkehrswege, gegensteuern, nicht noch mehr Asphalt in die Landschaft schütten. Zum Beispiel der Flughafen: Er hat nicht - wie manche versprachen - den Verkehrsstrom der Autos beruhigt, sondern er hat das Geschäft von Autoverleihen beflügelt. Es geht nur um die Bequemlichkeit der Gäste.
Sylt gilt als snobistisch. Ist der Preis kein Regulativ?
Das ist ein Vorurteil, dass Sylt so teuer ist. Man kann hier für 30 Euro die Nacht wohnen, es gibt Aldi und Lidl. Das Angebot für Betuchte ist ein kleiner Prozentsatz, aber ein werbewirksamer.
Wird bei den politisch Verantwortlichen nie über Nachhaltigkeit diskutiert?
Es ist ein typisches Zeichen der Diaspora, dass so etwas noch nicht angekommen ist. Ich spreche vielen unserer Freizeitpolitiker, die auf der Insel das Sagen haben, einfach den Background ab, die Auswirkungen ihrer Entscheidungen zu überblicken.
Was fotografiert sich leichter: Brüche oder schöne Landschaft?
Ersteres! Das Schöne muss ich immer angestrengter suchen. Ich bewundere mich gelegentlich selber dafür, wie ich das jahrzehntelang ausgehalten habe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!