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Forschung mit kollaborierenden RoboternWenn Roboter Menschen missverstehen

So fruchtbar wie gefährlich: Eine Studie der TU Clausthal und der Uni Göttingen erforscht die künftige Zusammenarbeit von Roboter und Mensch.

Mit dem kollaborierenden Roboter CoRa wird grundlegend zu Mensch-Maschine-Interaktionen geforscht Foto: Alexander Herzog/TU Clausthal

Osnabrück taz | Mensch und Roboter, in kollaborativer Zusammenarbeit? Welche Probleme das aufwirft, hat der polnische Philosoph und Science-Fiction-Pionier Stanisław Lem schon vor Jahrzehnten in seiner Erzählung „Die Verhandlung“ gezeigt. Raumschiffpilot Pirx, mit einer Test-Mannschaft unterwegs, von der er nicht weiß, wer ein Mensch ist und wer ein Roboter-Prototyp, einem Menschen täuschend ähnlich, weist am Ende nach: Roboter mögen technisch überlegen sein, moralisch sind sie es nicht.

Heute ist das weit weniger Fiktion als zu Lems Zeit. Wie weit die Forschung schon fortgeschritten ist, zeigt das interdisziplinäre Verbundprojekt „Kognitiv und Empathisch Intelligente Kollaborierende Roboter“ (KEIKO) der Technischen Universität (TU) Clausthal und der Georg-August-Universität Göttingen. Auf drei Jahre angelegt, ist es Anfang 2023 gestartet. Das Team ist sechs Doktorandenstellen groß. Plus ein Postdoc, der aber noch nicht gefunden ist.

Im Simulationswissenschaftlichen Zentrum (SWZ) der beiden Partnerhochschulen, der Koordinationsstelle des Projekts, geht es um Kobots, das sind kollaborierende Roboter. Das sind nicht nur Maschinen, die physisch anstrengende, repetitive Arbeit abnehmen, in fest vordefinierten Abläufen, durch Schutzvorrichtungen von ihren menschlichen KollegInnen getrennt. Hier geht es um flexibles Arbeiten in komplexen Settings. Um das Arbeiten Seite an Seite, um wechselseitige Kommunikation.

Kobots seien „ein wichtiger Baustein in der Digitalisierung der Industrie“, sagt Projektsprecher Christian Rembe, Professor am Institut für Elektrische Informationstechnik der TU Clausthal. Auch in der Pflege könnten sie eingesetzt werden, als Assistenten.

Soziokognitive Intelligenz

Damit ein Kobot „mentale Zustände“ seines menschlichen Arbeitspartners erkennen kann, damit er, so das SWZ, „soziokognitive und emotionale Intelligenz“ entwickelt, situativ spontan auf menschliche Absichten reagiert, bei einer gemeinsamen Arbeit, etwa am gleichen Werkstück: Dazu braucht es die Expertise vieler Disziplinen. Das KEIKO-Team besteht daher aus Köpfen der Elektrotechnik, der Informatik, der Physik und der Psychologie. Roboter lernen hier unter anderem, die Aufmerksamkeit ihres menschlichen Gegenübers einzuschätzen.

Das Team entwickelt den Kobot CoRa weiter, aus dem SWZ-Projekt „Heterogene Mensch-Maschine-Teams“ (HerMes), das 2019 begann. Und es zielt dabei nicht nur auf Grundlagenforschung. Es geht auch um die Veränderung von Arbeitsprozessen. Forschung für Hard- und Software ist dazu nötig.

„Wir stehen in sehr engen Kooperationen mit der Industrie“, sagt Alexander Herzog der taz, Geschäftsführer des SWZ Clausthal-Göttingen, TU Clausthal. „Bei uns geht es stark um Nutzanwendung. Die Maschinen rücken dem Menschen ja immer näher auf den Leib.“

Das klingt nach einer Unausweichlichkeit. Aber natürlich ist auch Herzog klar, dass es eine gesellschaftliche Entscheidung ist, ob alles, was sich technisch realisieren lässt, auch umgesetzt werden sollte.

Die zentrale Frage dabei lautet: Wer profitiert am Ende? Auf jeden Fall der Arbeitgeber. Eine Maschine wird nicht krank, kündigt nicht, meldet keinen Urlaub an, stellt keinen Antrag auf Gehaltserhöhung, protestiert nicht mit Streikplakaten vor dem Werkstor, braucht keine Pause.

Das Argument, dass alte, von Menschen besetzte Arbeitsplätze wegbrechen könnten – und dass die neuen, die stattdessen entstehen, Höherqualifizierungen erfordern, zu denen nicht jeder Arbeitnehmer in der Lage ist, versucht Herzog zu entkräften: „Wir machen das ja nicht, um Menschen wegzurationalisieren. 80 bis 90 Prozent des industriellen Marktes sind Mittelstand, und da herrscht Personalmangel.“ Gewiss, einiges an Tätigkeiten werde wegfallen. „Aber es wird viel bleiben, das nicht extrem viel Know how erfordert.“

Arbeitswelt verändert sich

Die Probleme sind vielfältig. Um einem Roboter beizubringen, sein menschliches Gegenüber zu lesen, seine Intentionen zu berechnen, braucht es ein Entwicklerteam, dass, obwohl aus unterschiedlichen Fachgebieten, „unter denselben Begriffen auch dasselbe versteht“, sagt Herzog. „Schon allein das ist gar nicht so einfach.“ Zudem braucht man exzellente Sensorik – und Vertrauen. Denn ein Roboter, der mit einem Menschen zusammenarbeitet, vielleicht ein Vielfaches seiner Kraft besitzt, könnte, wenn er Absicht oder Verhalten eines Menschen falsch interpretiert, tödliche Unfälle verursachen.

Aber bis zu einer solchen Nähe am Arbeitsplatz ist es noch weit. Sicher ist nur eins, sagt Herzog: „Die Zeit, in der Forschende im stillen Kämmerlein sitzen und nur für ihre Fachcommunity schreiben, ist endgültig vorbei.“

Olaf Cramm, Gewerkschaftssekretär der DGB Region Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim, sieht das alles nicht so rosig. „Natürlich werden neue Technologien zum Einsatz kommen“, sagt er der taz. „Aber KI wird kein Zauberschwert sein, um Fachkräfte zu ersetzen.“

Dass sich Arbeit verändere, sei allen bewusst. „Also müssen das auch die Bedingungen für Arbeit in Zeiten, Entlohnung und allen Abläufen sein. Dazu gehört dann auch, wie die Maschinen dazu beitragen, ein effektives Sozialsystem, dessen Infrastruktur, zu erhalten.“ Roboter und KI seien „nur so gut wie ihr Beitrag zum Erhalt einer menschenwürdigen Lebensrealität“. Cramm fragt kritisch: „Oder produzieren die Schaltkreise zukünftig füreinander?“

Fachleute vieler Dienstleistungen seien „nicht ersetzbar“. Das reiche von Gemeinwesen über Handwerk bis zu Gesundheit, Bildung, Kultur und Sozialem. „Zumindest, wenn Menschen in der Zukunft mancher Forschender noch Platz haben“, sagt Cramm.

Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur fördert das Verbundprojekt in Zusammenarbeit mit der VolkswagenStiftung übrigens mit knapp 1,8 Millionen Euro.

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