Forderungen an den Berliner Senat: Mehr tun gegen Antisemitismus
Um Antisemitismus zu bekämpfen, sollte das Land einen eigenen Beauftragen einrichten, fordert ein Bündnis. Bis Februar soll darüber entschieden werden.
Das Land Berlin muss deutlich mehr gegen Antisemitismus unternehmen: So sollte die Aufklärung darüber Querschnittsthema im Bildungsbereich von der Kita bis zur Universität werden; die Hochschulen müssten sich viel umfassender in Forschung und Lehre damit befassen; der Senat sollte die Stelle eines Landesantisemitismusbeauftragten mit Budget einrichten. Diese Forderungen präsentierte der Berliner Arbeitskreis gegen Antisemitismus nach einjähriger Arbeit am Freitag vor Journalisten.
Dem Arbeitskreis gehören Vertreter jüdischer Institutionen und Gemeinden, von Gedenkstätten, Wissenschaftseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen an. Er war auf Initiative der Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement, Sawsan Chebli (SPD), nach mehreren antisemitischen Vorfällen gegründet worden.
Die Forderungen sollen in das so genannte Handlungskonzept Antisemitismus einfließen, das der Senat laut Chebli bis Ende Februar 2019 fertiggestellt haben will. Sie geht davon aus, dass vieles daraus übernommen wird. Bereits im Mai hatte das Abgeordnetenhaus die Einsetzung eines „Ansprechpartners“ für Antisemitismus vom Senat gefordert.
Ein Großteil der jüdischen Bevölkerung in der EU hat laut einer Studie das Gefühl, dass der Antisemitismus in den vergangenen fünf Jahren deutlich zugenommen hat. 63 Prozent der Befragten aus zwölf Ländern gaben in der Erhebung der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) an, dass sich der Antisemitismus deutlich verstärkt habe. 23 Prozent sprachen von einer leichten Verstärkung. 45 Prozent bezeichneten Antisemitismus als ein "sehr großes Problem". Die Befragten aus Deutschland antworteten bei diesen Fragen ähnlich wie der Durchschnitt aller Befragten.
Bundesaußenminister Heiko Maas schrieb auf Twitter, es sei beschämend für Deutschland, wenn die Juden hierzulande über die letzten fünf Jahre sagten, dass 52 Prozent von ihnen belästigt worden seien, sich 75 Prozent nicht trauten, die Kippa zu tragen und 46 Prozent bestimmte Orte mieden. "Wir müssen aufstehen gegen #Antisemitismus!", forderte Maas. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte zu der Studie: "Die Nachricht ist erschütternd." (dpa)
„Der Antisemitismus ist lauter, aggressiver und unverhohlener geworden“, stellte Chebli fest; Tabus würden aufgebrochen, sagte sie und verwies auf erstarkte rechte Radikale wie „Höcke und Co.“ Antisemitismus sei eine Gefahr für die Demokratie, weil er „elementare Bereiche des Zusammenlebens“ beeinträchtige. Den Antisemitismus unter Muslimen dürfe man nicht schön reden, betonte sie. Aber man dürfte nicht der AfD auf den Leim gehen und die Kriminalisierung der Muslime forcieren: Antisemitismus gebe es auch in anderen Bevölkerungsgruppen.
Die Zahl antisemitischer Angriffe sei „dramatisch hoch“, sagte Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Comittee Berlin. In Berlin führte sie das aber auch auf das erhöhte Bewusstsein bei Betroffenen wie Polizei zurück, die gemeldete Fälle korrekt einordne. Deidre forderte den Senat auf, die jährliche, überwiegend antisemitische Al Quds-Demo zu verbieten oder zumindest mit scharfen Auflagen zu versehen.
Ein zentraler Bereich, um gegen Antisemitismus vorzugehen, sei die Bildung, erklärte Elke Gryglewski, stellvertretende Direktorin des Haus der Wannseekonferenz. Gedenkstätten wie diese ermöglichten, die Kontinuität des Antisemitismus zu erkennen, den es lange vor dem Holocaust in Deutschland und Europa gab. „Jedes Kind, das will, muss eine entsprechende Gedenkstätte besuchen können.“ Lehrer sollten deswegen besser über deren Angebote informiert, bürokratische Hürden abgebaut werden. Und künftig müsse das Thema nicht mehr nur in der Oberschule und nicht mehr nur auf Fächer wie Geschichte und Ethik beschränkt behandelt werden.
Sawsan Chebli, Staatssekretärin
Ausgebaut werden müssen auch Kontaktmöglichkeiten. Vielen Berlinern sei die Jüdische Kultur unbekannt, sagte Sergey Lagodinsky von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin; es gebe schlicht zu wenig Juden, um diese zu vermitteln. Deswegen brauche es weitere „Botschafter“: etwa Lehrer und Museen. Um Antisemitismus erfolgreich zu bekämpfen, müsse die Aufklärung im „Mainstream“ landen. Ziel sei es letztlich, dass „Juden überall in der Stadt mit Kippa ohne Angst unterwegs sein können“, sagte Chebli und fügte hinzu: „Dafür zu sorgen, ist unsere verdammte Verpflichtung.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Plan für Negativ-Emissionen
CO2-Entnahme ganz bald, fest versprochen!