Folgen des Pflegekräftemangels: Kinderstation in Not
Auf der Kinderintensivstation der Medizinischen Hochschule Hannover fehlen so viele Pflegekräfte, dass kranke Kinder nicht mehr behandelt werden können.
Sasses Station ist die größte Kinderintensivstation im deutschsprachigen Raum. Bis zu 18 Kinder können dort künstlich beatmet werden. Eigentlich. Denn aktuell sind vier bis sechs Betten regelhaft gesperrt, wie der Arzt erklärt.
Bei etwa 300 schwerkranken Kindern oder Jugendlichen musste die MHH deshalb die Behandlung ablehnen und die PatientInnen an andere Krankenhäuser schicken. Und das kann für die Kinder und Jugendlichen dramatische Folgen haben.
Die Kinderintensivstation ist Mitglied im Pädiatrischen Intensivnetzwerk (PIN), einem Verbund von mehr als 40 Kinderkliniken. Durch die enge Kooperation der MedizinerInnen und Pflegekräfte konnte die Sterblichkeitsrate der durch das Netzwerk versorgten schwerkranken Kinder deutlich gesenkt werden, sagt Sasse. Die MHH nimmt wegen der speziellen Behandlungsmöglichkeiten eigentlich eine besondere Stellung im PIN ein, kann dieser aber laut Sasse nun häufiger nicht ausreichend gerecht werden.
In einer internationalen Studie aus dem Jahr 2012 gaben nur 35 Prozent der befragten deutschen Pflegekräfte an, dass ihre Arbeit von den Vorgesetzten anerkannt wird.
30 Prozent sagten, dass sie von ihrer Arbeit emotional erschöpft seien. Das war der zweit schlechteste Wert unter den erhobenen Ländern.
Eher zufrieden oder zufrieden mit ihrem Gehalt waren 34 Prozent.
44 Prozent gaben an, ihre Stelle innerhalb des nächsten Jahres kündigen zu wollen.
„Früher mussten wir etwa 100 Kinder im Jahr abweisen“, sagt er. In diesem Jahr sei die Zahl jedoch stark angestiegen. Bis zum Jahresende würden es etwa 400 Kinder sein.
Das Problem ist, dass der Kinderintensivstation Pflegekräfte fehlen. Die Station hält sich beim Personalschlüssel strikt an die Empfehlungen der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Diese sieht vor, dass eine Pflegekraft nicht mehr als zwei PatientInnen versorgt. Sind für die 18 möglichen PatientInnen nicht genügend Pflegekräfte vorhanden, so sperren die Verantwortlichen die Betten und es werden keine neuen PatientInnen mehr aufgenommen. Auf der Kinderintensivstation ist das im Moment ein Dauerzustand.
„Der Pflegeberuf ist ein gesellschaftlich verbrannter Beruf“, sagt Sasse. Laut Christiane Ganzer, der pflegerischen Leiterin der Kinderintensivstation, spielt auch der Schichtdienst eine bedeutende Rolle für den Mangel an Pflegekräften. „Viele suchen sich etwas anderes, um sich mehr auf ihr soziales Umfeld konzentrieren zu können“, sagt sie.
Aber auch die große psychische Belastung durch die Arbeit mit schwerstkranken Kindern sei ein Grund zu wechseln. „Es gibt Pflegekräfte, die im Laufe der Zeit merken, dass sie das einfach nicht aushalten“, sagt Ganzer.
Ein weiterer Punkt sei die aufwendige Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen. Es dauere ein halbes bis ein Jahr, bis neue Pflegekräfte in die hochqualifizierte Arbeit der Intensivstation eingearbeitet seien, sagt Ganzer. Wenn eine KollegIn geht, kann sie also nicht einfach durch eine neue ersetzt werden.
Michael Sasse, Leitender Oberarzt der Kinderintensivstation an der MHH
Die Kinderintensivstation in Hannover ist nicht allein mit dem Problem des Pflegekräftemangels. „Auf den Kinderintensivstationen in Deutschland gibt es geschätzt einen stetigen Bettenleerstand von etwa 20 Prozent“, sagt Sasse. Diese Fachkräftelücke können auch die vom Bundesgesundheitsministerium vorgelegten Gesetzesänderungen nicht schließen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung.
Pflegeexperte Michael Simon, Professor an der Hochschule Hannover, hat die Reformpläne der Bundesregierung analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass sich die neuen Regelungen nicht am realen Pflege- und Personalbedarf orientieren. Simon schätzt, dass den deutschen Krankenhäusern rund 100.000 Pflegekräfte fehlen. Für die Beschäftigten sei damit eine Überlastung vorprogrammiert.
Die Kinderintensivstation der MHH bemüht sich um eine Entlastung ihrer MitarbeiterInnen. Die Station hat unter anderem ein eigenes Anti-Burnout-Programm und die Mitarbeitenden haben jederzeit die Möglichkeit, psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen.
Darüber hinaus wurden Pflegeassistenten eingestellt, die den Pflegenden einfache Arbeit abnehmen können. Eine Pharmazeutisch-technische Assistentin etwa übernimmt für die Pflegekräfte das Aufziehen und Bereitstellen von Infusionen und Medikamenten. „Wir müssen uns fragen, wie wir den Beruf wieder attraktiver machen können“, sagt Sasse. Dabei müsse es auch um alternative Arbeitsmodelle gehen, die es Pflegekräften ermöglichen, auch im Beruf zu bleiben, wenn sie beispielsweise alleinerziehend sind.
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