Folgen der Schulschließungen: Corona macht Bildung ungleicher
Viele Lehrer:innen stellen jetzt auf E-Learning um. Doch der digitale Unterricht bevorzugt die ohnehin Privilegierten.
D ie erste Schulwoche zu Hause ist rum. Und auch wenn die Erfahrungen der knapp 11 Millionen Schüler:innen im Land beim Homeschooling stark auseinandergehen dürften, lässt sich eines schon jetzt mit Bestimmtheit sagen: Das Coronavirus wird die deutsche Bildungslandschaft stärker prägen als alles, was Bund und Länder in den letzten Jahren in Sachen E-Learning beschlossen haben. Und das hat vor allem mit den Versäumnissen der Politik zu tun – und einer unmöglichen Schulbürokratie.
Jahrelang haben Bund und Länder um den Digitalpakt Schule gestritten, weil dafür das Grundgesetz geändert werden musste. Vor gut einem Jahr einigten sich beide Seiten – doch von den 5 Milliarden Euro vom Bund ist noch fast nichts an die Schulen geflossen. In manchen Bundesländern ist noch nicht mal ein Prozent der Mittel bewilligt worden. Entsprechend desaströs ist es um die IT-Ausstattung an deutschen Schulen bestellt.
Nach einer aktuellen Umfrage unter Schulleiter:innen, die die Lehrergewerkschaft VBE am Freitag vorgestellt hat, gibt es nur bei rund einem Drittel der Schulen WLAN und eine Breitbandverbindung in allen Klassenzimmern. Schuleigene Tablets und Smartphones besitzt auch nur gut ein Drittel der Schulen, und dann nicht einmal für alle Klassen. Wie sie Gelder des Digitalpakts abrufen können, darüber fühlen sich nur jede zweite Schulleiterin und jeder zweite Schulleiter gut informiert.
Tatsächlich können sie das gar nicht selbst, sondern nur die Schulträger, also meist die Kommunen. Und die scheinen es nicht sonderlich eilig zu haben mit den Anträgen. Was aber noch schlimmer ist: Die Schulen können nicht frei entscheiden, wofür sie das Geld ausgeben. Liegt der beschlossene Förderschwerpunkt auf IT-Infrastruktur, darf die Schule Kabel verlegen lassen, aber keine iPads kaufen. Kein Wunder, dass es unter Schulleiter:innen hinter vorgehaltener Hand heißt: Nur wer kreativ ist, kann Geld in die digitale Infrastruktur stecken.
Latein per E-Learning
Und doch: Plötzlich geht alles wegen Corona ganz schnell. Natürlich nicht mit einer unkomplizierten Auszahlung der Digitalpakt-Gelder – dem haben die Länder vergangene Woche schon eine Absage erteilt. Dafür aber mit dem digitalen Unterricht. Nach den Schulschließungen haben sich die Anmeldezahlen bei Lernplattformen vervielfacht. Auf den Bildungsservern der Republik finden sich plötzlich so viele digitale Lernangebote wie nie. Da gibt es E-Latein-Programme, Erklärvideos auf YouTube und Links zum Schulfernsehen.
Und auch wenn viele Lehrer:innen schnell über zusätzliche Arbeit stöhnen – ein wunder Punkt in den Lehrerzimmern –, sehr viele Lehrer:innen machen beim Experiment E-Learning mit. Der Unterricht wird digitaler – und das ist leider ein Problem. Schon jetzt hängt der Bildungserfolg in Deutschland stark von der sozialen Herkunft der Schüler:innen ab. Wer aus einer armen Familie kommt, hat deutlich geringere Chancen, auf ein Gymnasium zu kommen. Und noch geringere, es auf die Uni zu schaffen. Daran erinnert uns alle drei Jahre die Pisa-Studie. Das E-Learning wird die soziale Ungleichheit aber noch verstärken. Denn es gibt diesen Teufelskreislauf: Kinder, deren Eltern einen einfachen Bildungsabschluss haben, sind besonders stark armutsgefährdet. Den sozialen Aufstieg schaffen sie oft aber nicht, weil sie in diesem System früh ausgesiebt werden.
Wird der Unterricht jetzt digitaler, wird er noch exklusiver. Viele Familien haben zu Hause weder Laptop noch Tablet, an denen ihre Kinder arbeiten könnten. Und die versprochenen Bundesmilliarden, von denen die Schulen zum Beispiel Geräte für die ganze Klasse kaufen könnten, sind – siehe oben – vielerorts noch nicht da oder dürfen nicht dafür verwendet werden. Was zur Folge hat, dass nur diejenigen Schulen digital unterrichten können, deren Klientel privilegiert ist, also – digital gesehen – genügend smarte Geräte sowie eine eine gute Internetverbindung hat. Und wer hat das? Richtig: wohlhabendere Familien mit eher akademischem Background. Was also tun?
Zunächst: Die Schulen müssen einen größeren Spielraum bei ihren Budgets bekommen. Es kann nicht angehen, dass die Maxime „Bring your own device“ immer noch Familien als soziale Unterschicht bloßstellt. Wer digitales Lernen möchte, muss auch die Lernmittel zur Verfügung stellen – das ist bei Schulbüchern schließlich auch nicht anders. In Rheinland-Pfalz etwa gibt es Modellschulen mit reinen iPad-Klassen – die Geräte müssen die Familien jedoch selbst bezahlen.
Es sollte alle beschämen, wenn Schulleiter:innen oder Eltern immer erst einen Förderverein gründen müssen, damit auch Jenny und Murat im Unterricht mitmachen können. Manche Bundesländer bieten einkommensschwachen Eltern an, die Schulbücher auszuleihen, statt selbst zu bezahlen. Warum nicht auch bei Smartphones oder Tablets?
Zweitens: Alle Schulen im Land müssen von der IT-Infrastruktur auf denselben Stand gebracht werden. Zu häufig sind digitale Modell- oder Pilotschulen noch diejenigen, auf die die privilegierten Kids gehen. Und drittens: Medienbildung muss endlich viel stärker im Studium geübt werden. Vor Corona hat nur jede und jeder vierte Pädadgog:in digitale Medien täglich im Unterricht eingesetzt. Aber vielleicht hilft da – wie auch in der Schule – Corona mit, die Entwicklung zu beschleunigen.
Denn auch die Universitäten werden nun digitaler. Zumindest haben viele Unis schon angekündigt, ihre Vorlesungen künftig aufzunehmen oder live zu streamen. Wenn die Lehrer:innen von morgen digitales Lernen dadurch als Normalität erfahren, dürfte sie das für E-Learning aufgeschlossener machen. Übrigens schließt sich da ein Kreis: Vor Jahren hoffte man, dass gefilmte und frei ins Netz gestellte Kurse und Seminare die Bildung weniger exklusiv machen würden. Mit Blick auf Deutschland muss man auch im Jahr 2020 davor warnen, dass sie genau das Gegenteil bewirken.
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