Foiling-Projekt in Hamburg: „Wir wollen ein Volksprojekt sein“
Drei Männer wollen eine betagte Kunststoffjolle übers Wasser fliegen lassen. „Foiling“ ist der Trend im Wassersport.
Der Plan ist ambitioniert, nähert sich aber in Regie seiner drei Väter vier Jahre nach der ersten Idee der Vollendung: Eine betagte Conger-Kunststoffjolle soll wie Boris Herrmanns Hightech-Yacht „Malizia – Seaexplorer“ auf Tragflächen übers Wasser fliegen. Gemeinsam mit Tausenden Fans glauben die Initiatoren daran, dass sie das „hässliche Entlein“ in einen fliegenden Schwan verwandeln können.
Projektantreiber ist Frank Schönfeldt, ein Multitalent mit Hang zu verrückt anmutenden Ideen. 2005 hat Schönfeldt es ins Guinessbuch der Rekorde geschafft, als er mit Freunden in einem Hamburger Einkaufszentrum einen Miniaturgüterzug mit 528 Wagons 408 Meter weit fahren ließ – Weltrekord.
Unter Deutschlands Seglern ist der Hamburger Segelmacher bekannt wie ein bunter Hund. 38 Deutsche Meistertitel hat er in verschiedenen Bootsklassen gescheffelt, achtmal bei der Kieler Woche triumphiert. Als Singer-Songwriter der Band „Matrose Schönfeldt und die Schwimmwesten“ unterhält der bodenständige Tausendsassa aus Blankenese die deutsche Segelszene seit Jahrzehnten mit feinsinnigen Beobachtungen, amüsanten Seitenhieben oder Verneigungen vor den Größen seines Sports.
Das Boot ist ziemlich ungeeignet
Seine Segelmacherei Clown Sails hat der 67-Jährige vor Kurzem in jüngere Hände übergeben. Jetzt ist Raum für Ideen wie die von 2019. Damals entstand mit Blick auf das boomende Foiling-Vergnügen im Segel- und Surfsport der Plan, auch einer betagten Conger-Jolle moderne Tragflächen zu verpassen und sie übers Wasser fliegen zu lassen. Ein ambitioniertes Unterfangen, denn der Conger ist ein Oldie, hatte 1965 als erste Kunststoffjolle in Deutschland auf der Großwerft Blohm+Voss das Licht der Welt erblickt. Das robuste Boot ist bei 210 Kilogramm Rumpfgewicht und nur zwölf Quadratmetern Segelfläche keine ideale Plattform zum Foilen.
Als Conger-Könner Schönfeldt 2019 einmal „fremdgeht“ und auf Anhieb Deutscher Meister im H-Boot wird, ist das Schönfeldts Aha-Moment. Er erinnert sich an viele Gespräche, die er mit Design-Professor Andreas Ostwald geführt hatte. Ostwalds Lieblingsthema: Foiling für alle. Schönfeldt hatte „die Fantastereien“ stets abgetan. Nun will er es wissen, ruft Ostwald an und sagt: „Ich bin jetzt bereit fürs Foilen. Lass’ es uns im Conger machen.“
Foils (dt.: Tragflächen) sind für den Wassersport, was Flügel für die Luftfahrt bedeuten: Es sind Rumpfanhänge, mit deren Hilfe sich Wasserfahrzeuge aus dem Wasser erheben und aufgrund des auf ein Minimum reduzierten Wasserwiderstands stark beschleunigen können.
Foiling hat den Surf- und Segelsport revolutioniert und findet sich inzwischen in fast jeder Wassersportart. Bekannt wurden die „Hydrofoils“ im America’s Cup 2013 vor San Francisco.
Ostwald lässt sich überreden, sagt aber: „Da brauchen wir professionelle Hilfe vom Besten. Es gibt einen Deutschen, der in Neukaledonien lebt: Martin Fischer. Der arbeitet im America’s Cup und hat es drauf.“ Und der ist die älteste und vor allem renommierteste Segelregatta der Welt. Schönfeldt kennt aber weder Fischer noch weiß er, wo Neukaledonien liegt. Er zeigt Ostwald einen Vogel und sagt: „Du glaubst doch nicht, dass so eine Koryphäe sich mit unseren Spinnereien abgibt. Ich frage ja auch nicht Peter Maffay, ob er mit mir auf Tour geht.“
Die Mail an Fischer, der damals das Design-Team des italienischen America’s-Cup-Teams leitet, schickt Ostwald trotzdem ab. Die Antwort haut die Hanseaten um. Schönfeldt erinnert sich: „Dem Sinn nach schrieb uns Fischer, dass unsere Mail nach Alkohol und Drogen klingt. Aber irgendwie gut.“
„Ich fand die Idee lustig, eine mehr als 50 Jahre alte Jolle mit Foils zum Fliegen zu bringen“, sagt Fischer. Aktuell arbeitet der Maestro mit dem Spitznamen „Foil-Papst“ für England im America’s Cup. Schönfeldt trifft den Physiker aus Celle 2019 in Hamburg. Hier skizziert Fischer erste Foils für den Conger. Er hält das Projekt für machbar.
„Wir wollen keinen Sugar Daddy“
Schönfeldt startet durch, gründet die Facebook-Gruppe „Regnoc“ – Conger, rückwärts geschrieben –, die heute von knapp 2.000 Begeisterten beflügelt wird. „Wir wollten von Beginn an eine Volkskampagne und keinen Sugar Daddy, der alles finanziert. Lieber 200 mal 20 als einmal 2.000 Euro“, erklärt Schönfeldt die kreativen Online-Gewinnspiele und Spendenaufrufe, die aus der Idee in Corona-Zeiten eine Bewegung machen.
Die Vorstellung, dass die Berechnungen für die Low-Budget-Kampagne womöglich durch einen der Superrechner für den America’s Cup gegangen sind, verleiht der Initiative einen heißen Hauch von Formel-1. Der frühere Kanzler Helmut Schmidt, der gerne mit einem Conger über die Alster schipperte, hätte vermutlich Freude an dem People-Projekt gehabt. Schönfeldt nennt die Jolle „ein Stück Weltkulturerbe aus der Sportstadt Hamburg, das nun ins 21. Jahrhundert katapultiert wird“.
Die Regnoc-Dauerläufer haben auch die deutsche Wassersportbranche an Bord geholt. Dutzende namhafte Unternehmen unterstützen das Projekt. Bei ersten Schlepptests auf dem Zwischenahner Meer hat sich der Conger bereits auf seinen Flügeln aus dem Wasser erhoben. Allerdings ohne Mast und eigenen Segelantrieb. Technisch versierte „Regnocer“ wissen: Der alte Conger-Mast aus Alu ist der wunde Punkt. „Er ist das schwächste Glied in der Kette“, sagt Schönfeldt, der mit Experten an Ideen arbeitet, damit das Rigg vor allem bei der Landung nicht unter den Foiling-Lasten wie ein Streichholz abknickt.
Im Herbst soll der Conger „Brasil“ auf der Alster seine Foiling-Weltpremiere erleben. Die Boarding-Pässe für die Flugschau sind verlost oder verkauft, einige noch zu haben. Der Regnoc-Flug RA 0001 soll vor den Stegen des Hamburger Segel-Clubs abheben. Sein Traumszenario dafür beschreibt Schönfeldt so: „Wir wünschen uns für Tag X eine leere Alster, viel Wind, volle Stege und zwei Polizeiboote, auf denen Foilizei statt Polizei steht. Dann wird der Conger fliegen.“
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