Förderprogramme in der Literatur: Schreiben als Zauberkraft
Kulturinstitutionen wollen diverser werden und ein neues Publikum erreichen. Doch sie geben sich keine Mühe, auch alle gleich zu fördern.
E gal welche Kulturinstitution man dieser Tage betritt, überall zerbrechen sie sich die Köpfe darüber, ein „neues Publikum“ zu erreichen, sich zu „öffnen“, die Diversität der Gesellschaft im eigenen Haus zu „spiegeln“. Häufig mündet das in einem Programmheft, in dem auch ein paar nichtweiße Künstler_innen angekündigt werden, und der (befristeten) Anstellung einer Person mit einem „anderen Background“. Dass der Kulturbetrieb sich im Grunde völlig neu erfinden müsste, damit er sich nicht immer nur an dasselbe bildungsbürgerliche Publikum richtet, checken wenige. Und das beginnt schon bei der Frage, welche Künstler_innen gefördert werden und welche nicht.
Hartnäckig hält sich etwa die Idee eines vielversprechenden Nachwuchsautors, der (es ist meistens ein „er“) unter 30 ist, ein abgeschlossenes Studium und etwas über das Leben zu erzählen hat. In erster Linie ist er aber natürlich viel talentierter als andere. Warum? Wurde ihm wohl in die Wiege gelegt. Schreiben als Zauberkraft quasi – was für eine kitschige Verklärung. Als sei das Schreiben in einer profitorientierten Welt nicht eine Frage von ungleich verteilten Privilegien. Will heißen: Man muss es sich schon leisten können, monate- und jahrelang an ein und demselben Text zu sitzen.
Glücklicherweise gibt es hierzulande einige Förderprogramme und Mittel, die Autor_innen bei ihrer sehr zeitaufwändigen Arbeit entlasten sollen. Leider spiegeln aber die Kriterien hierfür manchmal eine Dichotomie wider, die mehr mit Superhelden-Comics zu tun hat als mit einem realistischen Lebenslauf. So sorgte die Ausschreibung des mit 15.000 Euro dotierten Wortmeldungen-Förderpreises kürzlich für Staunen, weil nur Autor_innen teilnehmen dürfen, die nicht älter sind als 30 und bisher keine eigenständige Buchpublikation haben.
Da es gleichzeitig auch den Wortmeldungen Literaturpreis gibt, der keine Altersgrenze hat, aber sich nur an bereits publizierte Autor_innen richtet, stellte die ausrichtende Crespo Foundation ein Diagramm online, welches erklären soll, wer sich auf welchen der beiden Preise bewerben kann. Was die Grafik deutlich macht: Wer über 30 ist und noch nicht publiziert hat, ist keines Preises würdig.
Schon immer hat mich gewundert, dass es auch bei Residenz- und Stipendienprogrammen für Künstler_innen Altersbeschränkungen gibt, als könne man nur Künstler_in werden, wenn man als Teenager oft genug im Museum war und früh das Selbstbewusstsein hatte, sich Künstler_in zu nennen. Was jedoch beim Wortmeldungen Förderpreis zusätzlich beunruhigt, ist das Thema der Ausschreibung: Es sollen Prosatexte zu Flucht, Exil und Heimatlosigkeit eingereicht werden. Themen also, die, falls sie sich in die Biografien der Autor_innen eingeschrieben haben, mit Sicherheit zu Brüchen führten, zu einem Sprachwechsel, zu einem anderen Verhältnis zum Alter als jenes des durchschnittlichen Berufseinsteigers auf dem freien Markt.
Andernorts gibt es immerhin Bemühungen, „Vielfalt“ auch in abweichenden Lebensläufen zu denken. Die Kunststiftung Baden-Württemberg etwa, deren Altersgrenze für Förderungen bei 35 liegt, unterstützt in Ausnahmefällen auch 40-Jährige, sofern diese in Elternzeit oder länger krank waren. Wirklich progressiv wäre es jedoch, die Ausnahme zur Regel zu machen und Altersgrenzen ganz aufzulösen.
Neben Elternschaft und einer (diagnostizierten) Krankheit kann es tausend andere Gründe geben, weshalb ein Mensch erst spät zum Schreiben oder Publizieren kommt: finanzielle Not, Flucht, das Kümmern um andere Angehörige oder einfach nur, weil sich jemand erst mit 60 traut, eine Geschichte zu schreiben. Und wenn es etwas gibt, das tatsächlich eine Art Zauberkraft beim Schreiben entfaltet, dann ist das dieser Bruch im CV: Lebenserfahrung.
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