Flut und Klimakrise: Der Starkregen wird öfter kommen

Wieder wird nach dem Hochwasser in Süddeutschland diskutiert, wie viel Klimawandel in ihm steckt. Dabei sind die Fakten seit Jahrzehnten klar.

Ein Rettungsboot in einer überfluteten Straße.

Rettungsaktion der Wasserwacht am 1. Juni im bayrischen Babenhausen Foto: Stefan Puchner/dpa

Wo kam das viele ­Wasser her? „Verantwortlich war diesmal eine Fünf-B-­artige Wetterlage“, sagt Adrian Leyser, Meteorologe im Vorhersagezentrum des Deutschen Wetterdienstes DWD. „Fünf-B“ – in der Fachsprache Vb geschrieben, V wie die römische Fünf – beschreibt die Zugbahn eines Tiefdruckgebiets, das sich über dem Mittelmeer mit Flüssigkeit vollsaugt und dann über die Adria Richtung Mitteleuropa zieht.

„Vb-artig“ nennt es Leyser, weil der Regen diesmal scheinbar aus dem Norden kam, wie das Regenradar zeigte. „Tatsächlich glitt aber in der höheren Atmosphäre warme Luft aus dem Mittelmeerraum in den Norden“, sagt Leyser. Deshalb sei auch die Vb-Zugbahn nachweisbar, der Nordwind habe die Wolken zurück an die Alpen getrieben und die Niederschläge noch verstärkt.

Vb-Lagen sind gefürchtet, weil sie oft zu schweren Schäden führen: Die Oderflut 1997 wurde durch dieses Phänomen genauso ausgelöst wie die Elbeflut 2002, das schwere Hochwasser an Donau, Mulde und Elbe 2013 oder die Überschwemmung in Slowenien und Kärnten 2023. Nicht jede Vb-Wetterlage führt zu großflächigen Zerstörungen, 2010 traf es beispielsweise das Elbsandsteingebirge, 2014 fielen im westfälischen Münster 292 Liter Regen pro Qua­drat­meter in nur sieben Stunden. Diesmal regnete es am heftigsten im Landkreis Oberallgäu in Bayern, dort wurden 256 Liter pro Quadratmeter gemessen – allerdings in 72 Stunden.

Besonders Frühling und Herbst sind prädestiniert für die Ausbildung von Vb-Wetterlagen: Dann gibt es einen starken Austausch zwischen den warmen südlichen und kalten nördlichen Luftmassen. Tatsächlich aber kann die Zugbahn Vb im ganzen Jahr vorkommen und auch andere Wetterextreme als Überschwemmungen mit sich bringen: Im Februar 2012 führte eine solche Wetterlage beispielsweise zu einem extremen Kälteeinbruch mit Schnee bis nach Mallorca, 2016 war Ende April ein heftiger Wintereinbruch mit bis zu 30 Zentimeter Neuschnee und Spätfrost bis in den Mai in den Alpentälern die Folge.

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Große Zerstörungskraft

Nicht jedes Hochwasser wird hierzulande durch eine Vb-Wetterlage verursacht. Auch starkes Tauwetter kann ein Auslöser sein. Nach einem Temperatursprung im März 2006 stieg der Elbepegel in Dresden auf 7,49 Meter – das zweite Jahrhunderthochwasser binnen vier Jahren. Das Hochwasser an Ahr und Erft 2021 wurde durch eine sogenannte Trogwetterlage ausgelöst: einen ausgedehnter Bereich mit geringem Luftdruck, aber stark gesättigten Wolken. „Auch Tiefdruckgebiete aus Nordwesten können große Regenmengen zu uns bringen“, sagt Uwe Kirsche, Sprecher des DWD.

Zudem beschäftigen den Wetterdienst im Sommer Hitzegewitter, „kleinteilige lokale Ereignisse, die aber eine große Zerstörungskraft entwickeln können“. Kirsche erinnert an Simbach in Niederbayern: Im Juni 2016 wurden Autos gegen Wände geschleudert, Straßen und Brücken weggerissen, ganze Haushalte verschüttet – von einem tausendjährigen Hochwasser war die Rede, nach einem Sommergewitter.

Ob es tatsächlich eine Häufung von Starkregenereignissen in den letzten Jahrzehnten gab, kann der Deutsche Wetterdienst wissenschaftlich fundiert nicht sagen: Im Jahr 2001 stellte er seine Regenmessmethode um. Waren bis dahin einfache Messröhrchen an den über 2.000 Messpunkten des DWD im Einsatz, so kamen nun 17 Radarstationen hinzu, die während des Kalten Kriegs feindliche Kampfjets aufspüren sollten, jetzt aber den Regen überwachen. „Dank der Radaranlagen können wir Starkregenereignisse wesentlich zuverlässiger erfassen“, sagt Andreas Becker, Niederschlagsexperte beim DWD. Und jedem Internetnutzer ermöglichen, per Wetter-Apps übers Land ziehende Regenfronten zu verfolgen.

In der Klimaforschung werden mindestens 30-Jahres-Zeiträume betrachtet, um wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen zu können. Die Radare aber arbeiten erst seit 23 Jahren für den DWD. Doch Tendenzen lassen sich bereits erkennen, sagt Andreas Becker: „Selbst wenn wir extreme Jahre wie 2006, 2014 und 2018 herausrechnen, sehen wir, dass die Zahl der Starkregen­ereignisse seit Beginn der Radarmessungen zugenommen hat.“ Während der Wetterdienst Anfang der 2000er Jahre 500 bis 700 Stark­regen jährlich registrierte, stieg die Zahl jetzt auf mehr als 1.000 pro Jahr – besonders viele davon in den Sommermonaten. Becker sagt: „Damit bestätigen die Messergebnisse in der Tendenz, was unsere Klimamodelle vorhersagen.“

Wärmstes Frühjahr ever

„Eine wärmer werdende Atmosphäre kann mehr Niederschlag aufnehmen“, sagt Meteorologe Adrian Leyser. Zu gut Deutsch: Der Klimawandel führt zu heftigeren Regenfällen, die heftigere Zerstörungen nach sich ziehen. In der Physik ist dieses Prinzip seit 1834 beschrieben, die Clausius-Clapeyron-Gleichung besagt, dass wärmere Luft mehr Wasserdampf speichern kann. Nach der Flut in Rheinland-Pfalz und im Saarland zu Pfingsten und den Überschwemmungen nun in Süddeutschland sind die Daten des DWD deshalb wenig überraschend: Dieses Frühjahr war das wärmste je gemessene in Deutschland. Die Temperatur lag 3,1 Grad über der Referenzperiode 1961 bis 1990.

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