Flugpost, RKI-Files, Feiertage: Ostern ohne Verschwörungen, bitte
Diese Woche machte unsere Autorin mehrere Abschiede durch. Doch nicht alle davon sind schmerzhaft. Der Flugpost trauert sie zum Beispiel nicht hinterher.
V on manchen Dingen erfährt man erst, wenn es sie schon nicht mehr gibt. Donnerstag habe ich gelesen, dass die Zeit der innerdeutschen Luftpost vorbei ist. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hat offenbar das letzte Post-Flugzeug abgehoben. Zum Wohle des Klimaschutzes. Merken wird den Verlust vermutlich kaum jemand – zwar wurden jede Nacht 1,5 Millionen Briefe von sechs Maschinen durchs Land geflogen, das waren aber lediglich drei Prozent der gesamten Korrespondenz, die die Post täglich im Inland transportiert.
Auch mit der Voice of Europe – der Stimme Europas – ist es schon wieder vorbei. Das Internetportal, das sich als seriöse Nachrichtenquelle präsentieren wollte, ist offline. Der tschechische Geheimdienst BIS – von dem ich auch noch nie gehört hatte, der aber vermutlich weiter agieren wird – hat es als russische Trollfabrik enttarnt, die Einfluss auf die Europawahlen nehmen sollte. Als Medium war mir Voice of Europe nie begegnet. Aber nicht nur Tschechien hielt es für eine Gefahr für die Sicherheit seines Landes. Mehrere europäische Geheimdienste waren an der Operation beteiligt.
Über das Portal soll nicht nur prorussische und antiukrainische Propaganda verbreitet worden sein. Es soll auch zur verdeckten Finanzierung von Europawahl-Kandidat*innen aus Deutschland, Frankreich, Polen, Belgien, den Niederlanden und Ungarn gedient haben.
Mehrere Politiker*innen der AfD haben dem Portal offenbar Interviews gegeben, darunter Maximilian Krah und Petr Bystron, Nummer eins und zwei der Europawahlliste ihrer Partei. Beide bestritten gegenüber dem Spiegel, Zuwendungen von Voice of Europe bekommen zu haben. Es wäre vermutlich auch herausgeschmissenes Geld – beide sind seit Langem für ihre Russlandnähe bekannt.
Trollfabrik
Pressevielfalt ist ein hohes Gut. Dass das Troll-Portal Voice of Europe jetzt down ist, ist aber kein Verlust. Unseriöse Webportale, die faktenlose Texte verbreiten, gibt es schon genug. Allein in Deutschland tummeln sich so einige Onlineportale im rechten Sumpf, die sich „Alternativmedien“ nennen und die den meisten Menschen zu Recht vollkommen unbekannt sind. Die taz hat kürzlich einige der größeren Medien näher beleuchtet.
Diese Woche machte das verschwörungsideologische Portal multipolar von sich reden – wobei einige seriöse Medien den Namen des Blogs einfach mal gar nicht nannten. Nach einem Rechtsstreit mit multipolar musste das Robert-Koch-Institut (RKI) die Protokolle des Corona-Krisenstabs der Jahre 2020 und 2021 herausgeben.
Das Onlinemagazin versuchte daraufhin vor allem über die Schwärzungen, einen Skandal zu stricken. Es spekulierte, Externe, vielleicht sogar Mitglieder der Regierung hätten das RKI im März 2020 angewiesen, die Risikobewertung des Coronavirus von „mäßig“ auf „hoch“ zu setzen. Das sollte beweisen, dass es keine wissenschaftliche, sondern eine politische Entscheidung gewesen sei. Das RKI wies das zurück. Bei einem entscheidenden geschwärzten Namen handele es sich um einen Mitarbeiter des Instituts.
multipolar ist übrigens immer noch online. Und hält seine in den vergangenen Jahren mal mit mehr, mal mit weniger Fakten vorgetragene Kritik an den Coronamaßnahmen nun für bestätigt.
Auf Verschwörungsplattformen versenken
Allein deshalb ist es gut, wenn die Debatte um die veröffentlichten RKI-Protokolle eine kritische Bilanz der Pandemiejahre anstößt: um mit Seriosität und Fakten auf das Agieren von Regierung und staatlichen Einrichtungen während der Coronazeit zu schauen. Dass der Impfstoff von einer Politiker-Elite nur verabreicht wurde, um sich das Volk gefügig zu machen, wird man dabei sicherlich nicht aufdecken. Solche Behauptungen gehören weiterhin auf kaum bekannten verschwörungsideologischen Portalen versenkt.
Vielleicht werden ja noch mehr von ihnen als von Russland finanziert enttarnt, geraten kurz in die Schlagzeilen und verschwinden dann aus dem Netz. Zu Ostern darf man sich auch einfach mal etwas wünschen.
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