Flüssige Luft für die Energiewende: Außergewöhnlicher Stromspeicher
In Großbritannien entsteht eine riesige Batterie auf Basis von flüssiger Luft. In Deutschland liegt die Arbeit an der Technologie brach.
![Große Solarpaneele auf einer Wiese, im Hintergrund drei Windräder Große Solarpaneele auf einer Wiese, im Hintergrund drei Windräder](https://taz.de/picture/4563352/14/Solarenergie-energiewende-1.jpeg)
Bei diesem Verfahren wird der Strom genutzt, um Luft zu komprimieren und auf minus 190 Grad Celsius abzukühlen. So wird die Luft flüssig und kann bei niedrigem Druck in einem Tank gelagert werden – mit der 700-fachen Dichte der Umgebungsluft. Braucht man später Strom, wird die flüssige Luft wieder erwärmt, sie verdampft und treibt mit ihrem Druck eine Turbine und diese einen Generator. Das Verfahren wird LAES (Liquid Air Energy Storage) genannt.
Im Norden Englands auf dem Gelände eines ehemaligen thermischen Kraftwerks baut das britische Unternehmen Highview Power nun den weltweit größten Flüssigluftspeicher, gefördert durch die britische Regierung mit 10 Millionen Pfund. Er soll eine Leistung von 50 Megawatt erreichen und eine Kapazität von 250 Megawattstunden. In zwei Jahren soll die Anlage betriebsbereit sein. Seit 2018 bereits betreibt Highview Power eine entsprechende Demonstrationsanlage mit 5 Megawatt in der Nähe von Manchester.
Während Großbritannien das Konzept nun mit Forschungsgeld vorantreibt, hat sich in Deutschland die Kältetechnikfirma Linde aus der Technologie zurückgezogen. Auf Nachfrage lässt sie wissen, dass das Thema im Unternehmen „derzeit nicht weiterverfolgt“ werde, man sei aktuell an keinem Projekt mehr beteiligt. Einst hatte das noch ganz anders geklungen. Auf seiner offenbar nicht mehr aktuellen Internetseite bewertet Linde die Technik LAES noch als „eine wettbewerbsfähige Speicheralternative bei Anwendungen ab 50 Megawatt Leistung und für Speicherzeiten von 2 bis 20 Stunden“.
Auch heiße Luft?
War das nicht nur flüssige, sondern auch heiße Luft? André Thess, Leiter des Instituts für Technische Thermodynamik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart, hebt zwar die hohe Zyklenzahl hervor, die Speicher dieser Art erreichen, während eine Batterie zum Beispiel nach mehreren Tausend Ladezyklen an Kapazität verliert.
Doch das Verfahren, auch kryogener Energiespeicher genannt, ist nicht gerade effizient: „Die Thermodynamik setzt die Grenzen“, sagt Thess. So werde man auch in Zukunft bestenfalls rund 40 Prozent des eingesetzten Stroms wieder zurückbekommen. Heute liege man in der Praxis noch darunter, bei etwa 25 Prozent. Zum Vergleich: Batterien erreichen je nach Typ Werte von 70 bis 95 Prozent.
Hinzu kommt: Flüssige Luft speichert Strom nur für Stunden oder Tage. Damit kann man zwar den Strom aus der Morgensonne in den Abend bringen, nicht aber den vom Sommer in den Winter. Während der Speicherung geht fortwährend Energie verloren. Auf 5 bis 15 Prozent pro Monat beziffert der Bundesverband Energiespeicher die Verluste.
Dafür braucht die flüssige Luft aber – anders als Lithium-Ionen-Batterien – keine seltenen Rohstoffe. Grundsätzlich ist LAES daher durchaus eine Option in der Vielfalt der Speicherideen, die neben Pumpspeichern, Batterien oder Wasserstoff allenthalben entwickelt werden. Zumal diese Technik „einen geringen Volumenbedarf“ habe, wie Alexa Velten, Speicherexpertin bei der Energieagentur NRW, betont. Und dennoch werde der Flüssigluftspeicher in Deutschland wohl ein Randthema bleiben, vermutet die Wissenschaftlerin – schlicht, weil das Verfahren aus heutiger Perspektive nicht wirtschaftlich ist.
An der Uni Bochum lief unter dem Namen „Kryolens“ ein Forschungsprojekt, das LAES auch ökonomisch analysierte. Der Abschlussbericht wurde im September fertiggestellt. Die Untersuchungen ergaben, dass eine Rentabilität „bei gegebenen Strommarktpreisen und Investitionen nicht erzielt werden kann“.
Energiewende verschleppt
Dieses Problem ist allerdings auch hausgemacht – und betrifft längst nicht nur die flüssige Luft. Viele Stromspeicher sind bei den aktuellen Verhältnissen am Energiemarkt unwirtschaftlich. Ein Speicher finanziert sich dadurch, dass er billigen Strom aufnimmt und ihn in Zeiten der Knappheit wieder abgibt, wenn Strom teurer ist.
Doch Stunden knappen Stromangebots – was sich in entsprechend hohen Preisen am Spotmarkt ausdrückt – gibt es derzeit praktisch nicht. Das liegt auch daran, dass Deutschland im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien lange kaum fossile Kraftwerke abgeschaltet hat. Die Preisunterschiede an der Strombörse zu Zeiten des Überschusses und zu Zeiten des Strommangels sind zu gering, als dass Speicher damit rentabel zu betreiben wären – erst recht bei Technologien, die noch großen Entwicklungsbedarf haben.
Es ist das Paradoxon der Energiewirtschaft: Alle reden von der Notwendigkeit von Stromspeichern – und der Markt signalisiert zugleich, dass sie aktuell gar nicht gebraucht werden. Das allerdings dürfte sich ändern, wenn in großem Stil fossile Kraftwerke vom Markt gehen.
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