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Flüchtlingspolitik der EUGrenzen dicht, schnelle Abschiebung

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die EU-Kommission will mit einem Sondermechanismus Lettland, Litauen und Polen Schnellverfahren erlauben. Doch den Osteuropäern reicht das nicht.

Ein Geflüchteter aus Syrien wird am 1. Dezember von einem polnischen Grenzbeamten abgeführt Foto: Michal Kosci/ap

D ie Genfer Flüchtlingskonvention wird 70 Jahre alt. Zum „Geburtstag liefert die EU einen Sarg“, schrieb am Mittwoch der Jurist Maximilian Pichl. Ein Sargnagel war es allemal. Pichl spielte auf einen Sondermechanismus an, den die EU-Kommission präsentiert hatte.

Er erlaubt Lettland, Litauen und Polen, Asylschnellverfahren direkt an der Grenze durchführen und Asylsuchende dafür – bei gekürzter Versorgung – bis zu 16 Wochen zu internieren. Wessen Antrag abgelehnt wird, den dürfen sie „vereinfacht und schneller“ abschieben. Grund sei eine „Notlage“ der drei Staaten durch die Flüchtlingsankünfte aus Belarus.

Notlage? Die drei Länder haben in der Vergangenheit praktisch überhaupt keine Flüchtlinge aufgenommen. Wie viele zuletzt in Polen ankamen, hat die Regierung nicht veröffentlicht. Die Zahl dürfte sich im vierstelligen Bereich bewegen. Gleichwohl hat Polen so getan, als sei das Land durch die Flüchtlinge aus Belarus einer kriegsartigen Gefahr ausgesetzt – und die EU hat dazu kräftig genickt.

Statt das teils tödliche Vorgehen Polens an der Grenze zu kritisieren, spendiert die Kommission nun auch noch Sonderrechte. Bei dem angekündigten Sondermechanismus soll es indes nicht bleiben. Am kommenden Mittwoch wird die Kommission zwei Reformen der Schengen-Vorschriften vorlegen. Die sollen Möglichkeiten schaffen, künftigen Fällen „einer politischen Instrumentalisierung von Migranten zu begegnen“.

Null-Flüchtlings-Linie der Osteuropäer

Alle 27 EU-Staaten sollen künftig die Rechte von Flüchtlingen noch weiter einschränken dürfen, wenn eine Fluchtroute geöffnet wird, um der EU zu schaden – wie es zuletzt der belarussische Präsident Lukaschenko oder 2020 der türkische Präsident Erdoğan taten. Der Begriff „Instrumentalisierung“ wird dabei bewusst dehnbar gehalten worden sein.

Anders als man denken könnte, ist Polen mit den aus Brüssel angedachten Verschärfungen keineswegs glücklich. Den speziell für den Konflikt mit Belarus gedachten Sondermechanismus wies es als „kontraproduktiv“ zurück, weil darin weiter die Prüfung von Asylanträgen vorgesehen ist. Asylverfahren müssten stattdessen gänzlich eingestellt werden, sagte Polens EU-Botschafter.

Deshalb blockieren die Visegrád-Staaten die Verhandlungen über den großen EU-Pakt zur Reform des Asylwesens insgesamt. Auch der Pakt setzt unter anderem auf Schnellverfahren.

Die Visegrád-Staaten aber wollen rundheraus gar keine Asylsuchenden mehr. Der Kommission fällt da auf die Füße, dass sie – anders als beim Rechtsstaatlichkeitsstreit mit Polen – die offensive Null-Flüchtlings-Linie der Osteuropäer als „gleichwertiges Interesse“ geschluckt hat. Bleibt es dabei, wird die Genfer Konvention am Ende wirklich zu Grabe getragen.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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12 Kommentare

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  • In Deutschland bedeutet Asylprüfung in



    90%, dauerhafte Duldung, auch für abgelehnte Asylbewerber.



    Damit wird das Asylrecht ausgehöhlt und ad absurdum geführt.

  • Wenn behauptet wird Polen habe keine Geflüchtete aufgenommen, werden die 2 Millionen Ukrainer die derzeit in Polen leben geflissentlich übersehen. Der Vorwurf ist sowieso nur konstruiert da die Geflüchteten selbst ja gar kein Asyl in diesen Ländern suchen. Für alle genannten Länder gab es 2020 insgesamt weniger als 2000 Anträge auf Asyl die überhaupt gestellt wurden. Deutschland kann sowohl die Lage der Geflüchteten wie die Situation unserer europäischen Nachbarn verbessern, indem wir endlich direkte Flugrouten nach Berlin einrichten, statt einen Fußmarsch durch das winterliche Polen zu erzwingen.

    • @Šarru-kīnu:

      Die Ukrainer sind benötigte Arbeitskräfte und keine Asylanten



      Sie beanspruchen keine Sozialleistungen

  • Das ist alles nur Nationalismus und Rassismus. Der Sondermechanismus ist Neusprech von U.vderLeyen.



    Sie könnte einfach das Gegenteil verordnen. Polen bekommt ein Vertragsverfahren wegen seiner Braunkohle.

  • In Bezug auf das mörderische Vorgehen an ihren Außengrenzen wird die EU immer mehr zum Unrechtsregime.

  • Von der neuen Bundesregierung erwarte ich:



    Sichere Fluchtrouten nach Deutschland



    Auflösung der Elendslager an den Grenzen und sicheren Transit nach Deutschland



    unbürokratische Einwanderungsverfahren mit Bleiberecht auf Dauer



    Abstrafung von Staaten wie Polen, die EU Recht brechen



    Keine Zurückweisung an den Grenzen und EU Aussengrenzen



    Auflösung der Heime und Lager in Deutschland und Bereitstellung von angemessenem Wohnraum insbesondere für Familien.



    ASYL für alle Klimagefluüchteten

    • @V M:

      Nicht realistisch!



      Z.B. Berlin hat k e i n e Wohnungen, Kitas und zu wenige Lehrer.

    • @V M:

      Haben Sie auch eine Idee, wie sich das alles finanzieren lassen soll? 60% der seit 2015 zugewanderten Asylbewerber leben noch von Sozialhilfe - wie viele wollen Sie aufnehmen bevor der Sozialstaat zusammenbricht?



      Und wie soll angemessener Wohnraum zur Verfügung gestellt werden, wenn schon viele gutverdienende Deutsche keine bezahlbare Wohnung finden? Soclhe Forderungen sind wohlfeil, wenn es keinerlei Ideen dazu gibt, wer das alles bezahlen soll.

      • @Holger Steinebach:

        Zunächst mal ist der Anspruch auf Asyl ein Grundrecht und ist damit zu garantieren. Wozu es führt die Ausübung von Grundrechten unter Finanzierungsvorbehalt zu stellen möchte ich mir lieber nicht nicht ausmalen.



        Weiter wäre zu fragen woran es denn bei der Arbeitsmarktintegration hakt und dabei käme man dann schnell darauf, dass es da vor Allem um Dinge wie die Anerkennung ausländischer Schul- und Berufsabschlüsse geht oder darum in ausreichendem Maße (Weiter-)Bildungsangebote bereitzustellen.

  • Danke für diesen Kommentar! Statt Aufweichung des ohnehin schon arg beschnittenen Asylrechts, muss die EU-Kommission endlich klare Haltung zum internationalem Recht und den Menschenrechten einnehmen, statt dem eklatanten Rechtsbruch an den eigenen Außengrenzen auch noch mit "Verständnis" Vorschub zu leisten. Nun werden auch in Polen (wie schon seit Jahren etwa in Griechenland oder Kroatien) illegale Push-Backs wohlwollend "geduldet", statt jeden dokumentierten Rechtsbruch bei dem Geflüchtete von EU-Boden oft auch noch mit brutaler Gewalt (Zusatz Straftat: Folteranwendung durch EU Grenzangehörige!) zur Anzeige und Anklage zu bringen. Auch muss ein neuer Umgang mit der Rechtslücke gefunden werden, die Geflüchteten erst Schutz garantiert, wenn sie sicheren Boden, wie z.B. die EU erreicht haben. Diese Rechtslücke ermunterte die gesamte EU schon vor Jahrzehnten dazu, das Mittelmeer und die Landgrenzen dicht zu machen, jede reguläre Einreise für Geflüchtete zu verbieten und Geflüchtete die mangels Alternativen mit kriminellen Geschäftemachern Grenzen überwinden anschließend auch noch kriminalisieren (und zivilgesellschaftliche Lebensretter gleich mit). Gerade in Deutschland sollte man sich gefälligst daran erinnern, dass die Genfer Konventionen (weltweite Zustimmung) und das eigene Asylrecht zustande kamen, nachdem die Nazis den Krieg verloren und all ihre Gräueltaten zu Tage kamen. Dabei erfuhr die Welt auch, dass viele Menschen hätten gerettet werden können, wenn die Nachbarländer nicht die Grenzen dicht gemacht hätten und Menschen, die vor Folter und dem sicheren Tod flohen allein auf illegale kommerzielle Schmuggler angewiesen gewesen wären. Die EU ist nicht verantwortlich für die Fluchtgründe die aktuell die größte Fluchtbewegung seit Ende des 2. Weltkriegs verursachen, aber für die Toten an ihren Grenzen definitiv! Jahr um Jahr ist die EU Grenze erneut die tödlichste Grenze der Welt. Nirgendwo sonst sterben mehr Menschen auf dem Fluchtweg.

    • @Nina Janovich:

      Das Grundproblem ist doch die Praxis europäischer Länder, Asylverfahren bei Grenzübertritt zu ermöglichen.

      Ein solches Hilfsangebot an alle Menschen weltweit zu senden, müßte zwingend den sicheren Zugang beeinhalten.

      Wer feststellt, dass bei der Inanspruchnahme seines Hilfsangebotes tausendfaches Leid entsteht, muß es überdenken.

  • Es geht hier weniger um die Menschen, die sich für 8000 Euro ein Flugticket von Dubai nach Belarus gekauft haben. Es geht hier um den Kampf gegen das Lukaschenko-Regime! Falls er damit durchkommt, hat er gewonnen und wird weiter Menschen in Lebensgefahr an die Grenze knüppeln.