Flüchtlingspolitik der EU: Grenzen dicht, schnelle Abschiebung
Die EU-Kommission will mit einem Sondermechanismus Lettland, Litauen und Polen Schnellverfahren erlauben. Doch den Osteuropäern reicht das nicht.
D ie Genfer Flüchtlingskonvention wird 70 Jahre alt. Zum „Geburtstag liefert die EU einen Sarg“, schrieb am Mittwoch der Jurist Maximilian Pichl. Ein Sargnagel war es allemal. Pichl spielte auf einen Sondermechanismus an, den die EU-Kommission präsentiert hatte.
Er erlaubt Lettland, Litauen und Polen, Asylschnellverfahren direkt an der Grenze durchführen und Asylsuchende dafür – bei gekürzter Versorgung – bis zu 16 Wochen zu internieren. Wessen Antrag abgelehnt wird, den dürfen sie „vereinfacht und schneller“ abschieben. Grund sei eine „Notlage“ der drei Staaten durch die Flüchtlingsankünfte aus Belarus.
Notlage? Die drei Länder haben in der Vergangenheit praktisch überhaupt keine Flüchtlinge aufgenommen. Wie viele zuletzt in Polen ankamen, hat die Regierung nicht veröffentlicht. Die Zahl dürfte sich im vierstelligen Bereich bewegen. Gleichwohl hat Polen so getan, als sei das Land durch die Flüchtlinge aus Belarus einer kriegsartigen Gefahr ausgesetzt – und die EU hat dazu kräftig genickt.
Statt das teils tödliche Vorgehen Polens an der Grenze zu kritisieren, spendiert die Kommission nun auch noch Sonderrechte. Bei dem angekündigten Sondermechanismus soll es indes nicht bleiben. Am kommenden Mittwoch wird die Kommission zwei Reformen der Schengen-Vorschriften vorlegen. Die sollen Möglichkeiten schaffen, künftigen Fällen „einer politischen Instrumentalisierung von Migranten zu begegnen“.
Null-Flüchtlings-Linie der Osteuropäer
Alle 27 EU-Staaten sollen künftig die Rechte von Flüchtlingen noch weiter einschränken dürfen, wenn eine Fluchtroute geöffnet wird, um der EU zu schaden – wie es zuletzt der belarussische Präsident Lukaschenko oder 2020 der türkische Präsident Erdoğan taten. Der Begriff „Instrumentalisierung“ wird dabei bewusst dehnbar gehalten worden sein.
Anders als man denken könnte, ist Polen mit den aus Brüssel angedachten Verschärfungen keineswegs glücklich. Den speziell für den Konflikt mit Belarus gedachten Sondermechanismus wies es als „kontraproduktiv“ zurück, weil darin weiter die Prüfung von Asylanträgen vorgesehen ist. Asylverfahren müssten stattdessen gänzlich eingestellt werden, sagte Polens EU-Botschafter.
Deshalb blockieren die Visegrád-Staaten die Verhandlungen über den großen EU-Pakt zur Reform des Asylwesens insgesamt. Auch der Pakt setzt unter anderem auf Schnellverfahren.
Die Visegrád-Staaten aber wollen rundheraus gar keine Asylsuchenden mehr. Der Kommission fällt da auf die Füße, dass sie – anders als beim Rechtsstaatlichkeitsstreit mit Polen – die offensive Null-Flüchtlings-Linie der Osteuropäer als „gleichwertiges Interesse“ geschluckt hat. Bleibt es dabei, wird die Genfer Konvention am Ende wirklich zu Grabe getragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
G20-Gipfel in Brasilien
Milei will mit Kapitalismus aus der Armut
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört