Flüchtlingskonferenz in Hamburg: „Wir alle sind Menschen“
Auf Kampnagel hat eine Konferenz mit über 1.000 Flüchtlingen begonnen. Ein Ziel ist erreicht: Gruppen zu vernetzen und sich nicht bevormunden zu lassen.
MigrantInnen, AktivistInnen, Flüchtlinge. Aus Hamburg, Berlin, Hannover, aus Italien, Frankreich und Holland. Bis Sonntag wollen sie über ihre verschiedenen politischen Anliegen sprechen, über die Lage an den EU-Außengrenzen, in den Herkunftsländern und über die neuen Asylrechtsverschärfungen. Es ist eine der größten Zusammenkünfte, die Geflüchtete selbst organisiert haben - und auf denen sie vor allem selbst zu Wort kommen.
Im Foyer stehen viele kleine Gruppen und diskutieren. Es gibt eine Video-Übertragung, in einem weiteren Raum Essen von einer Volksküche. Auch für Kinderbetreuung ist gesorgt: Die angrenzende Kita in der Jarrestraße hat dafür extra ihre Räume zur Verfügung gestellt. Ab Samstag startet eine „Legal Clinic“, bei der Anwälte individuelle Rechtsbetreuunug anbieten.
„Schon jetzt ist eines unserer Ziele erreicht, indem wir viele verschiedene Gruppen vernetzt und zusammengebracht haben“, sagt Ali Ahmet, ein Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ zur taz. „Mit der Konferenz zeigen wir einmal mehr, was wir unabhängig vom Staat alleine schaffen können: All das hier ist selbstorganisiert und selbst bezahlt.“
Selbstorganisation als Selbstermächtigung
Weil in den Wochen vor der Konferenz immer mehr Menschen ihre Teilnahme zusagten, wurde die Schlafplätze knapp. In den letzten sieben Tage schuf das „Raumlabor Berlin“ spontan eine Schlafinstallation auf dem Gelände: Kleine hölzerne Kabinen mit Vorhängen bilden zusammen ein kleines Dorf, in dem knapp 100 Menschen schlafen können.
Auf dem Eröffnungspodium sitzen acht AktivistInnen der Lampedusa-Gruppe. Hinter ihnen läuft eine Dia-Show mit den Höhepunkten ihres Protests in den vergangenen drei Jahren. Die steile Zuschauertribüne ist fast komplett besetzt. Manche haben Kopfhörer im Ohr: Simultan wird in sieben Sprachen übersetzt, darunter Farsi, Romanes oder Tigrinya, sowie zusätzlich in internationale Gebärden.
„Es ist einer unserer größten Erfolge, uns selbst organisiert zu haben“, sagt Abimbola Odugbesan auf dem Podium. Die Lampedusa-AktivistInnen hätte mittlerweile Ausbildungen angefangen, seien an der Universität. Ob die Gesetze ihnen einen legalen oder einen illegalen Status zuschrieben: „Wir alle sind Menschen“, sagt er.
Illegal, legal, „geduldet“ oder mit sicherem Aufenthaltstitel: Auch die rechtlichen Grundlagen der an der Konferenz Teilnehmenden sind sehr unterschiedlich. Ein Palästinenser aus Syrien erzählt, er sei auch aus Solidarität hierher gekommen. Er selbst kenne Menschen, die nicht einmal eine Duldung hätten. Seit 14 Monaten ist er in Deutschland und spricht schon fast fließend deutsch. Er ist als politischer Flüchtling anerkannt – und hat somit einen vergleichsweise sicheren Aufenthaltsstatus.
Gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge
Anders ergeht es den Roma, die aus Serbien oder Mazedonien nach Deutschland geflohen sind. „Täglich werden Familien abgeschoben“, sagt Kenan Emini vom Roma Center Göttingen. Sein Film „The Awakening“ über die Situation abgeschobener Roma wird am Samstag gezeigt. „Wir sind hier, um zu Wort zu kommen“, sagt er. Dass Roma-Aktivistinnen und andere Flüchtlingsgruppen sich zusammentun, komme noch zu wenig und zu selten vor. „Die Einteilung in gute und schlechte Flüchtlinge, die der Staat vorantreibt, wirkt leider sehr stark“, sagt er. Er kritisiert die aktuellen Verschärfungen des Asylpakets II, das die Schaffung spezieller „Aufnahmezentren“ umfasst. „Sollen jetzt in Deutschland überall wieder Lager entstehen?“, fragt Emini. Dagegen müsse man sich wehren.
Die Lampedusa-Aktivistin LaToya Manly-Spain, die am Freitag auch auf dem Podium sitzt, berichtet von den besonderen Schwierigkeiten der Flüchtlinge, die überhaupt keine Papiere haben. Es gebe viele afrikanische Familien, die ohne Dokumente in Hamburg lebten. Zwar könnten die Kinder auch ohne Papiere zu Schule gehen, oftmals müssten aber beide Elternteile arbeiten, um die Familie durchzubringen, die Erziehung würde dann vom ältesten Kind übernommen. „Die Situation ist schrecklich“, sagt sie.
Solche konkreten Themen und Probleme sollen bis Sonntag in fünf großen Panels und über 30 Workshops bearbeitet werden. Insgesamt erwarten die Organisatoren bis zu 2.000 Teilnehmerinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind