piwik no script img

Flüchtlingsheim in BurbachEingesperrt und gedemütigt

Monatelang sollen Wachleute BewohnerInnen eines Flüchtlingsheims gequält haben. Nun beginnt der Mammutprozess in Siegen.

Sicherheitskräfte auf dem Gelände in Burbach (Archivbild) Foto: dpa

Berlin taz | Das Video ist nicht lang, 15 Sekunden nur. Doch das reichte. Am 26. September 2014 ging der Clip bei der Polizei im nordrhein-westfälischen Hagen ein. Darauf zu sehen ist ein Mann, er sitzt neben Erbrochenem auf einer Matratze, unter Androhung von Schlägen wird er gezwungen, sich hinzulegen. Eine andere Szene zeigt zwei uniformierte Sicherheitsmänner, einer der beiden stellt einem etwa 20 Jahre alten Algerier seinen Fuß in den Nacken. „Bilder, die man sonst nur aus Guantanamo kennt“, sagte der Hagener Polizeipräsident Frank Richter damals. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von „widerwärtigen Taten“.

Es gibt mehrere solcher Videos. Sie stammen aus der ehemaligen Siegerlandkaserne in der Kleinstadt Burbach, auf halber Strecke zwischen Dortmund und Frankfurt. Die wurde seinerzeit als Flüchtlingsheim genutzt, betrieben von dem Konzern European Homecare (EHC) aus Essen, lange Zeit der Marktführer bei Flüchtlingsunterkünften. Das Unternehmen wiederum hatte die Nürnberger Sicherheitsfima SKI mit der Bewachung des Burbacher Heimes beauftragt.

700 Flüchtlinge waren dort untergebracht, als die Videos entstanden. Nachdem die Clips der Polizei zugeschickt worden waren, vernahm diese Hunderte der BewohnerInnen und sie durchsuchte Wohnungen der Wachleute. Dort fand sie verbotene Waffen, etwa Schlagstöcke – und weitere belastende Videos.

Einer der Wachleute berichtete daraufhin der Lokalpresse, es habe in dem Heim ein „Problemzimmer“ gegeben, in das „randalierende Heimbewohner eingesperrt“ wurden. Der Raum sei von SozialarbeiterInnen mit Wissen und Billigung der Heimleitung eingerichtet worden. Einige seiner Kollegen hätten einen „deutlich erkennbaren rechten Hintergrund“.

Das Land Nordrhein-Westfalen kündigte den Vertrag mit European Homecare kurz nach Bekanntwerden der Bilder, das Rote Kreuz übernahm die Leitung. Die Ermittlungen der Justiz ergaben immer neue erschütternde Details über systematische, schwere Misshandlungen der Asylsuchenden durch die SKI-Wachmänner – in Burbach, aber auch in anderen Heimen, die EHC in Nordrhein-Westfalen betrieb.

Anklage gegen 32 Personen


Ab zehn Uhr am Donnerstag verhandelt nun das Landgericht Siegen die Vorfälle in Burbach. Von einem „Folterprozess“ ist in Medien die Rede, ein Mammutprozess wird es auf jeden Fall. 34.000 Aktenseiten hat die Justiz gesammelt, gegen 32 Personen hat sie Anklage erhoben.

Insgesamt 28 Wachleuten und MitarbeiterInnen von European Homecare wird unter anderen vorsätzliche gefährliche Körperverletzung, Nötigungen, Diebstähle und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Unter anderem sollen sie BewohnerInnen bei Verstößen gegen die Hausordnung – etwa Rauchen auf den Zimmern – teils für mehrere Tage in die „Problemzimmer“ gesperrt haben. Insgesamt geht es um 54 Fälle von Ende 2013 bis September 2014. Die meisten Straftaten sollen die MitarbeiterInnen zusammen mit der Heimleitung und der Teamleitung der SozialbetreuerInnen gemeinsam verübt haben.

Motiv für die Misshandlungen war laut Staatsanwaltschaft, die Zahl der Meldungen von Zwischenfällen in der Unterkunft an Polizei- und Ordnungsbehörden niedrig zu halten und den Ruf der Einrichtung so nicht zu gefährden.

Außerdem stehen zwei Mitarbeiter der Bezirksregierung Arnsberg vor Gericht. Diese sollen von den „Problemzimmern“ gewusst haben. Gegen zwei weitere Angeklagte, die kurzfristig erkrankt sind, wird zu einem späteren Zeitpunkt verhandelt.

Doch auch für die Verbleibenden ist das Gerichtsgebäude in Siegen zu klein. Das Verfahren musste in das Kongresszentrum Siegerlandhalle verlegt werden. Bis Mai 2019 sind Prozesstermine angesetzt, wahrscheinlich wird es wesentlich länger dauern.

Die Staatsanwaltschaft Siegen hatte den Angeklagten nach einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers einen Deal angeboten. Am 20. November 2017 trafen sich demnach alle Prozessbeteiligten zu einem Vorgespräch. Der zuständige Oberstaatsanwalt habe den Verteidigern ein Angebot gemacht: Für den Fall eines Geständnisses habe der Ankläger angeboten, die Fälle gegen eine Geldstrafe oder im Höchstfall gegen Bewährungsstrafen zu den Akten zu legen, sagte der Hagener Rechtsanwalt Ihsan Tanyolu, der einen der Angeklagten vertritt. Bis auf sechs Angeklagte hätte alle die aus prozessökonomischen Gründen erfolgte Offerte abgelehnt. Die sechs Geständigen werden sich in einem zweiten Prozess ab Januar 2019 verantworten müssen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 9G
    91381 (Profil gelöscht)

    Ich sehe bei diesen Vorfällen eher eine Hilflosigkeit der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes (SiDi) und der Heimleitung, mit der übernommenen Aufgabe fertig zu werden sowie einen Mangel an geeignet einsetzbaren Sanktionsmöglichkeiten. Praktisch gesprochen, hatte der Sicherheitsdienst eine unlösbare Aufgabe.



    Es sollte nicht zu vergessen werden - bei einer solchen Überforderung gehören meist zwei dazu.

    Dies soll in keiner Weise die abscheulichen Taten rechtfertigen – aber ich lese im Artikel keine sachliche Analyse, wie es dazu kommen konnte und was hätte gemacht werden müsste, um dies zu vermeiden (und ggf. auch in Zukunft zu vermeiden).

    Ein Analyse-Ansatz liegt in der Persönlichkeit der Mitarbeiter. These: Die Mitarbeiter des SiDi wollten von sich aus Hilflose quälen.



    Hier sehe ich keine Anzeichen für.

    Dann das System, also die gestellte Aufgabe. These: Aufgabe ist für Sicherheit in der Einrichtung und einen akzeptablen Umgang der Bewohner untereinander zu sorgen. Dies aber ohne geeignete Sanktionsmöglichkeiten für Fehlverhalten.

    Eine Super-Aufgabe – und ich stelle das Gedankenexperiment jedem anheim, wie man dies selbst gelöst hätte. Wahrscheinlich wäre jeder anders vorgegangen – für mich kann ich sagen, dass ich vermutlich verzweifelt wäre und gekündigt hätte.



    Ich hätte dem Landratsamt als Auftraggeber diese Aufgabe vor die Füße geworfen und gesagt: „Kümmert Euch um eure Asyl-BEWERBER doch alleine! Macht es besser, wenn ihr es könnt!

    Ich bin, nach Recherche einiger Artikel zu den Vorfällen, davon überzeugt, dass diese Misshandlungen nicht erfolgt wären, wenn man jegliche Störenfriede unter den Bewohnern der Wohneinrichtung hätte verweisen können - Rausschmiss sozusagen.

    Die Mitarbeiter – und hoffentlich auch die Leitung – werden für ihre Taten nun bestraft. Das ist richtig so, denn sie hätten auch die auf die unlösbare Aufgabe verweisen können und diese „ablehnen“ können. Sie hatten die Wahl und haben sich falsch entschieden.

  • Egal, ob im Hausrechtsbereich oder im Einsatz im öffentlichen Raum: Je geringer die Beschwerdemacht – und der soziale Status - des Individuums ist, desto schneller überschreiten private Sicherheitsdienste ihre – eng gesteckten – Kompetenzen.



    In Bezug auf Körperverletzungsdelikte an Flüchtlingen, durch beaufsichtigende “Security“, wurden auch Fälle aus dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo/Oktober '15) und einem Flüchtlingsheim in Cottbus (Silvesternacht '18) bekannt.



    Die Erfahrung zeigt, dass eine staatliche bzw. öffentliche Beauftragung privater Sicherheitsdienste die Menschen nicht vor Übergriffen dieser Berufsgruppe schützt. Gerade im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen (z. B. private Citystreifen in Städten/Gemeinden), man spricht hier von “public private security“ werden häufig unrechtmäßige Grundrechtseingriffe durch privates Sicherheitspersonal bekannt; Identitätsfeststellungen und Platzverweise, durch “Private“ im öffentlichen Raum, sind diesbezüglich noch die kleineren (Bürger)Beschwerden. Der Artikel 33 Absatz 4 und das Gewaltmonopol der Bundesrepublik Deutschland verbieten derartige privaten Ordnungsmaßnahmen!

    www.trend.infopart...d1018/t291018.html

  • "Staatsanwaltschaft Siegen hatte den Angeklagten nach einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers einen Deal angeboten."

    Wahnsinn...einen DEAL!? "Wenn ihr sagt, dass ihr böse wart, dann zahlt ihr ein bischen Geld oder werdet geschimpft und alles ist wieder in Ordnung".

    Und da soll man den Glauben an ein unabhängiges Rechtssystem nicht verlieren?



    Wieso braucht man da noch ein GESTÄNDNIS, wenn es genügend Zeugen gibt? Da brauchts harte Strafen bei Misshandlung von Menschen.

    Ich wette, wenn die Opfer deutsche, weise Kinder gewesen wären würde so ein Prozess ganz anders laufen. Erschütternd!

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Der größte Skandal an diesen Ereignissen ist für mich noch nicht einmal die im Artikel geschilderte Realität im ehemaligen Flüchtingsheim in Burbach. Für die Betroffenen muss dies der Vorhof zur Hölle gewesen sein. Allerbeste Voraussetzungen für Traumatisierungen.

    Noch schlimmer ist für mich jedoch der missglückte Kuhhandel der Staatsanwaltschaft Siegen. Statt eine lückenlose Aufklärung dieser abscheulichen Vorgänge zu betreiben, verfällt sie in Zockerei. 'Prozessökonomische Gründe' bemüht sie dafür in semantischer Verklärung.

    Deutsche Justiz als Spielwiese für Hütchenspielereien: Erbärmlich.