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Flüchtlinge in LibyenDie vergessene Katastrophe

In Nordafrika sorgen die EU-Pläne, mit Schleuserschiffen rabiat umzugehen, für Kopfschütteln. Die Helfer dort haben andere Sorgen.

Vom Radar der Welt verschwunden: Flüchtlinge in Libyen, wie dieser Jugendliche in einem Flüchtlingslager in Bengasi. Bild: dpa

TRIPOLIS taz | Im Bürogebäude des Roten Halbmonds herrscht für das Libyen dieser Tage ungewohnte Stille und Betriebsamkeit. Dutzende Freiwillige packen Kartons und planen Einsätze. Doch die ansonsten vorherrschenden Diskussionen über die politische Spaltung im Land fallen aus. „Wir sind strikt neutral in diesem Bürgerkrieg, der mittlerweile sogar unsere Familien spaltet“, sagt die Chefin Hania Adieg.

Drei Jeeps sind ihren Teams für die Zweimillionenstadt Tripolis geblieben. Der Rote Halbmond sammelt die angeschwemmten Leichen von den Stränden und besucht die vier großen Aufnahmelager für Flüchtlinge. Mit den steigenden Temperaturen wird die Lage für die mehr als 5.000 dort Inhaftierten immer dramatischer. „Schwangere Frauen und auf der Reise durch ganz Libyen Erkrankte oder Verletzte müssen meist ohne ärztliche Versorgung auskommen“, sagt Adieg. Dem Roten Halbmond geht das Geld aus, selbst für Matratzen suchen ihre Mitarbeiter an Wochenenden nach Sponsoren. „Bei mir hat in den letzten zwei Jahren niemand aus Europa angerufen“, sagt die 43-Jährige verständnislos.

Seit die ausländischen Diplomaten und Hilfsorganisationen Tripolis im Sommer 2014 aus Angst vor Übergriffen verlassen haben, sind die Helfer den zahlreichen Milizen schutzlos ausgeliefert. Nur über persönliche Kontakte könne man noch halbwegs sicher arbeiten, sagt der 28-jährige Ahmed al-Giasch. Mit Warnschüssen hatten Unbekannte am Vorabend versucht, den Medizinstudenten und vier Kollegen zu hindern, drei angeschwemmte Tote vom Strand zu bergen. „Die Schmugglermilizen schießen auf jeden, der sich ihnen nähert“, kommentiert er die EU-Pläne, deren Boote an Land zu zerstören.

Auch Colonel Taufik al-Skir von der Küstenwache in Misrata macht sich Sorgen. Zunehmend würden selbst die Marinesoldaten angegriffen. „Wenn wir Flüchtlingsboote zurück an den Strand bringen, fordern die Schmuggler mit vorgehaltener Waffe die je 3.000 Euro teuren Motoren zurück“, so al-Skir.

Menschenhandel ist Haupteinnahmequelle

In Zeiten leerer Staatskassen verschwimmen die Grenzen zwischen Miliz und Mafia. Rund 7.500 Libysche Dinar – aktuell etwa 3.700 Euro – verdient ein Fahrerteam aus jungen Tobu und Tuareg pro Jeep-Tour, von Agadez im Niger bis Sebha im Süden Libyens. Jeden Montag startet ein Konvoi aus rund 40 Jeeps mit bis zu 30 Migranten pro Auto. Seit der Ölexport stagniert, ist der Handel mit Waffen, Drogen und Menschen die Haupteinnahmequelle der Milizen.

Die Freiwilligen vom Roten Halbmond kümmern sich nicht nur um diesen Menschenstrom aus der Sahara, sondern auch um die 400.000 Libyer, die seit dem Sommer ihre Heimat verlassen haben. „Wir benötigen keine Kriegsschiffe aus Europa, sondern erst einmal humanitäre Hilfe“, sagen der Marinekommandant und die Leiterin der Freiwilligen übereinstimmend.

Nur ein Fischer im Hafen von Tripolis kann den EU-Schiffen etwas Positives abgewinnen. Das Seegebiet vor der Stadt ist Umschlagplatz für Drogen und Waffen, auch der Islamische Staat aus Sirte sei dort aktiv, sagt der Fischer. „Vielleicht sollte Europa damit anfangen, den Schmuggel nach Libyen zu stoppen, mit dem der Konflikt angeheizt wird.“

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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Innerhalb Libyens sind 400000 Menschen auf der Flucht. Zusätzlich sind aber zwei von sechs Millionen Libyern außer Landes geflohen. Die Anzahl der Gesamtflüchtlinge entspräche 38 Millionen hochgerechnet auf die Bundesrepublik Deutschland.

     

    Dies die wahre Katatsrophe, über die auch die TAZ noch niemals berichtete.

     

    Hinter dieser Katastrophe verbirgt sich die Zerstörung einer gesamten Gesellschaft, die noch vor wenigen Jahren die wohlhabenste Bevölkerung ganz Afrikas war, im HDI vor Südafrika.

     

    Verursacht haben diese Katastrophe politische Kräfte und Menschen, denen es seither an jeder Reue und Einsicht fehlt. Sie haben ein ganzes Volk in den Untergang getrieben - ein libyscher Freund sagt resigniert "Libyen gibt es nicht mehr".

     

    Eine bizarre Koaltion aus menschenverachtenden Machtpoltikern, wie Sarkozy, und naiven Personen, denen jede Kenntnis des Landes fehlte, wie in Deutschland z.B. Marieluise Beck, setzte sich für einen Machtwechsel in Libyen durch Krieg ein. Warnende Stimmen sagten den Totalzusammenbruch der gesamten Gesellschaft vorher.

     

    Diese Stimmen wurden überhört und sie fanden übrigens auch in der TAZ kaum Raum.

     

    Im Ergebnis wurden schwere Menschenrechtsverletzungen in Libyen -auch wenn sie nicht mit dem Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen im heutigen Ägypten vergleichbar sind - in eine wahre Menschenrechtskatatsrophe ungeheuerlichen Ausmaßes verwandelt.

     

    Die Verantwortlichen waschen sich die Hände in Unterschuld und sehen sich nicht dafür verantwortlich, dass sie ein Land der Zerstörung, dem Chaos, dem ausufernden Islamismus, kriminellen Banden und dem islamischen Staat ausgeliefert haben.

  • Die Sache mit der Verantwortung ist wirklich nicht so einfach! Als Journalist hat man die Pflichten, das große Vergessen zu verhindern. Andererseits sind deutsche Zeitungen, das Fernsehen und das Internet schon jetzt randvoll von menschgemachten Katastrophen aller Art. Überall auf dieser Erde versuchen Machthaber, mit Gewalt Privilegien zu retten. Eigene und fremde. Kein Kontinent mehr ohne staatlich sanktionierte (Massen-)Morde, die vielen privaten Kriege noch nicht mitgezählt.

     

    Was also kann der König Kunde tun, um nicht komplett verrückt zu werden angesichts des Leidens und des Sterbens überall? Er kann versuchen, zu vergessen. Denn dass er etwas ändern kann an all den Bürgerkriegen, Hungersnöten, Dissidentendramen, Staatspleiten, Klimawandelfolgen, Terrorakten oder Polizei-Übergriffen am Ende der Welt oder gleich nebenan, scheint ausgeschlossen. Zu viel, zu schlimm und oft auch zu weit weg. Man selbst ist viel zu klein, zu schwach – und zu allein. Man kriegt ja nicht mal den Konflikt mit seinem Chef geregelt, ohne dass die Existenzgrundlage der ganzen Familie entfällt – und Bild einen zum Staatsfeind ausruft, wenn man z.B. Lockführer ist.

     

    Je entschlossener die Kunden zu vergessen suchen (der Ratgeber-Teil der Wochenendbeilage ihrer Lokalzeitung ist längst schon nicht mehr umfangreich genug, als dass er noch zu neuen Abos führen könnte), desto verbissener halten DIE Medien an ihrer Berichtspflicht fest. Auch (Blatt-)Verantwortliche sind Macht-Menschen und setzen auf Gewalt. Sie schreiben gegen Mühlenflügel an. Die Psyche ist, so lang sie nicht vollständig gebrochen wird, unglaublich zäh und schwer zu fassen.

     

    "Wir können nicht die ganze Welt zu uns nach Deutschland holen", skandieren die, die Linke gern als Rechte diffamieren. Die selben Linken, übrigens, die darum kämpfen, dass man ihre armen Kinder an deutschen Schulen bloß nicht überfordert.